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Macron unter Zugzwang - Polizeigewalt löst politische Krise aus

PARIS (dpa-AFX) - Es geht um nichts Geringes als das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Polizei. Und das hat in Frankreich Risse bekommen. Präsident Emmanuel Macron hat die Regierung aufgefordert, dieses Vertrauensverhältnis zu "bekräftigen". Ergebnis: eine befremdliche und viel zu späte Rolle rückwärts beim viel kritisierten Sicherheitsgesetz. Die Posse ereignet sich im Kontext einer verschärften Sicherheitspolitik, auf die Macron und seine Regierung schon länger setzen. Haben sie dabei das Maß verloren?

Im Zentrum steht ein geplantes Sicherheitsgesetz, das die Polizei besser schützen soll. Die Fraktionschefs der Regierungsfraktionen in der Nationalversammlung wirkten am Montagabend wie zusammengefaltete Schuljungs, als sie vor den Kameras verkündeten: Der umstrittene Artikel 24 wird neu gefasst. Er soll die Verbreitung von Aufnahmen von Polizisten einschränken. Darüber wurde am meisten gestritten. Doch das Gesetz sieht noch andere umstrittene Maßnahmen wie die Überwachung von Demos per Drohne vor.

Das Vorgehen ist höchst ungewöhnlich. Denn keine Woche zuvor hatte die Assemblée Nationale dem Sicherheitsgesetz bereits zugestimmt. Jetzt geht der Text erst einmal in den Senat, das Oberhaus des Parlaments, das von der Opposition dominiert wird. Dem Rückzieher ging Berichten zufolge eine Krisensitzung im Präsidentenpalast voraus. Es ist unklar, was Macron den Ministern oder Fraktionsführern dabei sagte - das Ergebnis jedoch zeigt: Die Regierung hat dem massiven Protest gegen das Gesetz nachgegeben.

Dass ausgerechnet Videoaufnahmen zuletzt Polizeigewalt aufdeckten - wie etwa bei einem brutal attackierten Musikproduzenten - und diese nun eingeschränkt werden sollen: Dieser Widerspruch war wohl zu groß geworden. Der Rückzieher düpiert nun vor allem Innenminister Gérald Darmanin, der das Gesetz immer wieder verteidigt hatte.

Der 38-Jährige ist der dritte Innenminister, der unter Macron waltet und könnte zum Problem werden. Darmanin steht für eine rigide Sicherheitspolitik, Recht und Ordnung. Macron dürfte sich im Sommer bewusst für einen solchen Typ Minister entschieden haben - angetreten war er aber einst als weltoffener Reformer.

Mehr als dreineinhalb Jahre nach seiner Wahl ist die Lage im Land angespannt. Andauernde Proteste sind eine Herausforderung. "Das Ausmaß der Gewalt, das die französische Gesellschaft durchdringt, ist nach wie vor gefährlich hoch", schreibt die Zeitung "Le Monde". Dem inakzeptablen Verhalten einiger Demonstranten stehe das inakzeptable Verhalten einiger Polizisten gegenüber.

Auch bei der Großdemonstration am Wochenende in Paris knallte es wieder. Auf den Titelseiten der großen Blätter finden sich Fotos brennender Autos. Dutzende Polizisten wurden verletzt, aber auch Demonstrierende. Das ist in Frankreich traurige Normalität. Wer sich am Wochenende die Proteste anschaute, sah viele junge Menschen, Familien und ältere Ehepaare. All diese Menschen - Zehntausende - protestierten friedlich. Doch am Ende waren es wieder Randalierer, die Schlagzeilen machten.

Das war schon bei der "Gelbwesten"-Bewegung zum Teil so. Auch hier waren Randale und Polizeigewalt immer wieder beherrschende Themen. Viel häufiger als in Deutschland geht Frankreichs Polizei durchaus rabiat vor - Hartgummigeschosse, Tränengas oder Blendgranaten führen oft zu schweren Verletzungen. Berichte von abgesprengten Händen oder ausgeschossenen Augen waren damals keine Seltenheit. Ist die französische Polizei also besonders gewalttätig?

Immer wieder gibt es Berichte von brutalem Vorgehen von Beamten in den Vorstädten, auch Rassismusvorwürfe. Gleichzeitig sind dies keine leichten Einsatzgebiete. Die Polizei steht auch wegen des andauernden Terrors im Land unter Druck. "Die Zunahme der Spannungen und die moralischen, materiellen und existenziellen Krisen, die die Polizei erreichen, belasten die Stimmung und das Verhalten der Beamten, insbesondere derjenigen, die täglich beleidigt oder angegriffen werden", sagt der Kriminologe Alain Bauer der Zeitung "Le Figaro".

Viel Kritik gibt es auch an der internen Ermittlungsbehörde IGPN. Immer wieder wird eine unabhängige Behörde gefordert - sind es doch Polizeibeamte, die bei der IGPN gegen Polizeibeamte ermitteln. Innenminister Darmanin kritisierte bei der Befragung durch Abgeordnete eine verkürzte Ausbildungszeit und sprach von strukturellen Problemen, "die, geben wir es zu, nicht neu sind". An einen Bruch zwischen Bevölkerung und Polizei glaubt er aber nicht.