Werbung

Russlands Wirtschaft sei kaum mehr als eine große Tankstelle, sagt ein Harvard-Ökonom — aber Europa sei von ihr abhängig

gas production industry near Novy Urengoi;
Natural gas production and processing in Russia
gas production industry near Novy Urengoi; Natural gas production and processing in Russia

Russlands Wirtschaft ist "komplett unwichtig für die Weltwirtschaft, abgesehen von Öl und Gas". Diese Einschätzung hat Jason Furman, Harvard-Ökonom und Berater des Ex-US-Präsidenten Barack Obama, jüngst getroffen. „Russland ist im Grunde eine große Tankstelle“, sagte Furman in einem Gespräch mit der „New York Times“.

Furman gab seine Einschätzung vor dem Hintergrund der schweren Sanktionen, die die USA und die Europäische Union gegen Russland verhängen wollen, nachdem Präsident Putin den Einmarsch russischer Soldaten in Teile der Ukraine angeordnet hatte. Sanktionen haben immer auch das Risiko, nicht nur die gesamte russische Wirtschaft ins Chaos zu stürzen, sondern auch die USA, Europa und den Rest der Welt im Kampf gegen Inflation und steigende Energiepreise zu treffen.

Am Montag hat Moskau die Unabhängigkeit zweier abtrünniger Regionen der Ukraine erklärt und Truppen dorthin entsandt. Russland hat damit die vorher vom Westen gezogene rote Linie für Sanktionen überschritten. Das Risiko eines großen Krieges in Europa ist damit nochmals gestiegen.

US-Präsident Joe Biden verhängte unmittelbar Sanktionen gegen die abtrünnigen Regionen Donezk und Luhansk. US-Bürgern und -Firmen sind folglich jegliche Exporte, Importe oder neue Investitionen in diesen Gebieten untersagt.

Trotz seiner Größe und des Reichtums an Rohstoffen ist die russische Wirtschaft nach Daten der Weltbank eher mit der von Schwellenländern wie Brasilien als mit Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien vergleichbar. Nach Angaben der Weltbank ist die russische Wirtschaft auch kleiner als die Italiens und Südkoreas, zweier Länder mit weniger als der Hälfte der russischen Bevölkerung.

Das gilt aber nicht für den Energiemarkt. Russlands Öl- und Gasexporte seien für die Welt von großer Bedeutung, merkte Furman an. Nach Angaben der US Energy Information Administration importiert die Europäische Union rund 80 Prozent des von ihr verbrauchten Erdgases aus anderen Ländern. Auf Russland entfallen laut Eurostat 41 Prozent der Erdgas- und 27 Prozent der Erdölimporte des Kontinents.

Angesichts der Tatsache, dass die Energiepreise in der EU im vergangenen Jahr von 20 Euro auf 180 Euro pro Megawattstunde gestiegen sind, könnte der Wegfall dieser Gas- und Öleinfuhren eine schwere Belastung für die Region und die vernetzte Weltwirtschaft bedeuten. In den USA haben die Gaspreise mit rund 3,50 US-Dollar pro Gallone ein Sieben-Jahres-Hoch erreicht, während die Inflation mit 7,5 Prozent auf den höchsten Stand seit 40 Jahren gestiegen ist.

Ukraine liefert Getreide in viele Länder

Andererseits ist die Ukraine ein wichtiger Getreidelieferant für andere Regionen und liefert 40 Prozent ihrer Weizen- und Mais-Exporte in den Nahen Osten und nach Afrika, berichtet die "New York Times". Als Reaktion auf eine mögliche Nahrungsmittelkrise in diesen Regionen sagte US-Landwirtschaftsminister Tom Vilsack, dass US-amerikanische Landwirte ihre Produktion erhöhen und „einspringen und unseren Partnern helfen“ würden.

Auf die Ukraine entfallen zwölf Prozent der weltweiten Getreideexporte, und es wird geschätzt, dass sie in diesem Jahr 16 Prozent der weltweiten Mais-Exporte liefert, laut der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). US-Landwirtschaftsminister Vilsack sagte AP, er glaube, dass amerikanische Verbraucher weitgehend unbeeinflusst bleiben würden, aber für die Europäer sei das schon eine andere Geschichte.

„Man muss sich den Hintergrund ansehen, vor dem dies geschieht“, sagte Gregory Daco, Chefökonom des Beratungsunternehmens EY-Parthenon, der "New York Times". „Es gibt eine hohe Inflation, angespannte Lieferketten und Unsicherheit darüber, was die Zentralbanken tun werden und wie hartnäckig die Preissteigerungen sind.“

Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt. Den Originaltext findet ihr hier.