Lipödem-Patientinnen: Vom Gesundheitssystem allein gelassen

Bei der Diagnose Lipödem geht es um eine krankhafte Fettverteilungsstörung. Trotz medizinischer Eindeutigkeit werden die Betroffenen aber vom Gesundheitssystem alleine gelassen.

Weil sich das Gesundheitssystem nicht um sie kümmert, organisieren sich zahlreiche Frauen in Lipödem-Selbsthilfegruppen, wie dieser hier aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania. (Bild: Nick Childers / Barcroft Media via Getty Images)
Weil sich das Gesundheitssystem nicht um sie kümmert, organisieren sich zahlreiche Frauen in Lipödem-Selbsthilfegruppen, wie dieser hier aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania. (Bild: Nick Childers / Barcroft Media via Getty Images)

Es hört sich zunächst nach einem Luxusproblem an. Doch hört man die zahlreichen Geschichten von Betroffenen, wird schnell klar: Lipödem ist eine sehr reale Erkrankung mit gravierenden Folgen. Etwa jede zehnte Frau in Deutschland soll nach Schätzungen darunter leiden. Die ungebremste Vermehrung der Fettzellen sorgt für extreme Druckempfindlichkeit, blaue Flecken und Schmerzen. Meist lagert sich das Fett an Beinen und Po ab, sorgt dort für die sogenannten Reiterhosen. Für viele Patientinnen ist die Erkrankung mit Scham und psychischen Belastungen verbunden.

Kein Zusammenhang mit Übergewicht

Über die Ursachen wird nach wie vor geforscht. Klar ist, dass fast ausschließlich Frauen betroffen sind. Zudem scheint es einen engen Zusammenhang mit hormonellen Veränderungen zu geben, denn Lipödeme treten häufig in der Pubertät, nach einer Schwangerschaft oder während der Menopause auf. Mit Übergewicht hat die Krankheit indes nichts zu tun, auch wenn viele Betroffene diesem Vorurteil immer wieder begegnen.

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Die meisten Betroffenen leiden unter dem Stadium 1, in dem “Orangenhaut” auftritt und kleine Knötchen im Unterhautgewebe entstehen. Beim schwersten Stadium, dass nicht allen Patientinnen mit dem ersten Stadium automatisch droht, tritt Elephantiasis auf. In diesem dritten Stadium kommt es zu Fettlappen, die häufig zu Wundrosen führen. Dazu wird der Lymphabfluß behindert, was zu ernsthaften gesundheitlichen Konsequenzen führen kann. Ein ständiger Schmerz in den Beinen kann die Folge sein, auch die Lymphgefäße können nachhaltig geschädigt werden.

Obwohl aber das Krankheitsbild so deutlich skizziert ist und die Zahl der Betroffenen groß ist, haben sich Gesundheitspolitik und Krankenkassen bisher gesträubt, die Kosten für eine Behandlung zu übernehmen. Das liegt auch daran, dass Lipödem-Patientinnen keine eigene Lobby haben. Häufig ist die Krankheit dazu mit einem Tabu belegt. Doch drei Schwestern aus dem kleinen Ort Dannewerk in Schleswig-Holstein wollen daran etwas ändern und haben sich mit ihrem Instagram-Account das Ziel gesetzt, Vorurteile abzubauen und anderen Frauen Mut zu machen. Madeleine (24), Diandra (23) und Cheyenne (22) Thiede leiden alle unter Lipödem. Unter dem Handle lipoedem_schwestern lassen sie die User an ihrer Krankheits- und Behandlungsgeschichte teilnehmen und bieten anderen Frauen ein Forum. Fast 8.000 Follower begleiten sie dabei online.

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Dabei geht es oft auch um den letzten Schritt in einer Behandlung. Denn bei einem Lipödem im Stadium 3 empfehlen Ärzte eine Fettabsaugung. Doch solch eine Liposuktion ist teuer. Oft braucht es mehr als eine Behandlung, um Erfolge zu erzielen. Dazu haftet der Liposuktion der Ruf einer schönheitschirurgischen Maßnahme an, auch wenn erwiesen ist, dass sie die Schmerzen von Lipödem-Patientinnen deutlich mindern und die gesundheitsschädigenden Folgen aufhalten kann.

Die drei norddeutschen Schwestern wollen deshalb mit einer Petition Druck auf die Gesundheitspolitiker ausüben. Inzwischen haben über 5.400 Menschen unterzeichnet.

Lipödem: Fettabsaugung in bestimmten Fällen Kassenleistung

Und tatsächlich tut sich langsam etwas. Anfang des Jahres unterzeichnete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Beschluss, der die Übernahme der Behandlungskosten durch die Krankenkassen vorsieht. Schon seit September hatte sich Spahn für eine derartige Anpassung eingesetzt, im Januar wurde der Beschluss rechtskräftig. Das Problem bei der Sache: Das Papier lässt den Kassen reichlich Schlupflöcher, um sich dennoch um die Kosten zu drücken und die Betroffenen im Stich zu lassen.

Schlupflöcher für die Kassen

Zunächst einmal muss eine gesicherte Diagnose des Lipödems im Stadium 3 vorliegen. Das heißt, eine prophylaktische Behandlung, um die schwerste Stufe zu vermeiden, ist schon mal nicht vorgesehen. Dazu soll ein Body-Mass-Index (BMI) von 40 nicht überschritten werden. Das ist allein deswegen schwierig einzuhalten, weil es im Krankheitsbild enthalten ist, dass eine gewisse Gewichtszunahme durch die krankhaften Fettansammlugen entsteht. Vor einer Liposuktion, die von der Kasse übernommen wird, soll zudem, sechs Monate lang eine kontinuierliche konservative Behandlung durchgeführt werden. Dazu gehört beispielsweise das Tragen von Kompressionsstrümpfen und Lymphdrainagen. Diese Hürden erschweren es Patientinnen trotz des Spahn-Entwurfes, Hilfe bei der Behandlung eines Lipödems zu erhalten. Bis die Krankheit also ganz normal anerkannt und auch bestmöglich behandelt werden kann, scheint es noch ein weiter Weg zu sein.

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