ROUNDUP/EU-Gericht urteilt: Muss Frontex Schadenersatz an Flüchtlinge zahlen?

LUXEMBURG (dpa-AFX) -Muss die EU-Grenzschutzbehörde Frontex einer syrischen Flüchtlingsfamilie Schadenersatz zahlen? Das entscheidet das Gericht der Europäischen Union am Mittwoch in Luxemburg. Nach Angaben der Hilfsorganisation Sea-Watch ist es das erste Mal, dass sich ein EU-Gericht zu einem "durch Frontex ermöglichten Pushback" positioniert. Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Außengrenzen - sogenannte Pushbacks - sind nach internationalem Recht illegal.

Die sechsköpfige Familie kam 2016 nach Griechenland und hatte dort dem EU-Gericht zufolge ihr Interesse bekundet, Asyl zu beantragen. Wenige Tage später wurde sie in einer sogenannten gemeinsamen Rückkehraktion von Griechenland und Frontex in die Türkei geflogen.

Die heute im Irak lebende Familie beklagt, dass Frontex rechtswidrig gehandelt habe. Ihr Asylantrag hätte geprüft werden müssen, bevor sie aus der EU gebracht worden sei. Ihnen sei zudem weis gemacht worden, dass sie auf dem Weg nach Athen anstatt in die Türkei seien. Die Familie sei auf dem Flug voneinander getrennt worden - ohne Fragen stellen zu dürfen. Auch die Behandlung der Kinder verstoße gegen die Menschenrechte, sagte ihre Anwältin Lisa-Marie Komp.

Frontex wird von Nichtregierungsorganisationen immer wieder vorgeworfen, die Rechte von Flüchtlingen nicht ausreichend zu schützen. Vergangenes Jahr hatte der vorherige Frontex-Chef, der Franzose Fabrice Leggeri, nach schweren Vorwürfen gegen ihn und Mitarbeiter seinen Posten zur Verfügung gestellt. Hintergrund waren insbesondere Ermittlungen zu illegalen Zurückweisungen von Migranten im Mittelmeer. Nach Angaben der Aktivisten sollen Führungskräfte der in Warschau ansässigen Agentur Frontex absichtlich vertuscht haben, dass griechische Grenzschützer Flüchtlinge zurück aufs offene Mittelmeer gebracht hätten.

Knackpunkt wird nun sein, ob und welche Verantwortung die EU-Behörde bei solchen gemeinsamen Operationen für eventuelle Menschenrechtsverletzungen hat. Frontex nehme alle Berichte über mutmaßliche Grundrechtsverletzungen ernst, teilte die Behörde mit. Allerdings arbeite man immer unter dem Kommando der nationalen Behörden und habe keine Möglichkeit, gegen diese zu ermitteln.

Das Besondere an diesem Fall ist nach Ansicht von Anwältin Komp, dass er so gut dokumentiert ist: Es gebe sowohl Beweise für den Asylantrag als auch für die Tatsache, dass es sich um einen Flug handelte, der von Frontex und Griechenland gemeinsam betrieben worden sei.

Jetzt wird das EU-Gericht über den Fall entscheiden müssen. "Selbst wenn wir nicht gewinnen, ist es ein sehr relevantes Urteil, denn es würde ein deutliches rechtsstaatliches Defizit in der EU aufzeigen: nämlich dass eine mächtige EU-Behörde wie Frontex nicht zur Verantwortung gerufen werden wird. In diesem Falle ist die Politik gefragt, um rechtsstaatliche Prinzipien zu wahren", sagte die Anwältin.