Börsenwahnsinn: Das spektakulärste Comeback aller Zeiten

Gebannter Blick auf die Märkte (Foto: Deutsche Börse AG)
Gebannter Blick auf die Märkte (Foto: Deutsche Börse AG)

Krise, welche Krise? Knapp drei Monate nachdem der Himmel an den Weltbörsen einzustürzen schien, notieren die Aktienmärkte teilweise schon wieder auf alten, neuen Höchstständen. Die V-förmige Erholung wurde an der Börse im Rekordtempo vollzogen. Aber haben Anleger bei der Comebackrally übertrieben?

Man kann es eine Rally für die Ewigkeit nennen. Mitte März noch notierte der Dax nach dem schnellsten Absturz in den Bärenmarkt bei rund 8000 Zählern und der Dow Jones bei 18.000 Punkten. Elf Wochen später haben Anleger dies- und jenseits des Atlantiks zwischen 50 und 60 Prozent an Kurszuwächsen verbucht, wenn sie lediglich auf die Leitindizes gesetzt haben. Allein in der vergangenen Woche legte der Dax knapp 11 Prozent an Wert zu.

Auf den dramatischsten Crash aller Zeiten folgte damit die spektakulärste Erholung aller Zeiten. In keiner vorangegangenen Krise – weder der großen Finanzkrise von 2008/9 noch der Rezession nach dem Platzen der Internetblase zwischen 2002 und 2003 noch nach dem erdrutschartigen Crash von 1987 – konnten schneller so enorme Kurszuwächse verbucht werden.

V-förmige Erholung ist Realität – an der Börse

Die vielzitierte “V-förmige Erholung” ist damit inzwischen tatsächlich Realität geworden: Während Dow und Dax noch knapp von ihren bisherigen Höchstständen entfernt sind, konnten der marktbreite S&P 500 und die Technologiebörse Nasdaq nach den stärksten 50 Tagen ihrer Geschichte bereits am Freitag auf Intraday-Basis neue Allzeithochs markieren.

Vor allem die GAFA-Schwergewichte, die bis auf Alphabet allesamt auf Rekordhochs notieren, haben die technologielastigen Indizes hochgezogen. Für viele Anleger mutet die Kursexplosion angesichts der nicht durchgestandenen Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen jedoch bizarr an. “Das ist nicht Papas Aktienmarkt”, merkt etwa der Daytrader Sven Henrich an.

Abkopplung zwischen Realwirtschaft und Börse

Gemeint ist damit die nie dagewesene Abkopplung zwischen der Entwicklung von Aktienmarkt und Konjunktur. “Die V-förmige Erholung an der Börse hat fast nichts mit der V-förmigen Erholung in der Realwirtschaft zu tun”, erklärt CNBC-Marktkommentator James Cramer.

Wie die Situation in der Bundesrepublik mitten in der Corona-Krise aussieht, brachte niemand Geringeres als Bundeskanzlerin Merkel in der vergangenen Woche auf den Punkt: “Wir haben die schwierigste wirtschaftliche Lage, die schwerste Krise seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland“, erklärte Merkel anlässlich der Vorstellung des Konjunkturpakets.

Was kann jetzt schiefgehen?

Wer sich bei der historischen Monsterrally in den vergangenen Monaten rechtzeitig positioniert hat, kann sich angesichts der enormen Kurszuwächse, die normalerweise über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu erzielen wären, glücklich schätzen. “Mehr Rendite als in den letzten Wochen gibt es in den nächsten 10 Jahren nicht”, ist sich Clemens Schmale, Finanzmarktanalyst bei GodmodeTrader, sicher.

Yahoo Finance-Chefredakteur Brian Sozzi beschreibt die Erwartungshaltung der Anleger als ein “Beste-aller-Welten”-Szenario, in dem Investoren, davon ausgehen, dass eine zweite Corona-Welle ausbleibt, die Konjunktur schnell wieder auf das Niveau vom Januar springt, die Arbeitslosenzahlen auf das Niveau von Ende 2019 zurückgehen und Donald Trump wiedergewählt wird.

In anderen Worten: Was kann schon schiefgehen? Was für einen Unterschied drei Monate machen können! An der Börse ist die Stimmung vom Weltuntergang zur Kaufpanik umgeschlagen. Es bleibt abzuwarten, ob sich Anleger bei den extremen Ausschlägen nicht erneut die Finger verbrennen...