Diese Köche haben Spitzen-Restaurants verlassen, um alte Menschen in Pflegeheimen Essen zuzubereiten, das sie verdienen

David Martin und Harry Shen (Foto) sind Köche im St Vincent's Care in Melbourne. - Copyright: David Martin
David Martin und Harry Shen (Foto) sind Köche im St Vincent's Care in Melbourne. - Copyright: David Martin

Das Essen in Pflegeheimen ist häufig alles andere, als ansprechend. Dabei sollten es Menschen in ihren letzten Jahren doch besonders verdient haben, ein leckeres Mittagessen zu sich zu nehmen.

Martin kann sich noch gut an das Gespräch erinnern, das seine berufliche Laufbahn veränderte.

Er war 25 Jahre alt und hatte die letzten zehn Jahre in der Restaurant- und Feinschmeckerszene gearbeitet. Die Arbeitszeiten waren brutal – bis zu 16 Stunden am Tag – und er war kurz vor dem Burnout.

Seine Eltern brachten ihn auf die Idee, in einem Pflegeheim zu arbeiten. Sie hatten einen Cousin, der in dieser Branche arbeitete, und schlugen ihm vor, es dort zu versuchen.

"Ich sagte ihnen: 'Warum sollte ich in die Altenpflege gehen wollen? Dort gehen die Leute in Rente. Meine Fähigkeiten werden dort vergeudet", erinnert sich Martin. Dennoch beschloss er unvoreingenommen, es zu probieren.

Seitdem hat er nicht mehr zurückgeblickt. Der heute 35-jährige Martin ist leitender Küchenchef im St. Vincent's Care, einer Pflegeeinrichtung in Australien.

David Martin beim „International Salon Culinaire“ in London. - Copyright: David Martin
David Martin beim „International Salon Culinaire“ in London. - Copyright: David Martin

Ihm zur Seite steht Harry Shen, 39, ein leitender Küchenchef, der ebenfalls die Restaurantszene verlassen hat, um etwas anderes zu versuchen. Sie haben die gleiche Vision: den Standard des Essens in der Altenpflege zu verbessern.

Shen hat nicht nur unter Spitzenköchen wie Donovan Cooke gearbeitet, sondern in der Vergangenheit auch Schichten in australischen Pflegeheimen übernommen. In dieser Zeit fiel ihm auf, dass Tiefkühlkost oft die Norm war.

Als er dann eine Stellenausschreibung von St. Vincent's sah, in der ein Koch gesucht wurde, der das Essen in Pflegeheimen aufwerten sollte, wurde er hellhörig.

"Das ist etwas, was ich auch machen wollte. Die Dinge zu verändern", sagte er Business Insider.

Ein erstklassiges Angebot

Mit Shen an Bord arbeiteten Martin und sein Team während der Pandemie daran, die Speisepläne in einem der St. Vincent's Gesundheitszentren in Kew, einem Vorort von Melbourne, neu zu gestalten. Die Einrichtung ist gleichzeitig ein Altenpflegeheim und ein Krankenhaus.

Es handelt sich um eine hochwertigere Pflegeheimoption. Laut der Website von St. Vincent's Care kostet ein Aufenthalt in einem Standardzimmer der Einrichtung 171 australische Dollar pro Nacht, also rund 104 Euro - fast das Doppelte der täglichen Grundgebühr für Pflegeheime in Australien, die 63,57 australische Dollar (38,55 Euro) beträgt. Das Zimmer hat eine eigene Toilette, und die Bewohner haben Zugang zu einem Café, einem Kino und einem Friseursalon innerhalb der Einrichtung.

Auch gutes Steak steht im St. Vincent's Care auf dem Speiseplan. - Copyright: David Martin
Auch gutes Steak steht im St. Vincent's Care auf dem Speiseplan. - Copyright: David Martin

Ein typischer Speiseplan im St. Vincent's sieht folgendermaßen aus: Morgens erhalten die Bewohner ein kontinentales Frühstück und einen Teekuchen des Tages. Zum Mittagessen gibt es ein Hauptgericht mit einer ausgewählten Soße, einer Stärkebeilage und zwei Gemüsesorten.

Zum Abschluss gibt es etwas Süßes - an manchen Tagen erwärmten Apfel-Kokos-Strudel, an anderen einen Grüntee-Käsekuchen - und am Nachmittag einen Tee-Snack und ein großzügiges Abendessen.

"Wir wollen mit dem Klischee aufräumen, dass das Essen in der Altenpflege nur ein Klumpen Essen auf einem Teller ist", sagt Shen.

Beim Kochen für ältere Bewohner gibt es einiges zu beachten. Insbesondere müssen die Köche auf Bewohner achten, die an Dysphagie leiden, einem geriatrischen Syndrom, das das Schlucken beeinträchtigt. Nach Angaben der Mayo-Klinik leiden 10 bis 33 Prozent der älteren Erwachsenen an Schluckstörungen und können infolgedessen unterernährt sein.

Daher bieten die Köche eine Reihe von Optionen für Bewohner mit unterschiedlichen Bedürfnissen an, sodass alle - auch diejenigen, die Schwierigkeiten beim Schlucken haben - eine herzhafte Mahlzeit genießen können.

Pflegeheimessen auf der Weltbühne

Martin und Shen wollten der Welt zeigen, dass das Essen in Pflegeheimen genauso gut sein kann - und sollte - wie das Essen in Restaurants.

Im Jahr 2023 beschlossen sie, gemeinsam an Kochwettbewerben teilzunehmen. Nachdem sie sich in mehreren lokalen Wettbewerben platziert hatten, wurden sie gebeten, sich für den „International Salon Culinaire“ zu bewerben, einen der weltweit wichtigsten Wettbewerbe für Köche. Zu den früheren Gewinnern des Wettbewerbs gehören Gordon Ramsay und Michael Deane, ein Michelin-Sternekoch.

Im März dieses Jahres trat das Duo bei dem dreitägigen Wettbewerb in London gegen Spitzenköche aus aller Welt an. Zu ihren Gerichten gehörten Kokosnuss-Milchreis mit Crème brûlée und Paella mit Meeresfrüchten – Essen, das sie in einem Pflegeheim servieren können.

Die beiden Köche und ihr preisverdächtiges Gericht. - Copyright: David Martin
Die beiden Köche und ihr preisverdächtiges Gericht. - Copyright: David Martin

Sie errangen zwei Silbermedaillen. Doch mehr als die Auszeichnungen erhofften sie sich, dass sich die Menschen auf die Botschaft konzentrieren würden, die sie zu vermitteln versuchten.

Die Köche sind sich durchaus bewusst, dass nicht alle Pflegeheime über den gleichen Luxus an Personal und Budget für die Zubereitung hochwertiger Mahlzeiten verfügen. Dennoch geht es ihnen darum, einen Standard zu setzen, sagen sie.

"Wir wollen diese Branche für unsere Eltern und Großeltern besser machen, damit sie auch in Zukunft respektiert werden", so Martin.

"Das Wichtigste ist die Geisteshaltung. Der Chefkoch kann kreativ sein, sei es, dass er etwas mehr Garnierung für die Präsentation hinzufügt oder Dinge selbst backt, anstatt sie zu kaufen", fuhr er fort.

Das Essen in Pflegeheimen: eine ergraute Welt

Die Bemühungen von Shen und Martin kommen in einer Zeit, in der die Weltbevölkerung immer grauer wird. Im Oktober rief die Weltgesundheitsorganisation zu einer dringenden Umgestaltung der Pflege- und Unterstützungssysteme für ältere Menschen auf. Sie prognostizierte, dass im Jahr 2030 einer von sechs Menschen 60 Jahre oder älter sein wird. Bis 2050 wird sich diese Zahl auf 2,1 Milliarden verdoppeln.

In den USA bedeutet die Alterung der Babyboomer-Generation, dass die Zahl der Amerikaner im Alter von 65 Jahren und älter, die ein Pflegeheim benötigen, bis 2030 um 75 Prozent ansteigen könnte, so ein aktueller Bericht des Population Reference Bureau.

An dieser Stelle kommt die Bedeutung der Ernährung ins Spiel.

Dr. Andrea Maier, Medizinprofessorin am Centre of Healthy Longevity der National University of Singapore, erklärte gegenüber BI, dass die Verbesserung der Lebensmittelqualität in Pflegeheimen besonders wichtig sei, da sich die Menschen dort oft in der letzten Phase ihres Lebens befänden und eine gute Ernährung benötigten.

"Wenn sie keinen Appetit haben, verlieren sie Muskelmasse, und ihre Gesundheit verschlechtert sich. Das Essen muss also Spaß machen." Wenn das Essen frisch und schön angerichtet ist, motiviert es die Bewohner zum Essen, fügt sie hinzu: "Das ist ein doppeltes Plus."

Hinzu kommen die emotionalen Auswirkungen einer guten Mahlzeit.

"Wenn man in einem Pflegeheim lebt, ist das Leben relativ entspannt. Das Essen ist eine Sache, auf die sich die Menschen freuen, abgesehen von den Freizeitaktivitäten", sagt Wee Shiou Liang, außerordentlicher Professor für Gerontologie an der Universität für Sozialwissenschaften in Singapur.

"Diese Erfahrung ist also noch wichtiger.“

Martin und Shen gewinnen zweimal Silber beim „International Salon Culinaire“. - Copyright: David Martin
Martin und Shen gewinnen zweimal Silber beim „International Salon Culinaire“. - Copyright: David Martin

Martin und Shen arbeiten jetzt als Co-Kreativdirektoren an den Menüs in den St. Vincent's-Heimen in New South Wales und Victoria mit. Außerdem leiten und betreuen sie Köche in der Region.

Beide Köche haben nicht die Absicht, in die Restaurantszene zurückzukehren. Der Eindruck, den sie bei den Bewohnern hinterlassen, hat sie zum Bleiben bewogen.

Martin, der in der Sterbebegleitung arbeitet, sagt, dass jede Mahlzeit, jedes Gebäck und jeder Salat das letzte Gericht sein könnte, das die Bewohner essen.

"Und das ist für mich sehr wichtig, denn wenn man jemandem Trost spenden kann, wenn er starke Schmerzen hat, ist das ein Geschenk für ihn", sagt er.

"Sie müssen sich nicht an Ihren Namen erinnern. Sie müssen sich auch nicht an das Gericht erinnern. Aber wenn sie in diesem Moment merken, dass sie sich wohlgefühlt haben und von Ihnen getröstet wurden - das ist der Kern der Sache." Essen in Pflegeheimen revolutionieren? Eine gute Sache!

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