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Große Frauen mit mickrigem Hüftumfang: Wo bleibt die Vielfalt auf dem Laufsteg?

Models auf der Berlin Fashion Week: Warum rücken die Designer keinen Zentimeter von den gefährlichen Schönheitsidealen ab? (Bilder: Getty Images)
Models auf der Berlin Fashion Week: Warum rücken die Designer keinen Zentimeter von den gefährlichen Schönheitsidealen ab? (Bilder: Getty Images)

Deine Welt, deine Regeln; liebe dich selbst; sei ganz du selbst: Die Berlin Fashion Week hat das Trendthema Diversity lautstark gefeiert. Um von dieser Vielfalt etwas zu entdecken, mussten wir aber schon ganz genau hingucken.

Wenn wir von einer gewissen Vielfalt auf der Berlin Fashion Week überzeugt waren, dann von der in der Mode selbst. Von rebellischen Statement-Shirts bei Rebekka Ruétz über kunterbunte Obst-Prints bei Lena Hoschek bis zu den Unisex-Oversize-Blazern bei Botter war für alle Anlässe und jeden Geschmack etwas dabei. Wenn es jedoch um die „Diversity“ (engl. für Diversität, Vielfältigkeit) im eigentlichen Sinne geht, brüllten die Designer die Vielfältigkeits-Phrasen zwar lautstark hinaus, rückten aber kaum einen Zentimeter von den gängigen Schönheitsidealen ab.

Ein gutes Beispiel dafür wäre Lascana. Auf der Dessous-Show im Designhotel NHow flimmerte zur Eröffnung ein Imagefilm über eine große LED-Wand, der Hoffnung machte. Darin zu sehen: Topmodel Alessandra Ambrosio, die an die Powerfrauen appelliert: „Wie ich als Frau wahrgenommen werden möchte? Echt. Weil es kein Klischee dafür gibt, Frau zu sein.“ Doof nur, dass in der folgenden Runway-Show alle Klischees eines Unterwäschemodels erfüllt wurden. Um die neuen Dessous und aktuelle Swimwear zu präsentieren, wollte Lascana dann doch nicht auf superschlanke Models verzichten.

Plus Size-Models gab es bei Lascana nur im Publikum zu sehen. (Bilder: Getty Images)
Plus Size-Models gab es bei Lascana nur im Publikum zu sehen. (Bilder: Getty Images)

„Das Curvy-Model Angelina Kirsch, das so einen tollen Körper hat und sehr erfolgreich ist, saß hingegen im Publikum“, sagt einer der erfolgreichsten Blogger und Influencer, Riccardo Simonetti, im Interview mit Yahoo Style. „Ich hätte mich sehr gefreut, wenn sie mitgelaufen wäre. Das ist es doch, was Frauen sehen wollen und es ist wichtig, dass man zeigt, dass es auch noch etwas anderes gibt.“

Wovor haben die Designer Angst? Das ganze Interview mit Riccardo Simonetti

Plus-Size-Models, kleinere Models, Models mit Schönheitsmakeln – auf den meisten Fashion Shows Fehlanzeige. Man möchte meinen, wir hätten uns daran gewöhnt, im Rahmen der Fashion Week große Frauen mit mickrigem Hüftumfang zu sehen. Doch gerade in Zeiten, in denen Begriffe wie Body Positivity, Diversity oder Self-Love vor allem auch von der Modeindustrie jeden Tag gepredigt werden, hätten wir uns eine konsequentere Umsetzung des Mottos der Designer auch bei der Auswahl der Models gewünscht.

Welch absurde Ausmaße beispielsweise die vermeintliche Offenheit der Fashion-Industrie hin zum Thema Plus Size mit sich bringt, erzählte uns Kurvenrausch-Gründerin Tanja Marfo: „Es gibt tatsächlich Models, die auf eine 38 ausgestopft werden – es werden also Pads am Hintern und an den Oberschenkeln angebracht, weil die Fesseln und das Gesicht trotzdem schlank sein sollen.“

Fragwürdiger Plus Size-Trend: Das ganze Interview mit Tanja Marfo

Mit ihren „Plus Size Fashion Days“ hat die 38-Jährige das einzige richtige Plus-Size-Event auf die Berlin Fashion Week gebracht: Sie veranstaltet Castings für Frauen und Männer mit Größen fernab der Runway-Standards. Ihr größter Traum ist es, hier eines Tages eine Runway-Show mit gemischten Konfektionsgrößen zu veranstalten. Eine tolle Idee, die von der Realität jedoch noch meilenweit entfernt scheint.

Kleine Lichtblicke zeigten sich auf den hell ausgeleuchteten Laufstegen dann aber doch noch: Die Österreicherin Rebekka Ruétz ließ ein Model auflaufen, das mit dem gängigen Alter genauso brach wie mit der Konfektionsgröße 32:

Dieses Model zeigt bei Rebekka Ruétz, dass es auch anders geht. (Bilder: Getty Images)
Dieses Model zeigt bei Rebekka Ruétz, dass es auch anders geht. (Bilder: Getty Images)

Und das niederländische Newcomer-Label ließ bei der Präsentation der Frühjahr/Sommer-Kollektion fast ausschließlich „People of Color“ über den Runway laufen:

Das Label Botter brachte auch politische Statements auf die Berlin Fashion Week. (Bilder: Getty Images)
Das Label Botter brachte auch politische Statements auf die Berlin Fashion Week. (Bilder: Getty Images)

„Es gibt da diese Regeln in der Fashion-Welt – und die wollen wir gerne ausdehnen oder sogar brechen“, so Designer Rushemy Botter im Interview mit Yahoo Style. Dass sich diese Aussage nicht nur auf die Mode bezieht, zeigten auch die politischen Statements der Show: Mit aufgeblasenen Plastikfischen und Fischernetzen machte das Design-Duo auf die Verschmutzung und die daraus resultierende Zerstörung des Ozeans aufmerksam.

Interview Botter-Designer: Warum dieser Look so lustig und traurig zugleich ist

Wie wunderbar vielfältig das Publikum der Berlin Fashion Week ist, zeigte sich vor allem bei der Show von Marina Hoermanseder, die vor dem E-Werk im Freien stattfand. Neben bunt geschminkten Männern in den berühmten Strap Skirts der Designerin stand da der brave Business-Typ im feinen Zwirn – Frauen in atemberaubenden Abendkleidern gaben schwarzgekleideten Punks die Hand und Marina selbst trug einen Rock in Regenbogenfarben.

Die wunderbare Atmosphäre war neben der Liebe zur Mode – die hier alle eint – vor allem durch Individualität und Toleranz geprägt. Genau das ist es, was die Designer auch endlich auf dem Laufsteg zeigen sollten. Wer den Blick hin und wieder von den Models ab- und den Gästen zuwendet, wird Riccardo zustimmen, der sagt: „Das Publikum ist schon lange bereit.“