Nee, früher war nicht alles besser: Wie uns toxische Nostalgie die Zukunft versaut
Den Satz "Früher was alles besser" können wir echt nicht mehr hören. Sicher, vielleicht gibt es die ein oder andere Sache, die vor zwanzig Jahren wirklich besser funktioniert hat, das wollen wir ja gar nicht bestreiten. Aber nicht alles war besser – auch wenn viele davon ausgehen. Das Gehirn spielt uns nämlich gerne mal einen Streich, wenn es um "die guten alten Zeiten" geht. Wir beschönigen und fantasieren uns ein verzerrtes Ideal zusammen, das es in diesem Ausmaß niemals gab, und merken dabei gar nicht, dass wir uns damit die Zukunft versauen. Für dieses Verhalten gibt es sogar einen Begriff: toxische Nostalgie. Die sollte man tunlichst vermeiden.
Ab wann Nostalgie toxisch wird
Sich gemeinsam mit den besten Kumpels an die alte Zeit zurückerinnern, kann ziemlich schön sein. Damals, als man noch verrückte Dinge gemacht hat, nicht immer die besten Entscheidungen traf und gerne mal Mist gebaut hat, da war alles so viel leichter und unbeschwerter. Wenn man sich nach vergangenen Zeiten zurücksehnt, wird man schnell sentimental. Die Erinnerung ist oft geprägt von positiven Gefühlen und einer idealisierten Sicht auf die Vergangenheit. Sie ruft ein Gefühl von Wärme und Verbundenheit hervor, macht glücklich und nachdenklich zugleich. Diese Emotion wird als Nostalgie bezeichnet. Man blickt mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf die Vergangenheit zurück – lachend, weil man sich an schöne Momente erinnert, weinend, weil diese Momente mittlerweile vorbei sind. An sich ist Nostalgie ein völlig menschliches Empfinden, das dabei hilft, die eigene Identität zu formen. Problematisch wird es dann, wenn man zu sehr in der Vergangenheit hängt und sich damit die Zukunft verbaut. Dann kann Nostalgie schnell toxisch werden.
Bei toxischer Nostalgie wird die Vergangenheit verherrlicht
Nostalgie ist eine Emotion, die irgendwo zwischen bitter und sweet rangiert. Irgendwie schön, aber auch irgendwie schmerzhaft. Besonders problematisch wird dieses Verhältnis, sobald sich die Gedanken an die Vergangenheit auf die Zukunft auswirken. Wenn man alte Zeiten so sehr idealisiert, dass man denkt, der Zenit sei bereits überschritten und man würde nie wieder so glücklich werden. Oder wenn man krampfhaft versucht, den scheinbar glücklichen Zustand aus der Vergangenheit wiederherzustellen, ohne dabei zu merken, dass es ihn so gar nicht gab. Die negativen Aspekte werden ausgeblendet, die Gegenwart als unzureichend oder enttäuschend wahrgenommen, weil man einem unerreichbaren Idealbild hinterher rennt. Bei toxischer Nostalgie haben wir es also mit Zukunftspessimist*innen und krampfhaften Optimist*innen zu tun, die die Vergangenheit verherrlichen. Aber woher kommt diese verzerrte Erinnerung eigentlich?
Toxische Nostalgie: Warum wir die Vergangenheit idealisieren
Schuld an der toxischen Nostalgie hat ein psychologisches Phänomen: die selektive Wahrnehmung. Sie sorgt dafür, dass wir uns nur an bestimmte Dinge aus unserer Vergangenheit erinnern, weil wir nicht die Kapazitäten haben, jede einzelne Erinnerung zu speichern. Der Mensch ist weitaus besser darin, positive Emotionen zu behalten und negative auszusortieren. Gerade in Zeiten, in denen es der Psyche nicht so gut geht, fungiert die idealisierte Vergangenheit als Bewältigungsmechanismus, der Trost und Sicherheit bietet, indem er an vermeintlich einfachere oder glücklichere Zeiten erinnert. Haben wir es in der Gegenwart mit Herausforderungen zu tun, soll die idealisierte Vergangenheit die aktuelle Problemlage relativieren. Immerhin spielt die Vergangenheit auch eine wichtige Rolle bei der Bildung unserer persönlichen Identität. Indem wir positive Aspekte aus alten Zeiten hervorheben, stärken wir unser Selbstbild und das Gefühl von Kontinuität in unserem heutigen Leben. Deshalb ist es auch so schwierig, sich objektiv und realistisch an die Vergangenheit zurückzuerinnern. Häufig ist unsere Erinnerung dahingehend verzerrt, dass wir die negativen Gefühle von damals unbewusst ausblenden. Zurückbleibt das positive Bild der guten alten Zeiten. Bullshit.
Früher war nicht alles besser, auch wenn toxische Nostalgie uns das einreden will
Auch wenn uns das unser Gedächtnis häufig glauben machen will: Früher war nicht alles besser. Die Beziehung mit der einen Person, die Sie die ganze Zeit nur schlecht behandelt hat, war wirklich so beschissen, wie es sich jetzt anhört. Anfang 20 war man zwar frei, hatte aber auch ständig Geldsorgen. Und auch wenn der Körper vor fünfzehn Jahren vielleicht noch jünger aussah, hatte man damals noch lange keinen so guten Kleidungsstil wie heute (gern geschehen). Früher waren manche Sachen vielleicht besser, manche aber auch deutlich schlechter. Deshalb sollte man heutzutage auch nicht anfangen irgendwelchen beschönigten Idealen von früher hinterherzurennen, die sowieso unerreichbar bleiben. Oder aber aufhören, ständig pessimistisch zu sein, weil es sowieso nicht mehr so schön werden kann wie früher, das stimmt nämlich auch nicht. Es wird anders, ja. Der permanente Vergleich mit der Vergangenheit wird Ihnen im heutigen Leben aber auch nicht weiterhelfen. Vor allem, wenn die Vergleichsbasis irrational ist.
Wie man Nostalgie weniger toxisch macht
Manchmal in alten Erinnerungen zu schwelgen ist schön und auch gut so. Solange man kein toxisch positives Verhältnis zur eigenen Vergangenheit entwickelt und sich damit die Zukunft versaut, gibt es damit auch kein Problem. Ziel ist es, das frühere Leben nicht zu idealisieren, sondern eine gesunde Einschätzung zu bewahren und gleichzeitig nicht in Konkurrenz mit der Zukunft zu treten. Das gelingt, in dem man bewusst reflektiert: Was waren die schönen Momente der Vergangenheit und was war vielleicht nicht so schön, woraus kann man lernen? Ging es mir wirklich immer so gut, wie ich denke zu glauben, oder hatte mein früheres Ich nicht auch mit Problemen zu kämpfen wie heute? Im selben Atemzug sollte man nicht vergessen, den Fokus auf die Gegenwart zu legen. Achtsam und dankbar zu sein, was den gegenwärtigen Moment angeht, das Hier und Jetzt schätzen. Die Zukunft lässt man nicht außer Augen, wenn man aktiv an Zielen und Projekten arbeitet, die einen begeistern und motivieren. Man selbst hat die Möglichkeit, seine Zukunft so zu gestalten, wie sie einem gefällt – mit Wertschätzung gegenüber der Vergangenheit, aber nicht in Abhängigkeit. Auf das gesunde Verhältnis kommt es schließlich an. Dann artet die Nostalgie auch in keinem toxischen Ausmaß aus – und man kann künftig endlich mal auf den dämlichen Satz "Früher war alles besser" verzichten. Danke.