Ausstellungstipp: „Van Gogh: Poets and Lovers” in London

Ausstellungstipp: Vincent Van Gogh in London

Vincent Van Gogh, Olivenbäume mit den Alpilles im Hintergrund,1889. The Museum of Modern Art, New York. Mrs. John Hay Whitney Bequest, 1998

The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence,

Sein Leben gezeichnet von Tragik, seine Bilder von satten Farben: Vincent van Gogh gilt in jeglicher Weise als Jahrhundertkünstler, obwohl er zu Lebzeiten nur ein einziges Bild verkaufte. Zu ihrem 200. Jubiläum macht sich die National Gallery in London nun ein Geschenk und widmet ihm eine einzigartige Retrospektive.

Ausstellungstipp: Vincent Van Gogh in London

Vincent Van Gogh, „Das Gelbe Haus“, 1888. Van Gogh Museum, Amsterdam

Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent Van Gogh Foundation),

„Van Gogh: Poets and Lovers“ ist die größte monografische Van-Gogh-Ausstellung des Vereinigten Königreichs

1824 wurde die National Gallery gegründet. Genau 100 Jahre später erwarb sie Vincent van Goghs ikonischen „Sonnenblumen“ (1888) und „Vincents Stuhl mit Pfeife“ – heute die zwei berühmtesten Bilder des Museums. Bedeutende Jubiläen und runde Gründe somit, dem Künstler im Jahr 2024 eine spektakuläre Ausstellung zu widmen, die größte monografische, die das Vereinigte Königreich je auf dem Programm hatte. „Van Gogh: Poets and Lovers“ zeigt 61 Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen, darunter ausnahmslos alle Berühmtheiten wie „Sternennacht über der Rhône“ (1889) oder „Das gelbe Haus“ (1888), die sonst über den gesamten Globus verteilt hängen. Im Zentrum steht Van Goghs Zeit im Süden Frankreichs, in Arles und in Saint-Rémy-de-Provence: 1888 bis 1890 – zwei vermeintlich kurze Jahre, die jedoch den Höhepunkt seines Schaffens und damit Monate markieren, in denen er die jüngsten, wegweisendsten Meisterwerkeder Moderne komponierte.

Ausstellungstipp: Vincent Van Gogh in London

Vincent Van Gogh, „Sternennacht über der Rhône“, 1888. Musée d’Orsay, Paris. Schenkung unter Vorbehalt des Nießbrauchs von Herrn und Frau Robert Kahn-Sriber, in Erinnerung an Herrn und Frau Fernand Moch, 1975

Musée d'Orsay, Dist. RMN-Grand Palais / Patrice Schmidt,

Was die Ausstellung zu Van Gogh vor allem sehenswert macht, ist ihr Fokus. Der ist nämlich völlig losgelöst vom trostlosen Narrativ seiner bejammernswerten Biografie. Die Geschichte seiner eskalativen letzten Jahre in der Provence, geprägt von Absinth, einem labilen Geisteszustand (heute weist ihm die Forschung eine zykloide Psychose zu), kennt man längst: Im Februar 1888 zieht er mit knapp 34 von Paris nach Arles. Ende des Jahres schneidet er sich nach einem Streit mit Malerfreund Paul Gauguin in Rage ein Ohr ab, im Mai 1889 weist er sich selbst in die Nervenheilanstalt „Saint-Paul-de-Mausole“ in St. Rémy ein, zieht 1890 zurück in den Norden Frankreichs, wo er nach einem misslungenen Suizidversuch zwei Tage später an einer Sepsis stirbt – ausgelöst durch die feststeckende Kugel im Oberbauch.

Ausstellungstipp: Vincent Van Gogh in London

Vincent Van Gogh, Selbstporträt, 1889. National Gallery of Art, Washington. Sammlung von Mr. and Mrs. John Hay Whitney, 1998

Courtesy National Gallery of Art, Washington,

„Van Gogh: Poets and Lovers“ ist wohl die erste Ausstellung überhaupt, die Van Goghs fantasievolle Imaginationen beleuchtet. Selbst die Wände geben lediglich Titel und Daten der Werke preis, lassen so den gedanklichen Streifzügen mehr Freiheit, jenseits abgetrennter Ohren und Schusswunden. Die Ausstellung macht stattdessen deutlich, welch treibende Schaffenskraft der Süden Frankreichs in Van Gogh mobilisiert und wie sich mit Poesie und der Liebe verbundene Inhalte zu zentralen Sujets des Künstlers entwickeln. Gedanken zu Dichtern und liebende Paare bestimmen seine Gemälde aus den Jahren in der Provence.

Van Gogh beginnt, Geschichten in seinen Gemälden zu erzählen, indem er idealisierte Räume und symbolische Charaktere schafft. Er verklärt die Welt um sich herum. Die Ausstellung arbeitet heraus, was seine Seele sieht, mit welch romantisiertem Blick er die Porträts einfacher Menschen anlegt und wie die Gärten und Parks seiner Umgebung zu Treffpunkten von Dichtern der italienischen Frührenaissance werden, Petrarca, Boccaccio, Dante. Seine Gemälde lassen auch seine Selbsteinweisung nach Saint-Rémy keiner Tragödie gleichen. Er stellt sich den verwilderten Garten der Anstalt als abgeschiedenen Ort für Liebende vor, entwickelt daraus eindrucksvolle Kompositionen. Man erkennt, wie sein Stil im Park der Nervenheilanstalt immer freier wird, die Texturen pastoser. Er unternimmt neue Interpretationen in kräftigen Farben und ausdrucksstarken Pinselstrichen vor stark stilisierten floralen Hintergründen. Landschaften stehen an der Grenze zur totalen Abstraktion: Olivenbäume, Äcker, Wolken winden sich wie in einer Traumwelt ineinander – die natürliche Welt frei von Regeln.

In einer unnachahmlichen Verschmelzung von Poesie und Malerei bringt die NationalGallery Vincent Van Goghs Empfinden auf eindringliche Weise zum Ausdruck. Die Ausstellung zeigt nicht nur seine Nähe zu den porträtierten Menschen, sein Versinken in die südfranzösische Landschaft, sondern auch sein Ringen mit Liebe, Einsamkeit und Inspiration, was sich in einem künstlerischen Puls kanalisierte, der innerhalb zweier Jahre Meisterwerk um Meisterwerk zu schaffen im Stande war.

Die Ausstellung „Van Gogh: Poets and Lovers“ läuft noch bis zum 19. Januar 2025 in der National Gallery in London.