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Ein Jahr nach MeToo: Was hat sich geändert?

Aktivistinnen bei der “Believe Survivors. Stop Kavanaugh”-Kundgebung von <em>Time’s Up & Partners</em> in Los Angeles am 28. September 2018. (Bild: Chelsea Guglielmino/Getty Images)
Aktivistinnen bei der “Believe Survivors. Stop Kavanaugh”-Kundgebung von Time’s Up & Partners in Los Angeles am 28. September 2018. (Bild: Chelsea Guglielmino/Getty Images)

Am 15. Oktober 2017 hat die aus der US-Serie “Charmed” bekannte Schauspielerin Alyssa Milano auf Twitter und Instagram dazu aufgerufen, jeder, der sexuell belästigt oder genötigt worden sei, solle auf ihren Post mit “metoo” (ich auch) antworten, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Milano wurde von Hollywood-Mogul Harvey Weinstein sexuell belästigt und vergewaltigt.

Viele Millionen Menschen haben seitdem das Hashtag #MeToo oder Sprachvarianten davon verwendet. Weil sie selbst betroffen sind, weil sie Solidarität zeigen oder weil sie auf die Kampagne aufmerksam machen wollen. Immer mehr Schauspielerinnen und Models, die wie Milano Opfer von Filmproduzent Weinstein wurden, brachen ihr Schweigen.

Was hat sich durch die MeToo-Bewegung geändert?

1. Das Thema ist präsenter als zuvor.

Den Begriff “MeToo” hat die afro-amerikanische Bürgerrechtlerin Tarana Burke eigentlich bereits seit 2006 verwendet. Doch durch Milanos Aufruf, den Promi-Faktor und Social Media schlug MeToo plötzlich riesige Wellen. Die Kampagne schwappte auf die Filmindustrie und andere Bereiche über. Weitere berühmte Männer, ob aus Film, Fernsehen, Politik oder Kultur, wurden wegen sexueller Übergriffe zur Rechenschaft gezogen oder mussten zu Vorwürfen Rede und Antwort stehen.

Die Fälle verlaufen unterschiedlich. Bill Cosby sitzt für mindestens drei Jahre im Gefängnis, Brett Kavanaugh als Verfassungsrichter auf Lebenszeit im Obersten Gerichthof der Vereinigten Staaten von Amerika, und Harvey Weinsteins Prozess soll nach mehreren Verzögerungen nun im November 2018 beginnen.

Fakt ist: Die MeToo-Kampagne rückt die Opfer mehr in den Fokus, ihre Namen, ihre Erlebnisse, ihre Gefühle. Auf Milanos #MeToo folgten Hashtag-Ableger wie #WhyIDidntReport, #TimesUp oder #BelieveSurvivors. Die Frauen finden mehr Gehör als je zuvor.

Aus Solidarität mit den von sexuellen Übergriffen Betroffenen kamen duzende weibliche Hollywood-Stars, von Reese Witherspoon bis Nicole Kidman, zur Golden Globe-Verleihung Anfang des Jahres nicht in glanzvollen Roben, sondern ganz in Schwarz. Bei den kurz darauf folgenden Oscars nicht mehr, aber die “Ladys in Black” arbeite(te)n abseits des roten Teppichs aktiv für das, wofür sie ein Statement gesetzt hatten.

Durch MeToo ist das Problem der sexuellen Belästigung stärker in den Fokus geraten. In dem Kampf geht es aber auch allgemein um die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt, etwa in Bezug auf die ungleiche Bezahlung oder Postenverteilung zu ihren Ungunsten bei gleicher Qualifikation.

2. Betroffene Frauen sind mutiger geworden, ihre Erfahrung mitzuteilen und zu melden.

Eine weitere Frau, die die MeToo-Debatte unlängst stark anheizte, ist Dr. Christine Blasey Ford. Die Psychologie-Professorin aus Kalifornien hat am 27. September vor dem Justizausschuss des Senats in Washingon ausgesagt, dass der für den Obersten Gerichtshof nominierte Kandidat Brett Kavanaugh sie im Jahr 1982 sexuell angegriffen hatte. Ihre Aussage änderte nichts an Kavanaughs Benennung. Jedoch bedankten sich die MeToo-Anführerinnen, allen voran die Gründerin Tarana Burke, im Oktober in einem offenen Brief an die 51-Jährige für ihre Courage und betonen, ihr Opfer (an die Öffentlichkeit zu gehen), sei nicht umsonst gewesen.

Frauen haben durch MeToo weniger das Gefühl der Scham, das sie zurückhält, von ihren Erlebnisssen zu erzählen und etwas gegen ihren Angreifer zu unternehmen. Vielmehr fühlen sich die Opfer durch die Erlebnisse anderer Frauen, die reklamieren, sexuelle Übergriffe erlebt zu haben, bestärkt darin, ihre Stimme zu erheben. So auch Kathryn Mayorga, die Frau, die Fußballstar Cristiano Ronaldo vorwirft, sie vor neun Jahren in einem Hotel in Las Vegas vergewaltigt zu haben und die zunächst ein Schweigeabkommen unterschrieben hatte. Stundenlang las sie am Computer die Geschichten anderer Frauen, erzählte sie dem Magazin Der Spiegel. Ihr neuer Anwalt, Leslie Stovall, und andere persönliche Beweggründe haben die Amerikanerin dazu bewegt, doch Anklage gegen den Portugiesen erheben zu wollen. Die US-Polizei möchte den Juventus-Kicker nun verhören. Der genaue Zeitpunkt ist noch unklar.

Und in Deutschland? Da ist die Meldebereitschaft betroffener Frauen ebenfalls gestiegen. Beispielsweise in der Männerdomäne Bundeswehr wurden im Jahr 2017 80 Prozent mehr Fälle von sexueller Belästigung oder Gewalt gemeldet. Das Ministerium erklärte den starken Anstieg auch mit der erhöhten Sensibilität durch die MeToo-Kampagne und dass Verdachtsfälle öfter und früher gemeldet würden.

3. Betroffene werden besser unterstützt und es wird mehr an dem Problem gearbeitet.

Es gibt seit MeToo mehr finanzielle Unterstützung, mehr Anlaufstellen und es ist für Betroffene klarer, an wen sie sich wenden können.

Blick nach USA
Eine Initiative, die einen großen Schritt in diesem Bereich gemacht und Millionen von Dollar aufgetrieben und ausgegeben hat ist der Time’s Up Legal Defense Fund. Mehr als 300 Hollywood-Künstlerinnen, darunter Alyssa Milano, haben die Kampagne ins Leben gerufen, die weltweit von Stars unterstützt wird, übrigens auch von prominenten Männern wie Mark Wahlberg und Sam Rockwell. Das Time’s Up-Projekt verschafft dem Problem noch mehr Sichtbarkeit. Außerdem finanziert es die Rechtsberatung für Opfer von sexueller Belästigung oder Vergewaltigung am Arbeitsplatz, nicht nur in der Filmindustrie.

Zudem hat die amerikanische Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild erstmals einen Code of Conduct erstellt, der sexuelle Belästigung definiert und darauf hinweist, dass Vorgesetzte, die ein solches Fehlverhalten dulden, gegen die Geschäftsvereinbarungen verstoßen.

Für betroffene Frauen in der US-Politik hat die Kongressabgeordnete Jackie Speier klargestellt, wie dem United States Congress Beschwerden wegen sexueller Belästigungen leichter gemeldet werden können. Einer Umfrage zufolge wussten nämlich nur zehn Prozent der weiblichen Angestellten, dass es ein bestimmtes Prozedere gibt, wie ein Übergriff gemeldet werden muss.

In Amerika wurden des Weiteren in verschiedenen Staaten mehrere Gesetze zum Schutz vor sexueller Belästigung verabschiedet. Emily Martin, eine Vizepräsidentin des National Women’s Law Center sagte in einem Gespräch mit der New York Times, dass diese ohne die MeToo-Bewegung wohl kaum auf den Weg gebracht oder durchgesetzt worden wären.

Mehr Respekt sorgt für weniger sexuelle Belästigung. (Bild: Getty Images)
Mehr Respekt sorgt für weniger sexuelle Belästigung. (Bild: Getty Images)

Auch Firmen haben erkannt, dass sie etwas ändern müssen, und amerikanische Human Resources Abteilungen geben dem Thema seit MeToo mehr Priorität. In den Staaten Kalifornien, Illinois und Delaware müssen viele Firmen jetzt sogar ihre Mitarbeiter durch Schulungen darüber aufklären, was sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist. Bettina Deynes von der Society for Human Resource Management stellt für ihr Land fest, dass sich die Richtlinien, der Umgang, die Ahndung und das Schulungsangebot im Nachgang zu MeToo verbessert haben. Darüber hinaus wird nun öfter in Verträgen die Konsequenz aus sexuellem Fehlverhalten festgehalten.

Beispiele aus Deutschland
Natürlich sind in Deutschland Personalabteilungen ebenfalls aktiv geworden. So hat etwa die Fluggesellschaft Lufthansa im Juni dieses Jahres zusätzlich zum bestehenden internen Hilfsangebot zwei externe Vertreter eingesetzt: eine Ombudsfrau und einen Ombudsmann, die als Ansprechpartner für Opfer sexueller Belästigung zur Verfügung stehen. Sexuelle Übergriffe gegenüber Flugbegleitern seien ein großes Thema, wie Nicoley Baublies von der Flugbegleitergewerkschaft Ufo gegenüber der Zeitung Welt sagte.

Ferner wird in der Modebranche sexueller Missbrauch “schon fast als ein Teil des Jobs” angesehen, wie es das englische Topmodel Edie Campbell im November 2017 in einem offenen Brief in dem Magazin WWD beklagte.

Zum Schutz von Models überarbeitete der hierzulande und international agierende, renommierte Verlag Condé Nast als Reaktion auf den Weinstein-Skandal seinen Code of Conduct. Bei Shootings für ihre Hochglanzmagazine wie Vogue und Glamour etwa soll der Verhaltenskodex die Basis für eine sichere Umgebung und würdevolle Zusammenarbeit sein. In Verträgen wird nun vorab geregelt, ob das Model Haut zeigen und verführerische Posen einnehmen soll.

Für eine bessere Zukunft, in der eine #MeToo-Reaktion überflüssig sein soll, haben in der Schauspielbranche Vertreter der deutschen Filmhochschulen ein Positionspapier mit dem vielsagenden Titel “Weichen stellen für Gender-Gerechtigkeit – Die Filmhochschulen als Wegbereiter für eine bessere Branche” erarbeitet und zur 68. Berlinale im Februar 2018 vorgestellt. Das erklärte Ziel: Es sollen bereits in der Filmausbildung Gender und Diversity gelebt und der richtige Umgang mit Machtmissbrauch gelehrt und gelernt werden.

Fazit

Die Aufmerksamkeit und Sensibilität für das Thema sexuelle Belästigung und Gewalt sind durch MeToo größer geworden, genauso wie die Bereitschaft, etwas zu ändern.

Ob in Hollywood, in der Politik oder in der allgemeinen Arbeitswelt: Es gibt mehr Silence Breakers unter den betroffenen Frauen, und viel mehr Institutionen arbeiten jetzt an unterschiedlichen Aspekten des Problems. Durch MeToo ist man also innerhalb des letzten Jahres in den Bemühungen um Schutz und Gleichberechtigung von Frauen weiter gekommen. Spannend zu beobachten wird sein, welche Ziele weiterhin erreicht werden und werden sollen. “50/50 bis 2020” etwa lautet eines im Filmgeschäft: In Hollywood sollen bis zum Jahr 2020 gleich viele Männer wie Frauen in Führungspositionen sein. Die Zeit läuft.