Mit Empathie und Widerstand zu mehr Gerechtigkeit: Aktivistin Kristina Lunz im Interview

Kristina Lunz

Autorin und Aktivistin Kristina Lunz

Stevy Hochkeppel,

Die cozy Season hat begonnen – und besonders gemütlich ist es doch in der eigenen Bubble. Dort, wo alle einer Meinung sind: Feminismus ist wichtig und mit den Rechten reden wir nicht. Doch die blauen Flecken auf den Wahlkarten werden immer größer und laut Umfragen ist jede*r vierte Deutsche der Meinung: Feminismus stört.

Vielleicht ist es Zeit, wieder mehr aufeinander zuzugehen. Aber wie kann uns das gelingen? Die Antwort liefert Kristina Lunz in ihrem neuen Buch „Empathie und Widerstand“. Als eine der großen Stimmen des feministischen Aktivismus kennt sie die Herausforderungen im Kampf für eine gerechte Gesellschaft. Uns erklärt sie im Interview, wie wir es schaffen, in einer immer komplexeren Welt eine innere Haltung zu entwickeln und zu verteidigen.

Mit Empathie und Widerstand zu mehr Gerechtigkeit

Elle.de: Rechte Kräfte erstarken weltweit und bedrohen unsere hart erkämpften Frauenrechte. Wie wirkt sich der Rechtsruck auf Ihre Arbeit als Aktivistin aus?

Kristina Lunz: Sie wird noch dringlicher, bedeutender, prekärer und noch mehr bekämpft. Rechtsextremismus und Antifeminismus gehen Hand in Hand. Sie teilen die Vorstellung einer vermeintlich „natürlichen“ gesellschaftlichen Ordnung, in der traditionelle Geschlechterrollen fest verankert sind und Frauen eine untergeordnete Rolle spielen. Und so wie für die Familie eine starke Vaterrolle gefordert wird, braucht es eine starke politische Führungspersönlichkeit, die das Land und die Nation lenkt und „schützt“ – so die rechtsextreme Erzählung. Deshalb ist für mich klar, dass in den nächsten Jahren ein großer Teil meines Widerstands in die Bekämpfung rechter und rechtsextremer Ideologien fließen wird.

Bei dieser Bekämpfung wollen Sie laut dem Titel Ihres Buches auf „Empathie und Widerstand“ setzen. Das klingt nach einem absoluten Gegensatz …

Kristina Lunz: Die Herausforderungen sind immens, der Wunsch nach Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände ist umso stärker. Es bedarf eines moralischen Kompasses, einer Grundhaltung, geprägt von Menschlichkeit und Verständnis, die gleichzeitig klare Grenzen setzt und damit positiven Wandel erreicht. Ich bin überzeugt, dass eine Mischung aus Empathie und Zugewandtheit, gepaart mit klaren Grenzen und Widerstand gegen Unrecht genau die Form des Kampfes für eine gerechtere Welt darstellt, mit der viele Menschen sich identifizieren können.

Die Psychologie nennt die Eigenschaft, in einer solch komplexen Welt manövrierfähig zu bleiben, Ambiguitätstoleranz: Man muss nicht nur damit leben und es im besten Fall akzeptieren können, dass es viele unterschiedliche und auch widersprüchliche Ideen und Meinungen gibt, sondern man erkennt an, dass diese Vielfalt nicht bedrohlich, sondern bereichernd ist. Wenn Gesellschaften in Bewegung sind, die Welt voller Herausforderungen ist und die Menschheit vor vielen unzureichend gelösten Fragen steht, gilt es, unterschiedliche Gefühle und Zustände gleichzeitig aushalten zu können. Wie Wut und Zuversicht. Diese beiden Gefühle sind die Basis, auf der bei mir Empathie und Widerstand gründen.

Empathie ist etwas, das von Frauen mehr erwartet wird als von Männern. Glauben Sie, dass Frauen dadurch im Widerstand einen Vorteil haben?

Kristina Lunz: Frauen werden in unserer Gesellschaft so sozialisiert, dass sie lieb und nett sein und bloß nicht zu viel fordern sollen. Empathie zu zeigen, ist historisch gesehen auch eine Überlebensstrategie für Frauen in einer Welt, in der sie oft mit männlicher Gewalt konfrontiert sind. Es kann helfen, sich in andere hineinzuversetzen und potenzielle Gefahrensituationen frühzeitig zu erkennen. Es gibt viele bemerkenswerte Frauen, die durch ihre Widerständigkeit unsere Gesellschaft maßgeblich beeinflusst haben. In meinem Buch erwähne ich einige von ihnen, wie Düzen Tekkal, Luisa Neubauer oder Ailbhe Smyth, die die Entkriminalisierung von Abtreibungen in Irland durchsetzte.

Nicht nur im Widerstand, sondern auch in der eigenen Familie und im Freundeskreis erleben wir, dass Menschen in rechte und frauenfeindliche Weltanschauungen abdriften. Wie sollten wir Ihrer Meinung nach mit diesen Menschen umgehen?

Kristina Lunz: Je enger die Beziehung zu der Person ist, desto größer ist die Chance, sie von ihrem Irrweg abzubringen. Es erfordert eine Kombination aus Empathie und Widerstand: Empathie für berechtigte Sorgen wie Angst vor Wohlstandsverlust oder politische Marginalisierungen. Doch wenn aus diesen Ängsten heraus Feindbilder konstruiert werden und die Menschenwürde verletzt wird, müssen wir Widerstand leisten.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass wir dabei auch rote Linien brauchen, die wir verteidigen. Wann ist für Sie persönlich eine solche rote Linie überschritten?

Kristina Lunz: Für mich sind rote Linien überschritten, wenn Menschen nicht respektvoll sind. Wenn das Gegenüber oder andere abgewertet werden, die Menschenwürde abgesprochen oder Menschenrechte verletzt werden.

Solche persönlichen Grenzen zu setzen, erfordert aber auch eine starke innere Haltung. Wie finden wir die?

Kristina Lunz: Mein Buch möchte genau dafür Anregungen geben, wie man diese Haltung entwickeln kann. In besonders schwierigen Situationen, etwa in Kriegen, ist es wichtig, Empathie für Zivilist*innen auf allen Seiten zu zeigen. Meine Referenzpunkte sind oft Peacebuilder*innen – diejenigen, die vor Ort seit vielen Jahren mit gewaltfreien Mitteln an einer gemeinsamen, friedlichen Vision arbeiten.

Was kann Ihrer Meinung nach jede*r tun für eine gerechte Gesellschaft?

Kristina Lunz: Jede*r kann in seinem Alltag Verantwortung übernehmen und aktiv zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen. Das beginnt bei kleinen Handlungen, wie dem bewussten Hinterfragen von Vorurteilen und Stereotypen, dem Einstehen für andere Menschen in schwierigen Situationen oder der Unterstützung von Initiativen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Es ist auch wichtig, sich politisch zu engagieren – sei es durch Wahlen, Petitionen oder Demonstrationen. Empathie zu zeigen, aktiv Widerstand zu leisten, wo Unrecht geschieht, und sich solidarisch mit Betroffenen zu zeigen, sind entscheidende Schritte. Eine gerechte Gesellschaft entsteht, wenn wir nicht nur unsere eigenen Interessen verfolgen, sondern auch für das Wohl der Gemeinschaft einstehen.