EZB-Zinsentscheidung auf Messers Schneide: Fünf Themen des Tages
(Bloomberg) -- Jana Randow über ein Fotofinish im Ostend. — Fünf Themen des Tages ist auch als Newsletter erhältlich. Zum Gratis-Abo bitte hier entlang.
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Zins-Zitterpartie
So knapp war es noch nie, seit die Europäische Zentralbank ihren Zinserhöhungszyklus vor gut einem Jahr begonnen hat. Entscheiden sich die Ratsmitglieder für die zehnte Zinserhöhung in Folge? Oder lassen sie den Einlagensatz unangetastet? Volkswirte sind total gespalten, die Geldmärkte tendieren in den letzten Tagen immer mehr dazu, eine Erhöhung auf den Rekordwert von 4% einzupreisen.
Das Zünglein an der Waage dürfte vor allem die neue Stabsprojektion sein — die volkswirtschaftlichen Prognosen der hauseigenen Experten der EZB. Und hier vor allem, welche Entwicklung sie für die Inflation bis 2025 vorhersagen. Sie dürften sich zwar nur geringfügig ändern – die Zahl für 2024 wird wohl etwas höher ausfallen als noch im Juni — aber schon kleine Bewegungen könnten entscheidend sein. Der Niederländer Klaas Knot verriet Bloomberg unlängst, er werde vor allem auf die Inflationsprognose für 2025 achten.
Zu Beginn der Sitzung gab es im EZB-Rat noch wenig Klarheit, wohin die Reise geht. Während die Tauben auf die sich verschlechternde Konjunktur der Eurozone verweisen — mit Problembär Deutschland im Zentrum —, geht den Falken die Inflation nicht schnell genug zurück. Für die Commerzbank ist aber eines im besten Bondhändler-Denglisch klar, dass die Entscheidung zwischen “hawkisher Pause oder dovishem Hike” erfolgt, mit anderen Worten: Eine Anhebung wäre wohl die letzte, einer Pause hingegen könnte beim nächsten Mal noch ein Zinsschritt folgen.
Was Marktteilnehmer heute noch bewegen könnte, berichten Ihnen Rainer Bürgin, Petra Sorge, Alexander Kell und Boris Groendahl: (Zunächst) kleine Fische, il conto, prego!, für eine Handvoll Pesos, Stahlgiganten im Küstennebel, und Trumps Schatten in Berlin.
(Zunächst) kleine Fische
Gestern hatte die EU angekündigt, auf den Markt drängende Produzenten chinesischer Billigautos in Hinblick auf Wettbewerbsverzerrung unter die Lupe zu nehmen. Heute konterte Peking, die Preisvorteile seiner Hersteller beruhten auf technischen Innovationen und starkem Wettbewerb in den Lieferketten. In der Parteizeitung Global Times hieß es, in Europa gehe eindeutig die Angst um. Bislang ist die Bedeutung chinesischer E-Autos hierzulande noch gering. Der in Europa führende chinesische Akteur ist Zhejiang Geely mit den Marken Polestar, Volvo, Lotus sowie der Luxsmarke Zeekr. Im ersten Halbjahr 2023 kam Geely laut BloombergNEF-Daten mit rund 37.000 ausgelieferten Fahrzeugen nur auf Rang sieben der absatzstärksten Anbieter reiner Elektroautos in der EU. Die Zahl der verkauften Fahrzeuge betrug weniger als ein Viertel des Segment-Marktführers VW. Brüssel indessen dürfte daran denken, dass auch die größten Fische einmal ganz klein waren.
Il conto, prego!
Seit die italienische Rechtsregierung unter Giorgia Meloni kurz vor Ferragosto mit einer Sondersteuer auf Bankengewinne überraschte, hat ein Tauziehen darum begonnen. Die verschiedenen Kräfte innerhalb der Regierungskoalition, Finanzministerium, Notenbank und EZB, und natürlich die Bankenbranche als ganzes und die Einzelbanken haben dabei nicht unbedingt gleichlaufende Interessen. Meloni hat erneut klargemacht, dass sie bei aller Gesprächsbereitschaft zu Details voll hinter der Steuer steht und genaue Vorstellungen hat, wieviel sie einspielen soll: drei Milliarden Euro nämlich. Wichtig dürfte bei der konkreten Ausgestaltung noch werden, dass die Steuer nicht nur dem gestressten italienischen Staatshaushalt helfen, sondern auch einen Lenkungseffekt haben soll — nämlich dass die Kreditinstitute die Zinswende der EZB nicht als Lizenz zum Gelddrucken missbrauchen. Das sollte den Banken die Chance geben, selbst zu entscheiden, wem sie mehr zahlen wollen: den Kunden oder dem Finanzamt.
Für eine Handvoll Pesos
Unter den 20 führenden Wirtschaftsnationen weist Argentinien die höchsten Preissteigerungsraten auf, gefolgt von der Türkei. In der Gruppe der westlichen Industrienationen hat nur Großbritannien einen höheren Anstieg der Verbraucherpreise als Deutschland. Die EU-Staaten leiden im Durchschnitt unter einer höheren Teuerung als die USA und liegen vor Russland. China ist das Land mit der geringsten Geldentwertung.
Stahlgiganten im Küstennebel
Deutschlands Abhängigkeit von China bei der Energiewende könnte bei der Windkraft auf See etwas kleiner werden: Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht gute Chancen für den Bau von Offshore-Konverterplattformen an zwei Standorten — in Rostock und Bremerhaven. Eine Werft in Spanien ist derzeit die einzige in Europa, die die Wandler von Windwechselstrom in Gleichstrom für den Transport an Land bauen kann. In Deutschland wurde der Konverterbau mit dem Einbruch des Offshore-Winds unter der Merkel-Regierung 2018 eingestellt. Die enormen Offshore-Ausbauziele der Ampel-Koalition erfordern aber in den kommenden Jahren zahlreiche Plattformen. Der Widerstand der Bundeswehr gegen eine entsprechende Flächennutzung in Rostock-Warnemünde ebbt laut Habeck gerade ab. Nicht aber der Gegenwind steigender Investitions- und Finanzierungskosten, der dem Windstrom ins Gesicht bläst.
Trumps Schatten in Berlin
Während Kanzler Olaf Scholz Joe Biden öffentlich den Rücken stärkt, bereitet sich die Bundesregierung auf einen möglichen zweiten Wahlsieg von Ex-Präsident Donald Trump vor. Um für den Fall der Fälle gut vorbereitet zu sein, hätten führende Regierungsvertreter und Abgeordnete in den vergangenen Monaten versucht, Kontakte zu einflussreichen Republikanern zu knüpfen, ist zu hören. Im Zuge dieser diplomatischen Initiative ging Außenministerin Annalena Baerbock auf eine zehntägige USA-Reise mit erster Station in Texas. Die Differenzen zwischen der Verfechterin einer “feministischen Außenpolitik” und einem Gouverneur, der Föten mit Herzschlag vor Abtreibung schützt, waren erwartungsgemäß schwer zu überbrücken. Vier Monate vor dem Beginn der Primaries führt Trump mit 55,4% in den Umfragen vor seinem nächsten Rivalen Ron DeSantis mit 12,9%. Biden ist unterdessen unbeeindruckt vom Vorstoß der Republikaner im Repräsentantenhaus, ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten.
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