Berlin Fashion Week: Ukrainischer Designer sorgt für Gänsehaut
Wenn Mode zum Statement wird: Statt seiner monatelang vorbereiteten Kollektion gab's vom ukrainischen Star-Designer Jean Gritsfeldt zum Abschluss der MBFW Berlin eine Show mit nur 20 Teilen – Emotionen in Kleidung übersetzt.
Von Freiwilligen in wenigen Tagen zusammengenäht, vom Publikum mit Standing Ovations bedacht: Sichtbare Solidarität, die für den größten Gänsehautmoment der gesamten Fashion Week sorgt.
Als am Mittwochabend im Berliner Kraftwerk die Lichter ausgehen, wendet sich Jean Gritsfeldt per Videobotschaft an die Gäste seiner Show, denn er selbst ist in Kiew. Gefangen im Krieg. "Heute ist es nicht an der Zeit, über Mode zu sprechen, sondern durch Mode. Heute zeigen wir nicht die neue Saison, heute zeigen wir keine neuen Looks, denn wenn man in einem Luftschutzbunker sitzt, oder in einem U-Bahnschacht, oder im Keller, interessiert es niemanden, was man trägt."
Schlichte Kollektion mit universellen Botschaften
Und so sind es statt aufwendiger Couture einfache Kleider und lässige Zweiteiler, die von den 20 Models vorgeführt werden, im Farbverlauf von Schwarz nach Weiß. Von der Angst zur Hoffnung. Unterbrochen durch ein signalrot angemaltes Mädchen. Bedruckt sind die Kollektionsteile mit universellen Botschaften: "Liebe". "Freiheit". "Menschlichkeit". "Würde", ist da auf Englisch und Ukrainisch zu lesen.
Den Anfang macht Top-Model Anna Hiltrop in einem schlichten schwarzen Dress. "Conscience", Bewusstsein, steht auf ihrem Kleid.
Die 27-Jährige ist eine der vielen Volunteers, der Freiwilligen, die Gritsfeldts Show überhaupt möglich machen. Seit dem ersten Tag des Krieges steht das Model mit dem Designer in Kontakt. "Ich wollte so gern etwas tun, um ihm hier eine Stimme zu geben", so Hiltrop, "um seine Botschaft in die Welt zu schicken!"
Show mit einer neuen Kollektion, die seine Gefühle und Emotionen widerspiegelt
"Heute benutze ich das Werkzeug der Mode und ich kämpfe jetzt dafür, dass wir morgen frei sind. Voller Freiheit für die Ukraine und für alle Menschen auf dem Planeten Erde. Das ist meine Mission!", so der Designer selber. Eine Mission, organisiert, koordiniert und umgesetzt durch viele engagierte Menschen, die in nur vier Tagen die Vision des Designers zum Leben erweckten.
"An dem Tag, an dem Jean erfuhr, dass der Krieg begonnen hatte und er nicht nach Berlin kommen konnte, rief er uns an und fragte, ob wir eine Näherin kennen, die eine neue 'Statement'-Kollektion für ihn nähen würde", erzählt Norma Quinto, Chefin von Gritsfeldts PR-Agentur. "Jean hatte beschlossen, seine AW22/23-Kollektion nicht nach Berlin zu schicken, sondern die Show mit einer neuen Kollektion durchzuführen, die seine Gefühle und Emotionen widerspiegelt und die Notlage des ukrainischen Volkes beleuchten sollte."
Fashion Revolution-Geschäftsführerin Carina Bischof wird durch Mode-Aktivistin Cherie Birkner auf das Thema aufmerksam gemacht und beschließt zu helfen: Mit 15 Freiwilligen, die praktisch rund um die Uhr nähen und drucken, wird die Statement-Kollektion Wirklichkeit. Und am Mittwochabend unter Sirenengeheul und Explosionsgeräuschen auf den Catwalk geschickt.
"We stand with Ukraine"
Das letzte Bild: eine junge Frau im weißen Brautkleid steht am Kopf des Catwalks. Hinter ihr die Models, in ihrer Mitte halten sie eine riesige ukrainische Flagge. Auf der Videowall im Hintergrund laufen Postings und Nachrichten aus der ganzen Welt mit immer den gleichen Botschaften: "Stoppt den Krieg" oder "We stand with Ukraine". Das sitzt. Und das Publikum steht auf: Standing Ovations für Jean Gritsfeldt.
