Wir haben einen Zukunftsforscher gefragt: Woher kommt der aktuelle Frauenhass?
Am 25.11. ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Wir nehmen das zum Anlass, um mit Zukunftsforscher TRISTAN HORX darüber zu sprechen, wie Frauenhass entsteht, warum Männer gewalttätig werden und wie sich das Morden langfristig stoppen lässt.
2022 wurden weltweit 89.000 Frauen und Mädchen ermordet, in mehr als der Hälfte der Fälle vom Partner oder einem Familienmitglied. Und die Zahlen steigen.
Diese Entwicklung ist dramatisch. Aber ich befürchte, dass es noch schlimmer wird … denn die Männer haben Angst.
Wovor?
Vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Männer hatten über alle Epochen hinweg – ob bei der Mammutjagd, der Arbeit auf dem Feld oder an Maschinen – immer einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber Frauen: die größere Muskelkraft. Damit haben sie quasi seit der Steinzeit ihre Vormachtstellung begründet. Durch die Digitalisierung vollzieht sich nun ein Wandel, von Physis-orientierter Arbeit hin zu geistiger Tätigkeit. Roboter nehmen uns anstrengende Aufgaben ab und Männer verlieren ihren USP.
Trotzdem sitzen nach wie vor viele Männer in Führungspositionen in Unternehmen. Dafür braucht es keine Muskeln.
Gerade in Unternehmen mit männlich dominiertem Management gibt es oft noch starre Hierarchien und harte Führungsmethoden. Denn: Das Unterdrücken und Befehlen ist eine eher männliche Vorliebe. Für Innovationen sind solche Arbeitsstrukturen jedoch das reine Gift. Deshalb werden sich auch die in Zukunft verändern. Blöd für die Männer, und super für alle Frauen. Sie sind sozial intelligenter als Männer, und verfügen über viele Softskills, auf die es in modernen, flachen Unternehmenskulturen ankommt, und die auch keine KI übernehmen kann. Hinzu kommt, dass es schon jetzt viel mehr Frauen als Männer gibt, die einen Studienabschluss haben. Langfristig werden die Frauen in den Führungspositionen sitzen und die Männer zu Hause den Haushalt schmeißen.
"Langfristig werden die Frauen in den Führungspositionen sitzen und die Männer zu Hause den Haushalt schmeißen."
Tristan Horx
Keine schlechte Vorstellung. Oder kommt da noch ein „aber“?
Leider. Je unabhängiger und erfolgreicher Frauen werden, desto anspruchsvoller werden sie auch. Für einen Mann reicht es dann nicht mehr zu sagen: „Hey, ich biete dir Essen und ein Dach über dem Kopf“. Einige Männer werden sich in Zukunft ganz schön umschauen müssen.
Wie entwickeln sich die Männer gerade generell?
Zum einen haben wir lauter junge Männer, die keine Vorbilder mehr haben, zu denen sie aufschauen können. Typen wie Rambo, Jason Bourne und James Bond taugen dafür nicht mehr, weil ihre Kernattribute „Kraft“ und „Ruchlosigkeit“ in unserer digitalen Welt keinen Wert haben. Junge Menschen sehnen sich aber nach Vorbildern. Und wenn es die nicht in der Gegenwart gibt, dann sucht man sie eben in der Vergangenheit, als die Welt vermeintlich noch in Ordnung war. Und konservativer. Mit dem Ergebnis, dass auch die jungen Männer von heute immer konservativer werden, wie Studien zeigen. So erklärt sich, warum Männer wie Donald Trump und Andrew Tate so viele Anhänger haben. Zwei völlig überzeichnete Karikaturen einer veralteten Vorstellung davon, wie ein Mann zu sein hat. Die fast schon logische Fortsetzung davon sind die Talahons, die man momentan überall sieht.
Was genau sind Talahons?
Gemeint sind junge Männer, die sich mit teuren Klamotten und fetten Uhren präsentieren und völlig veraltete Macho-Bilder propagieren. Der Begriff geht dabei auf den arabischen Begriff „Ta‘al La‘hon“ zurück, was übersetzt so viel wie „Komm her!“ bedeutet, und als provokante Aufforderung verstanden werden kann. So, und was glauben Sie passiert nun, wenn diese Talahons auf immer liberaler werdende Frauen treffen?
Nichts Gutes. Das klingt nach einer gefährlichen Mischung.
Es entsteht eine Kluft zwischen den Geschlechtern. Und je weiter etwas weg ist, als umso böser nimmt man es wahr. Das wissen wir aus der Rassismus-Forschung. Im Osten gibt es die meisten AfD-Wähler, obwohl sie dort die wenigsten Flüchtlinge haben. Mit dem Frauenhass verhält es sich ähnlich. Diese ganzen jungen Männer, die keinen Sex mehr bekommen und keinen Kontakt zum anderen Geschlecht haben, versammeln sich im Netz, wo sie dank der Algorithmen in den sozialen Netzwerken nur noch auf Gleichdenkende treffen, und gemeinsam hetzen. Das gipfelt dann in einer sogenannten „Incel“-Community: involuntary celibate men. Das sind Männer, die unfreiwillig im Zölibat leben und die Schuld dafür den Frauen geben – eine riesen Gruppe im Netz. Erst vor Kurzem wurde ein „Incel“ in Kanada verurteilt, weil er aus Hass eine Frau erstochen hat.
Wie kann man diese Entwicklung und den Hass stoppen?
Es braucht einen Wertewandel in unserer Gesellschaft. Ich habe mal ein sehr schlaues Zitat gelesen: „Das Wichtigste für deine Entwicklung ist es zu wissen, in welche Ära du hineingeboren wurdest.“ Man muss wissen, was die Herausforderungen der eigenen Zeit sind und diesen gegenüber offen sein. Anders geht es nicht.
So erklärt sich, warum Männer wie Donald Trump und Andrew Tate so viele Anhänger haben.
Tristan Horx
Was bedeutet das konkret auf unsere Zeit bezogen?
Es kann sicher nicht schaden, wenn Männer an ihren Softskills arbeiten. Trotzdem werden die Frauen die Männer langfristig im Berufsleben überholen, das ist sicher – und auch gut so. Männer waren die letzten 5.000 Jahre am Ruder, jetzt müssen sie einfach mal zurückstecken und lernen, ihr Selbstwertgefühl nicht über Geldscheine zu definieren. Den Haushalt zu schmeißen und der Partnerin den Rücken freizuhalten, damit die Karriere machen kann, ist genauso wichtig. Wir assoziieren den Begriff „Leistung“ in Deutschland immer noch viel zu ökonomisch. Es gibt auch so etwas wie eine emotionale Leistung.
Was können wir sonst noch unternehmen, um die Gewalt zu stoppen?
Das Feindbild von der bösen Frau, die mein Leben ruiniert, muss aus den Köpfen der Männer verschwinden. Dafür müssen wir wieder in Kontakt miteinander treten, mehr rausgehen auf die Straße, in Vereine, Bars, whatever. Mir ist natürlich klar, welche Absurdität in meinen Aussagen steckt. Die Frauen wurden über Jahrtausende unterdrückt – und nun, wo sich das Blatt ein bisschen dreht, komme ich hier an und sage: „Die Männer haben es so schwer, bitte geht auf sie zu.“ Aber Kommunikation ist einfach ein wichtiger Schlüssel. Das muss im Kleinen, zu Hause passieren und im Großen durch die Politik. Die skandinavischen Länder machen das schon ganz gut vor, wie ich finde. In Schweden gab es 2021 „nur“ 13 Fälle von Femizid. In Österreich, einem vergleichbar großen Land, waren es hingegen 31 Fälle.
Was wird in Schweden anders gemacht?
Die Schweden haben eine eigene Behörde zur Gleichstellung und belohnen schon seit den 90er-Jahren Väter, die in Elternzeit gehen. Das hat dazu geführt, dass Männer dort heute mit einem ganz anderen Selbstverständnis zu Hause bleiben. Im Schnitt gehen schwedische Männer neun bis 16 Monate in Elternzeit. Hierzulande sind es zwei Monate.
In Schweden gab es 2021 „nur“ 13 Fälle von Femizid. In Österreich, einem vergleichbar großen Land, waren es hingegen 31 Fälle.
Tristan Horx
Steckt in der aktuellen Krise auch eine Chance?
Absolut. Wir sind aus Krisen immer gestärkt hervorgegangen. Nach dem Kalten Krieg hatten wir zum Beispiel die friedvollste Zeit der Menschheitsgeschichte. Auf den Zweiten Weltkrieg folgte das Wirtschaftswunder. Und dass unser Finanzsystem während Corona nicht zusammengebrochen ist, liegt vor allem daran, dass wir nach der Bankenkrise 2008 die richtigen Schlüsse gezogen haben.
Wie könnte die Zukunft nach der aktuellen „Männerkrise“ aussehen?
Ich befürchte, dass es erst einen großen Knall geben muss, damit sich die Gesellschaft mobilisiert. Dann wird es einen öffentlichen Diskurs geben und danach werden wir alle dem anderen Geschlecht in einer ganz neuen, viel besseren Beziehung gegenüberstehen. Man darf nicht vergessen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Es ist unser tiefstes Bedürfnis, dass wir uns alle gut verstehen. Deshalb sind diese Incels in Wahrheit auch die unglücklichsten Geschöpfe auf dem Planeten.
Interview: Maximilian Reich
TRISTAN HORX ist 1993 in Hamburg geboren. Zusammen mit seinem Vater Matthias Horx und seiner Mutter Oona Horx-Strathern leitet er das Zukunftsinstitut „The Future: Project“. Zuletzt erschien sein Buch: „Sinnmaximierung: Wie wir in Zukunft arbeiten“ (Quadriga, 18 Euro). Info: tristan-horx.com