Die Debatte um Gillettes neueste Werbekampagne zeigt, wie falsch unsere Vorstellung von Gesundheit ist

Anna O'Brien. Image via Gillette Venus.
Anna O’Brien. Bild via Gillette Venus.

Letzte Woche teilte Gillette Venus ein Foto von Anna O’Brien auf Instagram – der Frau, die online als „Glitter and Lazers“ bekannt ist. Auf dem Bild sieht man, wie sie im Ozean herumtollt, die Bildunterschrift lautet: „Geh raus und genieß den Tag.“

Fast umgehend wurde Venus dafür kritisiert, Fettleibigkeit zu „bewerben“ und zu „beschönigen“ – die Social-Media-Kanäle der Marke wurden geradezu mit negativen Kommentaren überflutet. Ein Blick auf Instagram und Twitter genügte, um alles zu sehen – von Diskussionen über Diabetes und Herzerkrankungen bis hin zu Aufforderungen an das Unternehmen, den Post zu löschen.

Geh raus und genieß den Tag

Diese neue „Kontroverse“ rund um Gillette kommt nicht lange, nachdem eine andere Werbung Empörung ausgelöst hatte. Diese hatte „toxische Maskulinität“ kritisiert, woraufhin viele dem Unternehmen unterstellten, „männerfeindlich“ zu sein. Das Ganze passiert auch noch genau zu einer Zeit, in der ich gerade an einer Serie über die Body-Positive-Bewegung und deren Einfluss auf die Sozialen Medien arbeite.

Ist Übergewicht unweigerlich krankhaft?

Im letzten Monat habe ich zahlreiche Stunden damit verbracht, mich zu informieren und mit Gesundheitsexperten und –Fürsprechern über die Themen Gesundheit, Gewicht und Gewichts-Vorurteile zu sprechen. Der Prozess war von enormer Selbstreflexion und Demut geprägt, da ich erkennen musste, dass meine eigenen tiefsitzenden Vorurteile nach wie vor sehr stark vorhanden sind – obwohl ich gedacht hatte, dass ich mich damit auseinandergesetzt und sie gelöst hätte.

Unter anderem fiel mir stark auf, dass die medizinische Branche enormen Schaden anrichtet, indem Übergewicht als krankhaft eingestuft und ein „Krieg gegen Fettleibigkeit“ angezettelt wird.

Trotz allem, was uns im Fernsehen und durch reißerische Schlagzeilen vermittelt wird, hat das Gewicht nur sehr wenig mit dem allgemeinen Gesundheitszustand eines Menschen zu tun. Wirklich.

Das Leben hat eine witzige Art, sich selbst auszugleichen. Heute habe ich 1 Million LIKES MIT EINEM EINZELNEN VIDEO auf tiktok erreicht und ich habe mich heute auch wegen einer Magen-Darm-Infektion bei einem Treffen beinahe vor meinen Kunden übergeben (zum Glück schaffte ich es rechtzeitig zurück ins Hotel!) Macht mich stolz und hält mich dann bescheiden. Danke Leben.

Begriffe wie „übergewichtig“ oder „fettleibig“ gehen auf die mathematische Gleichung des Body Mass Index (BMI) zurück. Die einfache Berechnung basiert nur auf dem Gewicht und der Größe einer Person als bestimmende Faktoren für die Gesundheit, wobei die Muskelmasse nicht berücksichtigt wird. Die Genauigkeit des BMI als aussagekräftiger Indikator für den Gesundheitszustand ist unter Gesundheitsexperten ein heiß diskutiertes Thema, aber der Schaden ist bereits entstanden.

Übergewicht hat statistisch gesehen keinen Einfluß auf Lebensdauer

Die Begriffe, die mit dem BMI verbunden sind, sind in den Alltagsgebrauch übergegangen. Die Menschen erklären jemanden mit nur einem Blick allzu schnell als „fettleibig“. Diese Begriffe sind diffamierend geworden und deklarieren diejenigen mit massigeren Körpern zu schlechteren Menschen. „Versager“, die am Abgrund des Todes nicht den Ozean genießen sollten wie O’Brien, geschweige denn das Haus verlassen – weil sie unbedingt abnehmen müssen.

Ich verstehe schon: Es ist schwer, Gewicht und Gesundheit getrennt zu betrachten. Erst als ich mich selbst mit den Themen „positives Körperbild“ und „Inklusivität“ beschäftigte, lernte ich, dass das Gewicht einer Person wenig mit den Gesundheitsrisiken zu tun hat, die wir dickeren Menschen unfairerweise zuschreiben.

Was ist mit Diabetes? Was ist mit krankhafter Fettleibigkeit? Ich kann die Kritik bereits hören.

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Laut einer Studie aus dem Jahr 2005 leben Personen, die als übergewichtig oder moderat fettleibig gelten, genauso lang oder länger, als Menschen, deren Gewicht als „normal“ gilt. Darüber hinaus ergab eine separate Studie, dass über 25 Prozent der Amerikaner, die als „normal“ gelten, einen oder mehr Gesundheitsindikatoren wie hohen Blutzucker oder Cholesterin und erhöhten Blutdruck haben. Risiken also, die traditionell mit übergewichtigen Personen in Verbindung gebracht werden.

Gesundheit ist nicht allein vom Gewicht abhängig. Dr. Linda Bacon, Autorin des Buches „Health at Every Size: The Surprising Truth About Your Weight” (auf Deutsch: Gesundheit in jeder Größe: Die überraschende Wahrheit über Ihr Gewicht) schreibt, dass der allgemeine Gesundheitszustand einer Person durch allgemein gesündere Verhaltensweisen verbessert werden kann, unabhängig davon, ob sie abnimmt.

Gene und Verhalten bestimmen die Gesundheit

Gene und Verhaltensgewohnheiten – zum Beispiel Bewegung und der sozioökonomische Status – sind weitaus größere Indikatoren für die Gesundheitsrisiken einer Person.

Es ist genauso unverantwortlich für diejenigen unter uns, die als „normalgewichtig“ gelten, zu glauben, dass wir vor Diabetes und Herzerkrankungen geschützt sind, nur, weil wir normale Kleidergrößen haben, wie anzunehmen, dass man mit mehr Gewicht unter Krankheiten leidet.

Ein Artikel bei @Esquire schaut sich die #Plussize Männer-Kleidung 2017 genauer an, mit Interviews mit @whatsupdanny @zachmiko@notoriouslydapper@brandonkylecollection und uns! Hast du das Gefühl, es gibt Fortschritte? Verrate uns, was du darüber denkst!

Wir glauben, wir kennen die Wahrheit, weil die Multi-Milliarden-Dollar Diät-Industrie und Diät-Kultur, genau auswählt, welche Studien und Experten zu Wort kommen, um größtmögliche Gewinne zu erzielen. Auch die Medien geben unvollkommenes Wissen aus dem medizinischen Bereich wider. Es ist sehr viel leichter, Alarm wegen einer Adipositas-Epidemie auszulösen, als zu erklären, wie wichtig intuitives Essen ist und welche Vorteile das Beenden des Diätwahns im Ganzen mit sich bringt.

Gewicht und Gesundheit sind weitaus komplexere Themen, als wir uns vorstellen können. Es braucht Zeit, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass wir nicht schon alles über Gesundheit wissen.

Nachdem die Marke das Foto von O’Brien geteilt hatte, bestätigte sie ihren Einsatz für Körper-Inklusivität in einem Tweet: „Venus hat es sich zur Aufgabe gemacht, hübsche Frauen in allen Formen, Größen und Hautfarben zu repräsentieren, weil ALLE Arten von wunderschöner Haut es verdienen, gezeigt zu werden. Wir lieben Anna, weil sie offen lebt und ihre Haut liebt, egal, was sie nach den ‚Regeln‘ zeigen sollte.“

O’Brien hat genauso das Recht, einen Badeanzug zu tragen, eine erfolgreiche Karriere aufzubauen und als Model von einer Marke wie Venus gepriesen zu werden. Ich lerne noch immer dazu und arbeite an meinen eigenen Problemen mit Körpergewicht, aber das Folgende habe ich bisher gelernt: Gewicht ist kein Indikator für Gesundheit und Größe ist kein Indikator für Wert.

Elizabeth Di Filippo