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Drogenatlas: Diese illegalen und legalen Drogen sind in Europa am beliebtesten — Kultur und Schmuggelrouten prägen den Konsum

Kokain ist weit verbreitet in Europa – am häufigsten wird es in Ländern konsumiert, über die die Dealer die Droge nach Europa schmuggeln.
Kokain ist weit verbreitet in Europa – am häufigsten wird es in Ländern konsumiert, über die die Dealer die Droge nach Europa schmuggeln.

Schätzungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) zufolge haben fast 30 Prozent aller Bürger in Europa schon einmal illegale Drogen konsumiert – von Cannabis bis hin zu starken Opioiden. Das kann je nach Substanz und Zeitraum des Konsums extreme gesundheitliche Schäden zur Folge haben. Aber auch legale Drogen wie Tabak und Alkohol führen zu Gesundheitsschäden. Trotzdem trinken fast 30 Prozent aller Europäer wöchentlich Alkohol.

Dass der Konsum von Drogen ungesund ist, dürfte jedem bekannt sein. Aber woran liegt es, dass Menschen noch Drogen konsumieren und vor allem: Warum unterscheidet sich die Häufigkeit des Konsums unterschiedlicher legaler und illegaler Drogen über die Länder in Europa so stark? Wir haben Zahlen des europäischen Drogenberichts 2021 der EMCDDA und Daten des europäischen Statistikamts (Eurostat) ausgewertet. Abhängig von der Droge gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Ländern Europas – was mit Handelsrouten, kriminellen Strukturen und der Lebensweise der Bevölkerung zusammenhängt.

Spanien als Tor Europas für den Kokainhandel

Die folgende Grafik zeigt die Prävalenz von Kokain bei allen 15 bis 56-Jährigen in bestimmten Ländern Europas. Die Prävalenz beschreibt den Anteil der Menschen einer Altersgruppe, die mindestens einmal in ihrem Leben diese Droge konsumiert haben. Auffällig ist besonders der hohe Anteil in Spanien, Großbritannien und der Niederlande.

Der Soziologe und Suchtforscher Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences erklärt das im Gespräch mit Business Insider so: Kokain werde in der Regel nicht in Europa hergestellt und gelange über den Seeweg aus Südamerika und Westafrika hierher. "Die Länder mit den großen Häfen – wie Spanien – sind das Tor Europas für den illegalen Kokainhandel. Dadurch gelangen große Mengen des Stoffes in das Land und einiges bleibt auch eben direkt in den Transitländern", sagt er. Allein dadurch, dass ein Land auf einer Handelsroute liegt, geraten die Menschen ihm zufolge mit der Droge in Kontakt – was die Zahl der Konsumenten in die Höhe treibt.

Auch bei Cannabis erklären Handelsrouten teilweise die höhere Prävalenz in einigen Ländern. In Europa ist die Niederlande der größte Produzent. In dem kleinen Land wird laut Stöver wesentlich mehr Hanf angebaut, als die Bevölkerung konsumieren könne. Der Rest wird demnach illegal in andere Länder geschleust und dort verkauft.

Nähe Deutschlands zur Niederlande fördert Cannabis-Konsum

Das macht sich besonders bei Ländern bemerkbar, die nah bei der Niederlande liegen. Hier ist der Schmuggel kosteneffizient und das Risiko gering. Beispiel Deutschland: Vergleicht man die hiesige Prävalenz von Kokain (Rang 13 im europäischen Vergleich) mit der von Cannabis (Rang 7), dann zeige sich, so Stöver, wie stark die geografischen Gegebenheiten den Drogenkonsum eines Landes beeinflussen können.

Neben der Lage eines Landes sei auch die Kultur entscheidend. Das lasse sich etwa an Frankreich gut erkennen, so Stöver. Er sagt: "Der Drogenkonsum hat auch etwas mit dem Wirkungserleben zu tun. Frankreich ist ein Genussland, und besonders in den ruhigeren ländlichen Regionen findet Cannabis großen Anklang." Dass in Frankreich viele Menschen bereits Cannabis geraucht haben, sei auch auf das Lebensgefühl zurückzuführen. Auch andere Länder wie Italien und Spanien, die ebenfalls als Genussländer gelten, weisen eine höhere Prävalenz von Cannabis auf.

Für den Handel mit Cannabis spielt die Niederlande eine entscheidende Rolle. Aber auch neue psychoaktive Substanzen (NPS) werden in der Niederlande produziert und dann in viele Ecken Europas geliefert. Ursächlich dafür sei die lasche Drogenpolitik des Landes. Eine Recherche des "Spiegel" zeigt, wie illegale Banden dort weitestgehend störfrei Drogen produzieren und vertreiben können. Daten zur Prävalenz von NPS in Europa gibt es bis jetzt noch nicht. Stöver ist überzeugt, dass auch hier in Frankreich, Großbritannien und Deutschland die Zahlen höher liegen werden.

Heroin wird in Osteuropa häufig konsumiert

Die Datenlage bei Opioiden – wie Heroin – ist etwas undurchsichtiger. Die EMCDDA gibt hier nur Schätzungen für den Anteil an Opioidsüchtigen eines Landes an, die dazu mit einer großen Fehlertoleranz verbunden sind. Auffällig ist, dass Osteuropa eine erhöhte Anzahl an Konsumenten aufweist – besonders im Vergleich mit anderen Drogen, die über andere Handelsrouten nach Europa gelangen und seltener genutzt werden. Opioide werden häufig in Afghanistan produziert und gelangen über die Balkan-, Russland- oder Kaukasus-Route nach Europa. Finnland und die Länder im Baltikum haben im Vergleich besonders viele Konsumenten pro 100.000 Einwohner.

Dass auch in Ländern Westeuropas, wie Dänemark oder Großbritannien, die Zahl der Opioid-Konsumenten vergleichbar hoch liegt, zeigt laut Stöver, dass neben Handelsrouten und Kultur die Strukturen des illegalen Drogenhandels entscheidend seien. Als Folge der Subkultur und Jugendszene aus vergangenen Jahrzehnten existieren in weiten Teilen Westeuropas weiterhin kriminelle Strukturen. Die Nachfrage damals habe ein Angebot geschaffen, so der Suchtforscher – und heute schaffe das Angebot eine Nachfrage. In Osteuropa hätten sich diese Strukturen noch nicht in ähnlicher Weise bilden können, weswegen hier im Allgemeinen weniger Drogen konsumiert wurden.

Prävention wirkt bei legalisierten Drogen

Aber wie verhält sich der Konsum, wenn die Droge nicht illegal ist? Alkohol- und Tabakverkauf ist in Europa zwar legal, trotzdem gibt es große Unterschiede bei der Besteuerung und anderen politischen Maßnahmen – wie einem Rauchverbot in Kneipen oder Werbeverbote. Da hier ein Vergleich der Anteile einer Bevölkerung, die jemals Alkohol getrunken haben, wenig sinnvoll ist, haben wir verglichen, wie viele Menschen eines Landes wöchentlich Alkohol trinken. Hier bilden trotz erhöhter Steuern die Länder Skandinaviens, sowie die Niederlande und Belgien die Spitze.

Bei Tabak scheinen höhere Steuern besser zu wirken. Hinzu kommen Werbeverbote, die vor allem junge Menschen abhalten sollen, mit dem Rauchen zu beginnen. Im Vereinigten Königreich zum Beispiel sind Zigaretten dadurch aus dem öffentlichen Leben nahezu verschwunden. "Das zeigt die Kraft der Verhaltensprävention. In Deutschland funktioniert das wesentlich schlechter und wir sehen hier inzwischen sogar wieder eine Zunahme der Raucher", erklärt Höver. In Osteuropa werde kaum auf präventive Maßnahmen gesetzt, was sich auch in den Zahlen der Raucher widerspiegele.

Trotzdem: In Osteuropa ist die Prävalenz für alle Drogen, die illegalen wie legalen, deutlich geringer. Von einem westeuropäischen Drogenproblem will Stöver trotzdem nicht sprechen, vor allem, wenn man die Zahlen hier vergleiche mit anderen Regionen der Welt. "Vergleicht man die Zahlen mit denen in den USA und Kanada, sieht man, dass wir trotz der konservativen Drogenpolitik in Europa kein unlösbares Problem mit dem Konsum von Drogen haben."

Für Stöver ließen sich die Zahlen weiter senken: indem man jegliche Substanzen legalisieren würde. Laut dem Soziologen käme eine Entkriminalisierung den Betroffenen genauso wie der Gesellschaft zugute. Denn glaubhafte Präventionspolitik, die lasse sich nur mit einem offenen Umgang der Gesellschaft mit Drogen vereinbaren. Davon ist der Suchtexperte überzeugt.