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Body Positivity in der Fashion-Industrie – ein Status Quo

Verzicht auf Photoshop bei Katalogbildern, mehr Plus-Size-Models in Kampagnen und endlich inklusive Mode in gängigen Onlineshops – in Sachen Body Positivity scheint sich 2018 einiges getan zu haben. Doch wie sieht die Realität in der Fashionwelt aus? Ein Status Quo.

Wo stehen wir wirklich in Sachen Selbstliebe, Akzeptanz und gesunder Einstellung zu einem ganz normal schönen Körper? (Bild: Getty Images)
Wo stehen wir wirklich in Sachen Selbstliebe, Akzeptanz und gesunder Einstellung zu einem ganz normal schönen Körper? (Bild: Getty Images)

Endlich ist das Thema Body Positivity, also die Akzeptanz und Wertschätzung jeglicher Körperformen, die im besten Fall auch ein entspanntes Verhältnis zum eigenen Körper beinhalten, in der Gesellschaft angekommen. Sollte man meinen. Denn selten zuvor wurde so viel über die Bewegung berichtet wie in den vergangenen zwei Jahren. Auf Instagram finden sich unter dem Hashtag #BodyPositivity rund 2 Millionen Einträge, die meisten unter ihnen zeigen Bilder von Frauen, die ihren Körper lieben – oder gerade dabei sind, dies zu lernen.

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Modelabels und Organisatoren von Misswahlen reagieren auf die längst fällige gedankliche Öffnung in Sachen Körperbild, indem sie demonstrativ auf Photoshop verzichten und wie aus dem Nichts Bikini-Shoots ausklammern. Und doch hat das, was da als Durchbruch in Sachen gesundes Körperbild gefeiert wird, einen komischen Beigeschmack – denn auch die Botschaft „Liebe dich selbst“, die uns seit Body Positive von den Fashion-Plakaten entgegengerufen wird, ist immer noch mit den schönsten Körpern verbunden, die man sich vorstellen kann. Ein bisschen runder vielleicht, klar, eventuell auch mit sichtbaren Stretchmarks oder einer markanten Nase verbunden – aber fast unwirklich schön sind diese Models immer noch. Und so drängt sich die Frage auf: Wo stehen wir wirklich in Sachen Selbstliebe, Akzeptanz und gesunder Einstellung zu einem ganz normal schönen Körper? (Und was bedeutet überhaupt normal schön?)

Was heißt heutzutage eigentlich „normal schön“?

Zunächst mal: Es ist natürlich ein gutes Zeichen und längst überfällig, dass angesagte Modeketten sich von den perfekten Modelkörpern verabschieden – und auch nicht so tun, als ob es diese wirklich geben würde: Zara verzichtet wie auch H&M, Missguided und Asos seit 2017/18 auf das übermäßige Retuschieren seiner Onlineshop-Bilder. Das heißt: Narben, kleinere Hautunreinheiten, Fältchen, Cellulite und Dehnungsstreifen sind auf den Fotos zu sehen und zeigen, dass es ganz und gar normal ist, nicht mit dem perfekten Körper durch die Gegend zu laufen.

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Ein wichtiger Schritt, der nicht später hätte kommen dürfen: Denn in den sozialen Kanälen sind die „Body Positivity Activists“ oder auch „ED Warriors“ (zu deutsch: Kämpfer gegen Essstörungen) schon seit Jahren auf dem Vormarsch, um eine Korrektur der gängigen Schönheitsideale in den Köpfen der Menschen zu verankern. Höchste Zeit also, dass die Modeketten endlich nachziehen.

Es wird höchste Zeit für eine Korrektur der gängigen Schönheitsideale

Absolut lobenswert sind auch die Bestrebungen von Asos und Co., ihre Outfits an unterschiedlichen Figurtypen zu präsentieren und endlich, endlich auch Plus-Size-Modelle in ihr Onlineshop-Angebot zu integrieren – und zwar in die „Normalo“-Sortierung, nicht in der Übergrößen-Schublade ganz hinten unten. Backrolls, also die kleinen Speckröllchen am Rücken, die jede Frau hat (auch die dünnste, sie muss sich nur weit genug verrenken), sind jetzt ein Ding und werden nicht mehr weggephotoshopt, sondern stolz demonstriert. Das ist gut und wichtig – und wird auch von den Konsumenten bemerkt, gelobt und die Marke als „echt cool“ im Hinterkopf abgespeichert. Einen guten Sprung nach vorne in Sachen Brand-Ansehen hat dabei interessanterweise die Super-Fast-Fashion-Linie Pretty Little Thing (PLT) gemacht, die ihre Mode neuerdings an Models unterschiedlichster Figur zeigt:

Die Onlineshops sind voll von Frauen unterschiedlichster Körperformen, Hautfarben und –beschaffenheiten, endlich stellen uns tatsächlich schwangere Models die Schwangerschaftsmode vor – und ja, es ist definitiv tröstlich, dass auch die schönsten Bikinimodels Dehnungsstreifen am Po haben. Apropos Bikini und Po: Auch die Organisatoren von „Miss America“ sind auf den Zug aufgesprungen – wenn man auch nicht genau weiß, auf welchen (#BodyPositivity oder #MeeToo?) – und haben den Bikini-Auftritt ihrer Kandidatinnen kurzerhand aus dem Programm gestrichen. Angeblich, weil es bei der Wahl zur Miss America nicht mehr um das Aussehen gehen soll, sondern um die inneren Werte.

Hä, wie bitte? Genau hier offenbart sich die Misere, in der die Fashion-Industrie in Sachen Body Positivity, Selbstliebe und Akzeptanz noch steckt. Denn natürlich geht es weiterhin ums Aussehen – warum auch nicht?! Bei den Miss-Wahlen geht es weiterhin um das attraktivste Gesicht (und den Wunsch nach Weltfrieden, selbstverständlich).

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Und auch wenn die Fotos in den Onlineshops jetzt unretuschiert gezeigt werden, werden die Outfits weiterhin von den hübschesten Mädchen präsentiert, die vielleicht eine Hakennase haben, dafür aber einen tollen Körper. Oder einen runden Po, dafür aber ein supersüßes Lächeln. Das ist natürlich in Ordnung so, denn Body Positivity heißt ja nicht, dass man kein hervorstechend schönes Merkmal an seinem Körper haben darf, das man in Szene setzt – aber lernen junge Mädchen daraus das Richtige (und vor allem genug davon), was die Akzeptanz unseres eigenen Körpers angeht?

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Zum Glück gibt es kluge Köpfe, die gar nicht daran denken, ihre Ideen für ein gesünderes und offeneres Fashion-Miteinander unabhängig von Größen und Idealbildern aufzugeben. Unter ihnen sind Models, Bloggerinnen, Unternehmer von Modelabels, die – jeder für sich – für mehr Akzeptanz in der Mode kämpfen. Das japanische Modelabel Zozo etwa hat mit seinem „Zozosuit“ den Konfektionsgrößen den Kampf angesagt – dank eines hochtechnisierten Ganzkörperbodys mit Sensoren, den die Kunden kostenlos zu Hause anziehen können und der ihre Maße an das Label übermittelt, werden alle künftigen Bestellungen maßgeschnitten – und sehen aus wie auf den Leib geschneidert, jenseits von „small“, „medium“ oder „xlarge“. Die Bloggerin Katie Sturino, die mit ihren Nachstylings von Outfits von „dünnen“ Stars in „echte Größen“ regelmäßig viral geht, fordert unter dem Hashtag #makemysize, dass die großen Modeketten endlich ihr Sortiment auf jenseits von Größe 42 erweitern:

Und auch Unternehmen stehen auf, wenn es um den Kampf um Inklusion und mehr Akzeptanz geht: So schreib Heidi Zak, Mitgründerin des Wäschelabels Third Love, das Lingerie für Frauen jeglicher Kleidergröße anbietet, im November 2018 einen offenen Brief an das Label Victoria’s Secret, dessen Chef Ed Razek sich zuvor darüber geäußert hatte, warum unter den Engeln des Labels weder Transsexuelle noch Plus-Size-Models seien.

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Heidi Zak schrieb unter anderem: „Haben wir uns nicht mittlerweile von veralteten Vorstellungen von Weiblichkeit und Geschlechterrollen verabschiedet? Es ist an der Zeit, damit aufzuhören, Frauen vorschreiben zu wollen, was sie sexy macht – lasst uns entscheiden. Wir wollen nicht mehr so tun, als ob bestimmte Kleidergrößen nicht existieren oder nicht wichtig genug sind, um produziert zu werden. Und hört bitte endlich damit auf, Inklusivität als bloßen Trend zu bezeichnen.”

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New York Times Sunday, full page letter from @heidi to @victoriassecret – Dear Victoria’s Secret, I was appalled when I saw the demeaning comments about women your Chief Marketing Officer, Ed Razek, made to Vogue last week. As hard as it is to believe, he said the following: “We attempted to do a television special for plus-sizes [in 2000]. No one had any interest in it, still don’t.” “It’s like, why doesn’t your show do this? Shouldn’t you have transsexuals in the show? No. No, I don’t think we should. Well, why not? Because the show is a fantasy.” I’ve read and re-read the interview at least 20 times, and each time I read it I’m even angrier. How in 2018 can the CMO of any public company — let alone one that claims to be for women — make such shocking, derogatory statements? You market to men and sell a male fantasy to women. But at ThirdLove, we think beyond, as you said, a “42-minute entertainment special.” Your show may be a “fantasy” but we live in reality. Our reality is that women wear bras in real life as they go to work, breastfeed their children, play sports, care for ailing parents, and serve their country. Haven’t we moved beyond outdated ideas of femininity and gender roles? It’s time to stop telling women what makes them sexy — let us decide. We’re done with pretending certain sizes don’t exist or aren’t important enough to serve. And please stop insisting that inclusivity is a trend. I founded ThirdLove five years ago because it was time to create a better option. ThirdLove is the antithesis of Victoria’s Secret. We believe the future is building a brand for every woman, regardless of her shape, size, age, ethnicity, gender identity, or sexual orientation. This shouldn’t be seen as groundbreaking, it should be the norm. Let’s listen to women. Let’s respect their intelligence. Let’s exceed their expectations. Let women define themselves. As you said Ed, “We’re nobody’s ThirdLove, we’re their first love.” We are flattered for the mention, but let me be clear: we may not have been a woman’s first love but we will be her last. To all women everywhere, we see you, and we hear you. Your reality is enough. To each, her own. -Heidi @heidi

A post shared by ThirdLove (@thirdlove) on Nov 18, 2018 at 11:04am PST

Und auch Navabi, der weltweit führende Onlinehändler für Damenmode ab Größe 42, reagierte mit einem Clip auf die unrealistischen Anforderungen von Victoria’s Secret:

„Victoria’s Secret hat ein Geheimnis, das so offensichtlich ist, dass man es eigentlich kaum übersehen kann. Ihre Einstellung zur Körpervielfalt ist so veraltet, dass man sie für einen schlechten Scherz halten könnte. Mehr als die Hälfte aller Frauen tragen große Größen und die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Victoria’s Secret hingegen hält sich Jahr für Jahr an die gleiche Formel, die sie seit der Steinzeit verwenden”, erklärt Dan Barker, CMO von navabi.

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Offene Briefe wie diese, Aktionen von Bloggern oder Innovationen von kleinen Labels zeigen: Es sind nicht die großen Gesten der Modehäuser, die als Gradmesser für die Durchdringung von Body Positivity gehandelt werden sollten. Sondern die kleinen, feinen Initiativen, die im Netz gefeiert und nach oben gespült werden, bis die großen Ketten irgendwann nicht mehr anders können, als sich der Bewegung anzuschließen – vielleicht sogar auch ganz und gar, mit Models ohne perfekte Haut und tolle Mähne, dafür mit vielen anderen Eigenheiten, die wir bis dahin nicht mehr “Makel” nennen werden. Weil sie einfach “normal schön” sind.

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