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"2020 war ein Seuchenjahr, auch beruflich"

Roeland Wiesnekker spielt in einem außergewöhnlichen ZDF-Krimi zum zweiten Mal den Berliner Kommissar Martin Brühl. Im Interview spricht der Schweizer Schauspiel-Kauz offen über Filme, die den Zuschauer chronisch unterfordern und die "kreativen" Probleme der Branche unter Corona-Bedingungen.

Roeland Wiesnekker, Schweizer Schauspieler mit niederländischen Wurzeln, ist eigentlich regelmäßiger Gast in deutschen Film- und Fernsehproduktionen. Regisseure und Produzenten schätzen das gleichermaßen sensible wie exzentrische Spiel des bulligen Mimen. Im ZDF-Krimi "Der Kommissar und die Wut" (Montag, 7. Dezember, 20.15 Uhr) verkörpert er nun zum zweiten Mal den Berliner Kommissar Martin Brühl. Man braucht schon ein gutes Gedächtnis, um sich an dessen letzten Auftritt in "Der Kommissar und das Kind" zu erinnern - er ist nämlich schon drei Jahre her. Für Wiesnekker, der wie viele andere Schauspieler 2020 viel zu wenig zu tun hatte, soll die neue Hauptrolle der Startschuss für eine Karriere-Belebung im Hoffentlich-Post-Pandemie-Jahr 2021 werden. Im Interview spricht der 53-Jährige über "Krimis von der Stange", die den Zuschauer chronisch unterfordern, über miese Filmzigaretten, von denen man Kopfschmerzen bekommt, sowie die Gefahr, dass Drehbuchautoren wegen der Hygiene-Drehbedingungen bald mit einer "Schere im Kopf" schreiben könnten.

teleschau: Ihr erster Film, in dem Sie Kommissar Brühl spielen, wurde vor ziemlich genau drei Jahren ausgestrahlt. Eine ungewöhnlich lange Pause für eine Krimi-Reihe ...

Roeland Wiesnekker: Die hatte eher logistische Gründe. Vielleicht hatte das auch mit Corona zu tun, ich weiß es nicht. Für den dritten Film liegt nun aber schon ein Drehbuch vor. Wir hoffen, im März oder April 2021 loslegen zu können.

teleschau: "Der Kommissar und ..." erhält ausgezeichnete Kritiker. Was macht die Qualität dieser Filme innerhalb der deutschen Krimi-Flut aus?

Wiesnekker: Die Basis eines jeden guten Films sind starke Drehbücher - und die von Christoph Darnstädt sind außergewöhnlich gut. Es sind Geschichten, die um die Ecke gedacht sind. Sie spielen mit den Erwartungen des Zuschauers und brechen sie auf überraschende Weise. Trotzdem sind die Plots immer hochspannend.

"Es gibt zu viele einfach gestrickte Krimis"

teleschau: Zeigt die Reihe über jenes Spiel mit den Erwartungen nicht auch, dass man dem Zuschauer ansonsten in Krimis oft wenig zutraut?

Wiesnekker: Ja, durchaus. Es gibt zu viele einfach gestrickte Krimis. Bei uns muss man ein bisschen aufpassen - und durch die eigenen Erwartungen an die Handlung, die vielleicht ins Leere laufen, findet man vielleicht auch das tieferliegende Thema der Filme. Ich finde generell, dass man dem Zuschauer zu wenig zutraut, was Wendungen und ungerade oder ungewöhnliche Plot-Verläufe betrifft. So etwas wie "Der Kommissar und ..." ist da schon eine Ausnahme in der TV-Landschaft.

teleschau: Ihr Kommissar Martin Brühl ist zudem ein ziemlicher Kauz. Im ersten Film - durchaus ungewöhnlich heute - hat er zum Beispiel Kette geraucht. Im zweiten Film sieht man ihn nicht mehr mit Zigarette. Was ist passiert?

Wiesnekker (lacht): Darauf habe ich gar nicht geachtet. Vielleicht hat mein Charakter das Rauchen mittlerweile etwas reduziert. Der erste Film drehte sich allerdings auch stärker um Martin Brühl selbst, vielleicht sah man ihn deshalb mehr rauchen.

teleschau: Stimmt es eigentlich, dass beim Film keine echten, sondern Kräuter-Zigaretten geraucht werden?

Wiesnekker: Ja, das stimmt. Sie sind furchtbar.

teleschau: Müssen Sie als Raucher auch diese Kräuter-Zigaretten konsumieren?

Wiesnekker: Nein, muss ich nicht. Aber ich habe sie schon probiert - und bei mir machen die Kopfschmerzen.

Man vergisst in der Branche, dass wir "gelernte" Schauspieler sind

teleschau: Martin Brühl ist ein eher sperriger, skurriler, vielleicht sogar kaputter Charakter. Stimmt der Eindruck, dass sie auf nicht-"straighte" Rollen abonniert sind?

Wiesnekker: Nun gut, was ist ein "straighter" Charakter? Wichtig ist, dass eine Rolle gut geschrieben ist. Wenn es zum ersten Film oft hieß, er sei ein kaputter Charakter, würde ich sagen: Das stimmt nicht. Er ist einfach sensibel und zeigt das, was im Krimi, vor allem bei Kommissaren, vielleicht ungewöhnlich ist. Das mit dem Eigenbrötler unterschreibe ich. Auch bei Figuren geht es mir, ebenso wie mit den Plots, darum, auch mal ungewöhnliche Perspektiven auf Sachlagen, Dinge des Lebens und - im Krimi - auf die Fälle zu haben.

teleschau: Welche Ihrer persönlichen Eigenschaften sorgen dazu, dass Sie öfter doppelbödige oder zwiespältige Charaktere angeboten bekommen?

Wiesnekker: Meine erste große Fernsehrolle war vor 15 Jahren "Blackout - Die Erinnerung ist tödlich". Diese Miniserie war damals sehr erfolgreich - und ich habe jemanden gespielt, der in etwa so ist, wie Sie das beschreiben. Wenn man dann sieht, der Wiesnekker kann so was, kommt man eben schnell in so ein Fahrwasser, dass man immer wieder ähnliche Charaktere angeboten bekommt. Ich habe mittlerweile viele Projekte abgesagt, in denen ich "skurrile Charaktere" von der Stange hätte spielen sollen. Am Ende kommt es, wie gesagt, immer aufs Drehbuch an. Wenn es gut geschrieben ist, spiele ich diese Art von Rollen, die ja in sich sehr unterschiedlich sein können, gerne immer wieder.

teleschau: Sie sagen sich, besser ein sehr konkretes Image, als gar keins?

Wiesnekker: Wirtschaftlich betrachtet gebe ich Ihnen recht, aber ich freue mich trotzdem, wenn man ab und an auch mein komödiantisches Talent erkennt. Komödie spiele ich nämlich sehr gerne. Überhaupt vergisst man manchmal in der Branche, dass wir ja "gelernte" Schauspieler sind, was nichts anderes heißt als: der Wunsch und die Fähigkeit, sich professionell in ganz unterschiedliche Menschen und Charaktere zu verwandeln, ist Kern dieses Berufes.

"Ich habe mich beim ersten Händedruck total erschrocken ..."

teleschau: Wie ist es Ihnen als Schauspieler im Corona-Lockdown ergangen?

Wiesnekker: Es war schon eine sehr blöde Zeit. Mit sehr wenig oder eben gar keiner Arbeit für uns Schauspieler. Es ist auch aktuell sehr viel weniger geworden, was gedreht wird. Das Drehen unter Corona-Bedingungen ist aufwendiger und teurer geworden. Oft wissen die Produzenten gar nicht, was sie wann wie drehen dürfen. Es hat auch mit Schauplätzen und immer wieder wechselnden Einschränkungen aufgrund der Pandemie zu tun. 2020 war ein Seuchenjahr, auch beruflich. Aber ich bin zuversichtlich, dass 2021 wieder sehr viel besser wird.

teleschau: Eigentlich hätte man doch in einer Zeit, da viele Leute zu Hause sitzen, besonders viel Fernsehprogramm gebraucht. Lohnt sich der Mehraufwand dann nicht doch?

Wiesnekker: Ich weiß nicht, ob solche Marktgesetze hier greifen. Ich bin kein Produzent und auch kein Programmverantwortlichen. Ich weiß nur, dass ich deutlich weniger zu tun hatte. Vielleicht lag es auch ein bisschen daran, dass ich in der Schweiz lebe und deshalb für deutsche Produktionen immer aus dem Ausland einreisen musste. Vielleicht stellte das plötzlich eine Hürde dar ...

teleschau: Haben Sie bei Drehs unter Corona-Bedingungen eigentlich dramaturgische Veränderungen bemerkt? Zum Beispiel, dass es weniger intime, aber dafür mehr Szenen mit Abstand gab ...

Wiesnekker: Ich habe neulich einem Kollegen in einer Szene die Hand gegeben. Wir probten diese Szene, und ich habe mich beim ersten Händedruck total erschrocken. Einfach, weil ich davor wohl mindestens ein halbes Jahr niemandem mehr die Hand gegeben hatte. Unser Denken und Handeln im Alltag hat sich schon verändert. Gedreht wird mit vielen Tests und Maskenpflicht bei denen, die nicht vor der Kamera stehen. Vor der Kamera wird aber weiter geküsst und alles getan, was man sonst im normalen Leben so macht.

"Die Kunst sollte weiterhin für sich stehen"

teleschau: Wird man Filme aus der Corona-Zeit an ästhetischen Eigenschaften erkennen?

Wiesnekker: Ich weiß nicht, es gab ein paar filmische Experimente, die sich auch tatsächlich mit der Corona-Situation beschäftigt haben. Im Allgemeinen sollte es natürlich nicht so sein. Trotzdem fallen ein paar Sachen weg, die vielleicht ursprünglich in Drehbüchern standen. In meinem aktuellen Film stand eine Szene mit einem Seniorenchor an - die wurde nun schon mehrfach verschoben. Wegen des doppelten Risikos: Senioren und Chorgesang. Insgesamt wird man diese Einschränkungen Filmen aus der Pandemie-Zeit aber hoffentlich nicht ansehen.

teleschau: Aber schreibt ein Drehbuchautor 2020 noch Szenen, in denen der Kommissar eine vollbesetzte Kneipe betritt? Oder tritt da schon eine Corona-Selbstzensur in Kraft?

Wiesnekker: Ich hoffe nicht, dass es so ist. Die Kunst sollte weiterhin für sich stehen und nicht in Abhängigkeit von der Pandemie entstehen.

teleschau: Sie leben in der Schweiz, arbeiten aber vor allem für deutschen Produktionen. Könnte man in der Schweiz als Schauspieler überleben, wenn man nur innerhalb des Landes tätig wäre?

Wiesnekker: Wenn man ein gutes, festes Bühnen-Engagement hat, geht das sicherlich. Als Filmschauspieler geht das genauso sicher nicht. Dazu wird in der Schweiz viel zu wenig produziert. Die meisten meiner Schweizer Kollegen leben in Deutschland. Es macht das Leben und Arbeiten für sie einfacher. Weil ich aber einen Sohn hier in der Schule habe, möchte ich gerne erst mal in der Schweiz bleiben. Es wird auch so irgendwie gehen. Wie gesagt, ich setze darauf und glaube daran, dass 2021 ein gutes Jahr werden wird.