Good News des Tages: Ungewöhnliche Strafe für rassistische Schmierereien zeigt Wirkung

Die Jugendlichen müssen, nachdem sie rassistische Symbole auf ein historisches Schulgebäude geschmiert haben, zwölf Bücher lesen. Darunter sind: "Things Fall Apart" von Chinua Achebe, "I Know Why the Caged Bird Sings" von Maya Angelou, "The Tortilla Curtain" von T C Boyle oder "To Kill a Mockingbird" von Harper Lee. Foto: Symbolbild / gettyimages / Studio 642

Fünf junge Menschen, im Alter zwischen 16 und 17 Jahren, sprayen rassistische und antisemitische Graffiti auf ein historisches Schulgebäude, in dem während der Rassentrennung ausschließlich schwarze Schüler unterrichtet wurden. Ihre gerichtliche Strafe fällt danach höchst ungewöhnlich aus.

Im September 2016 wird ein traditionsreiches Schulhäuschen im amerikanischen Ashburn, nicht weit entfernt von der Hauptstadt Washington gelegen, mit rassistischen und antisemitischen Zeichen beschmiert. Traditionsreich, weil darin zur Zeit der Rassentrennung, also bis tief ins 20. Jahrhundert hinein, ausschließlich schwarze Schüler unterrichtet wurden. Unter den Schmierereien und Graffiti finden sich Hakenkreuze, „White Power“- und „Brown Power“-Schriftzüge, aber auch Dinosaurier und Genitalien. Die ermittelnde Staatsanwältin, Alejandra Rueda, macht das misstrauisch, ob der Motivation der Straftäter. Rassistisch, ja, aber es wirkt nicht wie das ausgefeilte Werk des Ku-Klux-Klans, denkt sie sich. Mehr wie ein dummer Schüler-Streich. Sie sollte Recht behalten.

Bald schon werden fünf Jugendliche festgenommen, im Alter zwischen 16 und 17 Jahren. Sie gestehen und bekennen sich schuldig des Hausfriedensbruchs und der Zerstörung von Privateigentum. Ihnen war nicht bewusst, welch geschichtliche Bedeutung dem weißen Holzhäuschen innewohnte. Um ehrlich zu sein, sie wussten nicht mal, was die Hakenkreuze genau symbolisierten. Die Staatsanwältin sieht deshalb Nachholbedarf in Geschichte. Und weil sie die Jugendlichen nicht strafen, sondern rehabilitieren möchte, fordert sie ein ungewöhnliches Strafmaß.

Zwölf Bücher müssen die Jugendlichen lesen und darüber schreiben

Sie orientiert sich dabei an ihren eigenen Erfahrungen: Was hat ihr in der Jugend die Augen geöffnet über andere Kulturen und Religionen? Lesen. Also fordert die Staatsanwältin, dass die Jugendlichen zwölf Bücher aus einer 35-Titel-umfassenden Liste, die sie selbst erstellt, auswählen und lesen müssen. Und später schriftlich darüber reflektieren. Unter den Titeln finden sich Bücher wie „Die Farbe Lila“, das die gesellschaftliche Stellung afroamerikanischer Frauen im letzten Jahrhundert in den amerikanischen Südstaaten behandelt oder „Der Drachenläufer“, eine Geschichte über eine Kindheit in Afghanistan. Das Gericht stimmt ihrer Forderung in vollem Umfang zu.

Vergangene Woche, zweieinhalb Jahre später, hakte die BBC bei Rueda nach und veröffentlichte einen langen Text: Wie hat sich die Geschichte um die Schüler entwickelt? Sind sie rückfällig geworden, obwohl sie zwölf Buchbesprechungen und ein abschließendes 3.500-Wörter-Essay über Rassenhass und dessen Symbolik verfassen mussten? Hat die unkonventionelle „Strafe“, die damals weithin großes Lob erfuhr für den Versuch, die Jugendlichen über ihr verletzendes Verhalten aufzuklären, tatsächlich gewirkt?

Zunächst: Alle fünf Jugendlichen haben ihre Strafe vollständig und erfolgreich absolviert. Und nein, niemand wurde rückfällig, alle besuchen bis heute die Schule. Zwar wollte niemand mit der Presse reden, doch ein Jugendlicher ist damit einverstanden, sein Essay zu veröffentlichen.

„Ich fühle mich furchtbar“

Darin steht: „Ich hatte keine Ahnung, wie abgrundtief die dunkelsten Momente in der Menschheitsgeschichte waren. Ich erinnere mich an meinen Geschichtsunterricht, dass wir solche Themen in zwei Tagen durchhetzten und dann mit was anderem weitermachten. Ich dachte damals, ein Hakenkreuz sei nur ein Symbol, das nicht viel bedeutete. Jetzt weiß ich es besser, ich lag falsch. Es bedeutet Familienmitglieder und Freunde zu verlieren, es bedeutet Schmerz und Folter, körperlich und geistig, es symbolisiert, wie hasserfüllt Menschen sein können und wie unfair und grausam die Welt sein kann. Hakenkreuze sind ein Symbol der „White Power“, dass diese „Ethnie“ über allem stehe. Aber das ist nicht wahr.

Menschen sollten nie das Gefühl haben, weniger wert zu sein und niemand sollte einem anderen Menschen dieses Gefühl geben. Ich fühle mich furchtbar, weil ich Menschen so habe fühlen lassen. Jeder Mensch sollte gleich behandelt werden, unabhängig von Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung. Ich werde mein Bestes geben, nie wieder so ignorant zu sein.“

Bildung statt Strafe

Rueda bringen diese Sätze heute zum Weinen. „Sie rühren mich zu Tränen, aber ich fühle mich dadurch auch bestätigt, weil es funktioniert hat“, sagt sie einer Reporterin der BBC. Freiheitsstrafen funktionierten ihrer Erfahrung nicht, natürlich müssten manche Menschen weggesperrt werden, weil sie eine Gefahr für sich und andere darstellten, aber eine Freiheitsstrafe sei in den meisten Fällen traumatisch und das sollte einfach nicht das Ziel des Strafrechts sein – vor allem nicht bei Kindern und Jugendlichen.

„Ich weiß, dass ich nicht wie eine Staatsanwältin klinge. Aber ich wollte diese Kinder nicht wegsperren, deswegen musste ich so kreativ wie möglich werden“, sagt sie.

Diese Kreativität hat mittlerweile auch andere Gerichte inspiriert. So wurde ihre „Lese-Verfügung“ auch bei einem zweiten Fall angwendet, als ein 13-Jähriger einen schwarzen Jungen rassistisch beleidigte. Rueda hofft, dass das erst der Anfang ist und ihrem Beispiel viele weitere juristische Erfolgsgeschichten folgen werden, sie sagt: „Wir müssen Kinder gegen Ignoranz bilden. Wenn wir Ergebnisse wollen, muss unser Fokus dabei auf Rehabilitierung liegen und nicht auf Bestrafung.“