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Ian Gillan von Deep Purple macht sich "Sorgen" um das Musikgeschäft

Ian Gillan ist der Frontmann von Deep Purple. (Bild: earMUSIC)
Ian Gillan ist der Frontmann von Deep Purple. (Bild: earMUSIC)

Über fünf Jahrzehnte hinweg fanden sich auf den Alben von Deep Purple hauptsächlich selbst geschriebene Songs. Mit dem 22. Studioalbum "Turning to Crime" geht die Band nun neue Wege. Das Album besteht ausschließlich aus Coversongs, die die Musiker während des Lockdowns getrennt voneinander in Studios auf der ganzen Welt verstreut aufgenommen haben. Das Ergebnis wird am 26. November veröffentlicht. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news verrät Sänger Ian Gillan (76), warum das neue Album eine Straftat ist und warum Deep Purple keine digitalen Konzerte geben werden.

Ihr neues Album trägt den Titel "Turning to Crime" - auf dem Cover sind Polizeifotos aller Bandmitglieder zu sehen. Wie sind Sie auf dieses Konzept gekommen?

Ian Gillan: Es war eine Kombination mehrerer Dinge. Ich habe vergangenes Jahr ein Interview gegeben, in dem ich gefragt wurde, was ich im Lockdown getrieben habe. Ich habe als Witz gesagt: "Well, I've been turning to crime" (zu Deutsch: "Ich habe mich dem Verbrechen zugewandt.") Ich habe gelacht und wir haben über die Phrase gesprochen und so ist sie in meinem Kopf hängen geblieben.

Als dann ein Fotograf ein Bild von mir machte, auf dem ich wie ein geflüchteter Häftling aussah, dachte ich mir, dass Polizeifotos als Albumcover ziemlich gut aussehen würden. Zudem haben wir ein ganz anderes Album als sonst produziert, von dem Menschen denken könnten, dass das kriminell sei. Es war als Witz gedacht, aber stellte sich als eine ziemlich gute Idee heraus.

Haben Sie selbst denn schon einmal etwas Kriminelles getan?

Gillan: Mein größtes Verbrechen ist wahrscheinlich, dass ich im Privaten darüber nachgedacht habe. (lacht) Ich darf das eigentlich gar nicht sagen, weil sie mich sonst wahrscheinlich festnehmen werden. Aber ich habe die Welt um mich herum betrachtet und mir meine eigenen Gedanken dazu gemacht - und diese auch für mich behalten.

Warum haben Sie sich dafür entschieden, ein Album nur aus Coversongs aufzunehmen, obwohl dies als "kriminell" angesehen werden könnte?

Gillan: Es ist ein bisschen so, wie wenn wir auf der Bühne jammen. Du machst einfach das Erste, was dir in den Sinn kommt und wenn es funktioniert, dann machst du es fertig. Wir waren uns anfangs wirklich nicht sicher. Aber um ehrlich zu sein, hat das Wort 'Cover' eine abwertende Bedeutung. Heutzutage bedeutet es etwas Schlechtes. Dabei ist es etwas, das wir unser ganzes Leben getan haben - Deep Purples erste drei Hits waren Cover. Wir haben nur noch nie ein ganzes Album mit Covern gemacht.

Unser eigentlicher Zweifel war allerdings, dass man bei einem Cover nie an das Original herankommen wird. Man muss respektieren und verstehen, dass jeder diesen Song in seinem Kopf eingemeißelt hat. Also versucht man nicht, es besser zu machen, sondern Respekt zu zeigen. Ehrlicherweise sind Deep Purple in erster Linie eine instrumentale Band. Also haben wir versucht, einen Weg zu finden, den Songs Respekt zu zollen, so zu klingen wie wir und uns die Chance zu geben, uns instrumental auszutoben.

Im Making-of zum Album sagen Sie, dass die Idee für ein Coveralbum schon seit Längerem im Raum stand. Was macht eine globale Pandemie zum perfekten Zeitpunkt, das Projekt endlich anzugehen?

Gillan: Na ja, es gab nichts anderes zu tun für Musiker (lacht). Wir waren zwei Jahre lang nicht auf Tour - ich war während meiner gesamten Karriere nie nicht auf Tour! Es war schon okay, ich habe viel geschrieben in der Zeit und mich beschäftigt. Aber es geht nichts über die Chemie einer Band, die sich so gut kennt, wie wir es tun. Also haben wir beschlossen, dem Ganzen eine Chance zu geben. Wir haben uns vorgenommen, zwei bis vier Songs aufzunehmen und falls das funktioniert, würden wir das Album fertigstellen. Als ich dann das Demo zu "7 And 7 Is" gehört habe, war ich wie weggefegt von der Energie. Es hat sich angefühlt, als würde ich mit den Jungs auf der Bühne stehen.

Sie haben demokratisch entschieden, welche Songs es auf das Album schaffen. Wie gut hat das funktioniert?

Gillan: Demokratie funktioniert auf eine lustige Weise. Man denkt, dass es die beste Lösung sei, aber manchmal funktioniert es nicht für dich. Von den zehn Songs, die ich vorgeschlagen habe, hat es kein einziger auf das Album geschafft (lacht). Aber damit bin ich zufrieden. Ich denke, es ist richtig, dass diejenigen, die die Instrumente spielen, die Songs auswählen. Denn die Worte kann ich nicht ändern, aber man kann den Backing-Track verändern, wie sie es getan haben. Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, welche Songs ich vorgeschlagen habe.

Sie meinten, auf dem Album gebe es Songs, die Sie nie ausgewählt hätten. Hat es das für Sie schwerer gemacht, diese zu performen?

Gillan: Ich meinte damit, dass ich sie nicht gewählt hätte, weil sie nicht Teil meiner Musikgeschichte waren. Aber ja, es war eine Herausforderung. Wenn ich zurückdenke, wie ich aufgewachsen bin... Mein Großvater sang Oper, meine Großmutter war Balletttänzerin, mein Onkel war Jazz-Klavierspieler und ich sang im Kirchenchor Sopran. Das heißt, als ich mit Rock'n'Roll angefangen habe, kannte ich bereits ein großes Musikspektrum. Also kann ich diese Songs zwar singen. Was allerdings durchaus eine Herausforderung war, war es, diese Songs auch zu fühlen und sie nicht nur mechanisch korrekt zu singen.

"Turning to Crime" ist das erste Album, das Deep Purple remote - also in getrennten Studios - aufgenommen haben. Gab es dabei Schwierigkeiten?

Gillan: Heutzutage ist alles so einfach. Du drückst einen Knopf und kannst auf hunderte Aufnahmen zugreifen. Das lief alles super reibungslos. Und so anders zu unserem sonstigen Aufnahmeprozess war es gar nicht. Sie müssen sich vorstellen, dass wir im Studio zwar in einem Raum sind, um gemeinsam aufzunehmen. Allerdings trennen uns Sound-Screens, damit jeder Ton akkurat aufgenommen werden kann und sich nicht mit den anderen mischt. Dieses Mal trennten uns einfach nur Ländergrenzen statt Sound-Screens. (lacht)

Während der Lockdowns haben zahlreiche Künstler online digitale Konzerte gespielt. Wäre das für Sie eine Option gewesen?

Gillan: Ich glaube, der Grund, warum dieses Album funktioniert, ist, dass wir eine Art Kontrolle darüber hatten. Hätten wir darin ein Element der Improvisation gehabt, was ungefähr 25 Prozent unserer Liveshow ausmacht, dann hätte es nicht funktioniert. Wenn wir gemeinsam jammen, dann ist das physisch - wir nennen das 'Pferdeaugen'. Wenn wir uns mit 'Pferdeaugen', also einem direkten auffordernden Blick ansehen, wollen wir den anderen aufzeigen: 'Jetzt werde ich etwas verändern. Wir machen einen anderen Rhythmus oder was auch immer. Sei vorbereitet!' So etwas funktioniert nur, wenn man im gleichen Raum ist.

Hätten wir so ein digitales Konzert im selben Raum gespielt, hätte es vielleicht funktioniert. Aber es wäre einfach nicht Deep Purple. Wir konstruieren keine Musik, wir spielen sie einfach. Ich bin mir nicht sicher, ob die Technik das einfangen könnte. Außerdem ist uns die Vorstellung sehr wichtig, dass das Publikum das sechste Mitglied der Band ist. Remote wäre das sehr schwierig. Man könnte so ein Konzert vielleicht intellektuell genießen, aber nicht emotional.

Sie sind seit 50 Jahren im Musikgeschäft aktiv und konnten den Wandel der vergangenen Jahre mit ansehen. Jeder streamt heutzutage nur noch und Künstler verdienen dadurch immer weniger mit ihrer Musik. Lohnt es sich überhaupt noch Alben aufzunehmen?

Gillan: Die wichtigste Sache ist die Musik und wir haben immer schon Musik geschrieben. Wir sind in erster Linie eine Band, die auftritt. Also brauchen wir ständig neues Material für die Bühne. Ich sage also: 'Ich habe gerade schon wieder 20 Songs geschrieben. Was mache ich nur damit? Oh, ich habe eine Idee, wir könnten ein Album machen!' (lacht)

Die Songs daraus bilden die Entwicklung der Band über Jahre und Jahrzehnte. Das ist für uns absolut notwendig. Ja, das Medium hat sich geändert, aber das Produkt ist die Musik. Das ist mehr als genug. Das Medium hat sich schon immer verändert und leider hat sich das Produkt zu oft daran angepasst. Als ich meinen ersten Plattenvertrag unterschrieben habe, haben wir weniger als ein Prozent der Einnahmen erhalten - und die wurden zwischen sechs Menschen und einem Manager aufgeteilt. Genau das passiert jungen Künstlern nun wieder mit den Streamingdiensten. Die alten Probleme, die auf Manipulation und Gier basieren, sind zurückgekehrt. Das sehe ich definitiv skeptisch und bereitet mir Sorgen.