(Don't) Believe the Hype: Der neue Joker

Das ist der neue Joker: Put on a happy face. (Bild: © 2019 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. TM & © DC Comics)
Das ist der neue Joker: Put on a happy face. (Bild: © 2019 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. TM & © DC Comics)

Wenn alle nur noch über ein Thema reden, beantwortet die Yahoo-Style-Kolumne "(Don’t) Believe the Hype" die unvermeidbare Frage: Ist der Hype gerechtfertigt oder nicht? Diesmal im Fokus: Der neue, von Joaquin Phoenix gespielte Joker.

Eine Kolumne von Carlos Corbelle

Sieht man auf der Leinwand einen neuen Darsteller in der Rolle des Jokers, kommt man kaum umhin, an Heath Ledgers geniale Verkörperung des mörderischen Clowns zurückzudenken. Selbst angesichts eines schauspielerischen Schwergewichts wie Joaquin Phoenix. Ledgers Joker in Christopher Nolans "The Dark Knight" war eine Figur, die psychologisch nicht zu fassen war, ein enigmatischer, abgründiger Irrer im Dienste des Chaos, von dem wir nie erfahren, wie oder warum er zu dem wurde, was er ist. Für das Böse, so der Ansatz Nolans, gibt es letztlich ebenso wenig eine Erklärung wie für das vernarbte Gesicht von Ledgers Joker, der uns verschiedene, sich vollkommen widersprechende und vermutlich allesamt unwahre Erklärungen für seine versehrte Fratze gibt. "Ich bin kein Monster", sagt er irgendwann. "Nur der Zeit voraus."

Why so Serious? Heath Ledger als Joker. (Bild: ddp images)
Why so Serious? Heath Ledger als Joker. (Bild: ddp images)

Und nun kommt Regisseur Todd Phillips, der Mann, der uns einst den witzigsten "Hangover" der Kinogeschichte bescherte, und pinselt mithilfe von Phoenix einen Joker auf die Leinwand, der sich brutaler ins Hirn seines Protagonisten bohrt als es ein Kater jemals könnte. Der Filmemacher geht bei seiner Neuinterpretation des Killer-Clowns einen gänzlich anderen Weg als sein Vorgänger Nolan. War "The Dark Knight" ein Action-Blockbuster, kommt sein Film als dreckige, an Martin Scorseses 70er-Jahre-Klassiker "Taxi Driver" erinnernde Charakter-Studie daher. Arbeitete sich Nolans Joker an seinem Erzfeind Batman ab, geht es bei Phillips (fast) einzig und allein um die Origin Story des Mannes hinter der Clownsmaske. Spielte Nolans Film im Hier und Jetzt, führt uns Phillips in die 80er zurück.

Joaquin Phoenix spielt den Joker als gescheiterten Komiker mit desolatem Geisteszustand, als Mann, dessen Körper unwillkürlich mit unkontrollierbarem Lachen auf Überforderungen reagiert und mit jeder weiteren, echten und/oder imaginierten Kränkung durch seine Umwelt tiefer in den Wahnsinn driftet. Der Schauspieler, der nach Ledger der zweite Star werden könnte, der für den Joker den Oscar bekommt, spielt sich die Seele und den Verstand aus dem Leib. Eindringlicher kann man diese Reise ins Herz der Finsternis kaum verkörpern.

Wenn das Lachen zur Qual wird: Joaquin Phoenix als Arthur Fleck, der später zum Joker wird. (Bild: © 2019 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. TM & © DC Comics)
Wenn das Lachen zur Qual wird: Joaquin Phoenix als Arthur Fleck, der später zum Joker wird. (Bild: © 2019 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. TM & © DC Comics)

Phillips weicht seinem Joker - abgesehen von einer kurzen, aber bedeutenden Szene - keinen Moment von der Seite. Was wir sehen, sehen wir im Grunde stets aus seiner Perspektive. Die Leinwand wird zum Irrenhaus und wir sitzen zwei Stunden lang mit dem Joker in der Gummizelle seines Verstandes fest. Phillips geht aber noch weiter, macht seinen ohnehin schon verstörenden Film ein ganzes Stück unbequemer, indem er ihn, trotz des 80er-Settings, zur Echokammer heutiger Befindlichkeiten macht. In Phillips' Gotham wabert die Wut der sozial Abgehängten unter der Oberfläche und bricht sich auf fürchterliche Weise Bahn, weil sie letztlich lieber einem Irren folgen, als auch nur einem einzigen, weiteren Versprechen der weniger abgehängten zu lauschen. Das fiktive Gotham City war unserer Welt selten näher als hier. Würde der Joker im Weißen Haus sitzen, würde er wohl orange statt weiße Schminke und gelbe statt grüne Haare tragen. Und würde er eine Partei führen, würden möglicherweise lustige, kleine Hunde seine Krawatte zieren. Clown bleibt halt Clown, auch in der Politik.

Es gibt eine Szene, in der der Joker, bevor er später zum Joker wird, bei seiner Sozialarbeiterin sitzt und erfährt, dass ihr die finanziellen Mittel gestrichen wurden. "Die scheren sich einen Scheißdreck um Leute wie dich", sagt die Afroamerikanerin. "Und um Leute wie mich scheren sie sich ebenfalls einen Scheißdreck." Die Pointe: Durch die Sozialarbeiterin bezieht er auch seine Medikamente, die ihm von staatlicher Seite spendiert werden. Auf die Frage, wo er sie nun herkriegen soll, erhält er keine Antwort.

Zwischen diesen Zumutungen pendelt Phillips' Film: Individueller Wahnsinn und gesellschaftlicher Irrsinn stehen sich grinsend gegenüber, Täter und Opfer gehen Hand in Hand. Sozialromantische Stilisierung zum Anti-Helden? Vergiss es! Letztlich ist dieser Joker die erschreckende Verkörperung eines Horrors, vor dem uns selbst Batman nicht retten kann.

"Ich bin kein Monster", sagte der alte Joker einst. "Nur der Zeit voraus." Da kann der neue Joker, zehn Jahre später, bloß irre lachen.

Fazit: Believe the Hype!

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