Diskussions-Thema "Verhüllung": Wie modern ist Modest Fashion?

Ein Bademoden-Cover mit Hijab und Burkini, eine Fashion Week, deren Entwürfe kaum Haut zeigt und eine Unterwäschekollektion, die komplett „model-frei“ beworben wird: All das ist Modest Fashion – und noch viel mehr. Warum die Branche rund um die zurückhaltende Mode bei allem Erfolg so umstritten ist, weshalb die Modesty-Philosophie moderner ist als viele denken und wie Modest Fashion ihren Trägerinnen als Emanzipationsvehikel dienen kann.

Modest Fashion steht für "bescheidene" Mode, die als intim erachtete Körperpartien bedeckt. (Bilder: Instagram veronacollection / Instagram themodist)
Modest Fashion steht für "bescheidene" Mode, die als intim erachtete Körperpartien bedeckt. (Bilder: Instagram veronacollection / Instagram themodist)

Modest Fashion – was ist das und warum gibt es das?

Zunächst einmal: Modest Fashion, wörtlich übersetzt „bescheidene“ Mode, die das Tragen von so genannter „hautunauffälliger“ Kleidung beschreibt, ist nicht neu: Kleidungsstücke, die den Kopf, Knöchel, Ausschnitte und andere als privat erachtete Körperpartien bedecken, gibt es seit Anbeginn der Zeit. Wer sich für zurückhaltende Mode entscheidet, tut dies heute sicherlich meist aus kulturellen oder religiösen Hintergründen heraus, doch dreht sich Modest Fashion längst nicht nur um die Hijabs und bodenlangen Kleider der Muslima – obwohl dieser Markt sicherlich stark ist und auch für die meisten Schlagzeilen sorgt.

Jede Kultur, jede Religion, jede spirituelle Glaubensrichtung definiert und interpretiert den Begriff der Bescheidenheit für sich anders, obwohl sich Gemeinsamkeiten der verschiedenen Religionen wie etwa eine Kopfbedeckung in der zurückhaltenden Mode vereinen können.

Der Anspruch? Bedeckt bleiben und stylish sein

Religionsübergreifend versteht sich Modest Fashion als lockere, bequeme Kleidung mit dem Anspruch, relativ bedeckt zu bleiben und gleichzeitig stylish auszusehen. "Es gibt ein allgemeines Missverständnis, dass bescheidene Kleidung von Natur aus unterdrückerisch ist", sagte etwa die orthodoxe jüdische Modejournalistin Michelle Honig beim Modesymposium Meeting Through Modesty der New York University.

Erstes Model in Hijab und Burkini: Cover der "Sports Illustrated“

Eine längere Saumlinie oder ein höherer Kragen sind demnach auch kein Zugeständnis ans Patriarchat, sondern in erster Linie eine persönliche Entscheidung und Vorliebe für traditionellere Schnitte, die sich offenbar nachhaltig ihren Platz in der Mode gesichert haben. Und so beschränkt sich die zurückhaltende Mode auch nicht auf bedeckende Kleidungsstücke mit dem Attribut „bloß nicht auffallen“, sondern erweitert sich ständig, auch hinreißende Abendkleider für den großen Auftritt, moderne Bademode und Unterwäsche sind mittlerweile im Modesty-Stil erhältlich.

Wer designt Modest Fashion?

Viele Modest-Fashion-Labels sind aus dem persönlichen Bedürfnis entstanden ein Angebot zu schaffen, wo es noch keines gab: „hautunauffällige“ Kleidung zu entwerfen, modern und fortschrittlich, so regional wie möglich und so global wie nötig. Da gibt es muslimische Labels wie Verona Collection von der 2011 konvertierten Lisa Vogl, jüdisch-orthodoxe Marken wie The Frock NYC von den Designerschwestern Simi und Chaya Gestetner. Oder auch die Mormonin Emily Smith, die mit ihrem Label Tanlines zurückhaltende Bademode und mit Mentionables Lingerie kreiert (letzteres wird auf der Website übrigens komplett model-frei beworben – denn auch so kann sich Modesty definieren).

Der Online-Einzelhändler The Modist mit Hauptsitz in Dubai verfolgt einen konfessionslosen Ansatz und möchte Frauen verschiedener Glaubensrichtungen, Altersgruppen, Typen und Kulturen ansprechen. „Es spielt für uns keine Rolle, was der Grund für die Wahl dezenter Kleidung ist“, wird der algerische Firmengründer Ghizlan Guenez im Modemagazin „Vogue“ zitiert. “Alles, worum wir uns kümmern, ist es, Damenmode und Funktionalität in gehobenem Rahmen anzubieten.“

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Auch die internationalen Labels sind mittlerweile auf den Modesty-Zug aufgesprungen: Der Fashion-Retailer Mango lanciert regelmäßig Kollektionen, die dem Modesty-Stil entsprechen - von Tuniken über Kaftane bis zu Maxikleidern. Das japanische Label Uniqlo sowie Nike designten Linien mit Hijabs. Auch Designerbrands wie DKNY, Tommy Hilfiger, Oscar de la Renta oder Monique Lhuillier haben spezielle Kollektionen für den Ramadan produziert und sprechen damit ganz gezielt die muslimische Zielgruppe an.

Wer trägt Modest Fashion – und warum?

Tatsächlich sind die muslimischen Konsumentinnen – rein wirtschaftlich gesehen –vielversprechend: Laut des „State of the Global Islamic Economy Reports" sollen die muslimischen Konsumausgaben für Bekleidung bis 2023 auf 361 Milliarden US-Dollar steigen – eine unglaubliche Steigerung im Vergleich zu 2017, als „nur“ 270 Milliarden Dollar für Kleider ausgegeben wurden.

Dennoch gibt es nicht „die eine Religion“, „die eine Kundin“ und nicht „den einen Look“ für Modest Fashion. So verschieden die Outfits sind (fließende Kleider, Rollkragenpullover, lange Ärmel unter kurzen Ärmeln, Schals, Tuniken, Kaftane, Palazzo-Hosen...), so unterschiedlich auch die Ansprüche der Käuferinnen, die eines eint: der Wunsch, mit der Mode die eigene Persönlichkeit und die eigenen Überzeugungen zu unterstreichen.

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Online-Marktplätze wie ModLi (quasi das Etsy der bescheidenen Mode) und das wachsende Angebot aller Preis- und Stilklassen erweitert das Spektrum der Modest-Fashion-Kundinnen, die in Sachen Mode genauso selbstbewusst und experimentierfreudig sind wie andere auch: "Unsere Frau ist in ihren modischen Entscheidungen sehr mutig, und wir lieben das, weil es alle Stereotype rund um dezente Kleidung über Bord wirft – von wegen langweilig und trist", beschrieb „The Modist“-Gründer Guenez seine Zielgruppe in „Vogue“.

Und so ist es auch nicht abwegig, dass sich auf Instagram und anderen Social Media auch Modest-Fashion-Influencer etablieren: Mormonin Emily Smith hat als „Modest Goddess“ auf Instagram noch „nur“ rund 25.000 Follower, während die kuwaitisch-amerikanische Bloggerin Ascia schon rund 2,6 Millionen Fans um sich vereint. Letztere startete ihren Account 2012, aus Frust, dass es so wenige Frauen gab, die online „wie sie aussahen“: "So viele Jahre waren wir abgeschrieben", wird Ascia von „Vogue“ zitiert. "Niemand bediente unseren Sinn für Mode, niemand dachte an uns als Einheit." Sieben Jahre später sieht die Realität anders aus.

Wie selbstverständlich ist Modest Fashion heute?

Die Modest-Fashion-Branche, deren Wert mit Designern, Bekleidungsherstellern und Beschäftigten Ende 2018 von „Buzzfeed" auf 250 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde, wächst weiter und gewinnt auch bei nicht religiösen Interessenten an Bedeutung – und an Sichtbarkeit in der Modewelt: Seit 2017 gibt es eine Modest Fashion Week, am London College of Fashion beschäftigt sich Professorin Reina Lewis durch Studien und Untersuchungen mit dem Phänomen.

Ein Model auf der London Modest Fashion Week. (Bild: Getty Images)
Ein Model auf der London Modest Fashion Week. (Bild: Getty Images)

Der Onlineshop Net-a-Porter hat eine Standardkategorie „Modest“ eingeführt, das Damenmode-Sortiment nach rein ästhetischen Kriterien filtert - unabhängig davon, ob diese von einem Modest-Fashion-Designer stammen oder nicht. Und so kann man durchaus sagen, dass Modest Fashion auf dem Weg in Richtung Selbstverständlichkeit ist.

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Auch wenn Supermodels im Hijab, Burkinis auf Bademoden-Cover immer noch für Diskussionen sorgen, können sich die Trägerinnen von bescheidener Mode endlich von der Fashion-Industrie gesehen und bedient fühlen, sie als Ausdruck ihrer Identität einsetzen, sich damit emanzipieren und von der grauen Masse absetzen.

Modest Fashion – Zwang zur Verschleierung oder Wahlfreiheit?

„Es ist ebenso falsch, eine Frau zu zwingen, sich zu bedecken, wie sie zu zwingen, sich nicht zu bedecken“, sagt Professorin Reina Lewis – und macht damit den Spagat sichtbar, in dem sich Modest Fashion befindet: Wird Modesty als Überzeugung und Lebenseinstellung interpretiert statt als Zwang, erweitert auch Modest Fashion den Entscheidungsspielraum seiner Trägerin. Schließlich geht es in diesem Zusammenhang nicht um die Frage, ob die Frau sich verschleiert zeigt oder nicht. Sondern darum, wie sie sich - auch verschleiert - modisch und nach ihrem Geschmack kleiden und Mode zum Ausdruck ihrer Identität verwenden kann.