Werbung

Schrumpfende Margen, sinkende Nachfrage und steigende Mitarbeiterfluktuation: Wie die Inflation das Amazon-Imperium ins Wanken bringt

Amazon-Gründer Jeff Bezos
Amazon-Gründer Jeff Bezos

Am 29. April 2022 veröffentlichte Online-Händler Amazon seine Finanzergebnisse für das erste Quartal – für viele Anleger fielen sie enttäuschend aus. John Felton, Senior Vice President of Global Delivery Services des Unternehmens, nahm den damaligen Tag zum Anlass für eine E-Mail an sein Team, in dem er die Inflation in den USA mit dafür verantwortlich macht.

"Wie Sie, war auch ich enttäuscht von dem, was wir in den Ergebnissen berichtet haben", schrieb Felton in der E-Mail, die Insider vorliegt. Hohe Arbeitskosten und Kapitalinvestitionen hätten die Gesamtleistung beeinträchtigt. Die Produktivität verbessere sich, müsse aber noch das richtige Gleichgewicht finden, schrieb er. Felton selbst räumt außerdem ein, dass er die Entwicklungen eines "inflationären Umfelds" nicht habe kommen sehen und macht klar, dass sie die Zukunft "schwieriger mache": "Wir werden auch weiterhin Kostenherausforderungen vor uns haben, bis wir in der Lage sind, unsere Kapazitäten auszubauen", schreibt er.

Feltons Mail ist dabei nur eins von vielen internen Dokumenten, die zeigen, dass selbst der Milliarden-Online-Händler Amazon mit den Folgen der Inflation zu kämpfen hat. Bestätigt wird das auch durch anonyme Insider-Gespräche mit Mitarbeitern. Sie machen deutlich, vor welchen Herausforderungen Amazon inflationsbedingt steht: 1. Schwindende Gewinnspannen, 2. die eigene Abhängigkeit von Werbeeinnahmen, 3. die zurückgehende Nachfrage von Verbrauchern und 4. steigende Mitarbeiterfluktuation. Auf Anfrage will Amazon keine Stellung zu den neuen Geschäftsrisiken beziehen.

1. Kleinere Gewinnspannen durch zusätzliche Kosten wie höhere Benzinpreise

Eine der gefährlichsten Folgen der Inflation sind die gestiegenen Kosten für Amazon: Sie seien intern ein "großes Thema", berichtet ein Mitarbeiter im Gespräch mit Insider, der lieber anonym bleiben will. Die Person ist mit Amazons Finanzteam vertraut. Diese Kosten, zu denen höhere Benzinpreise, Versandgebühren und Mitarbeitergehälter gehörten, wirkten sich direkt auf Amazons Betrieb aus.

Allein im ersten Quartal 2022 verzeichnete Amazon deshalb zusätzliche Kosten in Höhe von sechs Milliarden US-Dollar. Sie hingen mit Inflation, geringerer Produktivität und Überkapazitäten zusammen, erklärte der Finanzchef des Unternehmens, Brian Olsavsky, während der Telefonkonferenz im April 2022. Er sagte, dass sich die Versandkosten in Übersee im Vergleich zu den Preisen vor der Pandemie mehr als verdoppelt hätten, während die Kraftstoffpreise einundhalb Mal so hoch waren wie vor einem Jahr.

Das Ergebnis: Der Betriebsgewinn von Amazon lag im ersten Quartal nur bei 3,7 Milliarden US-Dollar und blieb damit 32 Prozent hinter den Erwartungen der Anleger zurück. Die schleppenden Verkäufe und die steigenden Kosten enttäuschten die Wall Street und drückten die Amazon-Aktie am Tag nach der Bekanntgabe der Ergebnisse im letzten Monat um 14 Prozent – der stärkste Einbruch an einem Tag seit 2006.

2. Das Werbegeschäft konnte bislang Millionenverluste in anderen Bereichen ausgleichen

Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Gewinneinbußen hätten noch schlimmer kommen können, wenn da nicht Amazons schnell wachsendes Werbegeschäft mit hohen Gewinnmargen wäre, wie aus internen Dokumenten hervorgeht, die von Insider eingesehen wurden. Sie belegen, wie abhängig Amazon von den Einnahmen des eigenen Werbegeschäfts ist.

Keiner dieser Zahlen ist öffentlich bekannt, doch zusammengefasst hätte Amazon ohne die Einnahmen aus dem Werbegeschäft im ersten Quartal einen Verlust von rund 3 Milliarden US-Dollar beim Betriebsergebnis erlitten. Um einigen dieser Bedenken entgegenzuwirken, hatte Amazon vor kurzem deshalb seine Prime-Mitgliedschaftsgebühr um 17 Prozent auf 139 US-Dollar pro Jahr in den USA erhöht. Seit April erhebt Amazon außerdem einen 5-prozentigen Treibstoff- und Bestimmungszuschlag für Verkäufer eingeführt, die sein Logistiknetzwerk nutzen.

Für das zweite Quartal prognostizierte Amazon deshalb nun Betriebsergebnis zwischen einem Verlust von 1 Milliarde US-Dollar und einem Gewinn von 3 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: 2021 lag der Gewinn noch bei 7,7 Milliarden US-Dollar. Angesichts dieser Entwicklungen schrieb der Evercore-Analyst Mark Mahaney erst im vergangenen Monat: "Das Makro ist heute auf der Kostenseite so herausfordernd wie noch nie in der Geschichte von Amazon".

3. Die sinkende Nachfrage der Verbraucher führt zum Einstellungsstopp im Einzelhandel von Amazon

Doch die Inflation treibt nicht nur die Kosten für Amazon in die Höhe: Sie bremst auch die Nachfrage. Amazon hat die Nachfrage in diesem Jahr stark überschätzt, was in der Folge zu verfehlten Zielen und Überkapazitäten in seinen Lagern und bei seinen Mitarbeitern führte.

Im Europäischen Markt lag die Gesamtzahl der Pakete im vierten Quartal um fast 15 Prozent unter den internen Schätzungen, während die Pakete in der "Spitzenzeit" um 19 bis 24 Prozent unter den Erwartungen lagen, wie aus einem der Dokumente hervorgeht. Das Ergebnis: Zu viele Mitarbeiter für zu wenig Nachfrage. Schuld daran sei auch, dass das Unternehmen in der Pandemie übermäßig expandiert sei, erklärte Amazons Finanzchef Olsavsky im April. Das Unternehmen habe daher aktuell mehr Ressourcen als es mit der niedrigeren Nachfrage brauche.

Für Amazon bedeutet die sinkende Nachfrage daher auch Kürzungen im gesamten Einzelhandelsgeschäft. Ein leitender Angestellter sagte Insider, dass das Einzelhandelsteam die Einstellungsziele für dieses Jahr herunterschraube, bis sich das Geschäft beschleunige, um bestimmte Wachstumsziele zu erreichen.

Und der Einstellungsstopp wird intern bereits deutlich kommuniziert: "Wir verstehen vollkommen, dass dies nicht ideal ist und die Teams einige schwierige Entscheidungen treffen müssen, um innerhalb der begrenzten Ressourcen Prioritäten zu setzen", schrieb Gokul Dakshina, ein Vice President of Finance und Chief Financial Ocer für Amazons nordamerikanisches Verbrauchergeschäft, letzten Monat in einer E-Mail an sein Team, die Insider einsehen konnte. "Bitte passen Sie Ihren Einstellungsplan entsprechend an."

4. Höhere Mitarbeiterfluktuation durch niedrige Löhne, die unter den Inflationsraten liegen

Besorgniserregend sind auch die Lohnentwicklung und die daraus resultierende Fluktuation der Mitarbeiter bei Amazon. Im Vergleich zu anderen Unternehmen ist Amazon für seine niedrigen Löhne bekannt. Und angesichts des rückläufigen Aktienkurses – er ist in diesem Jahr um 36 Prozent gesunken –finden die Mitarbeiter immer weniger Gründe, im Unternehmen zu bleiben, wie Insider bereits berichtete.

Um dieses Problem anzugehen, hat Amazon in diesem Jahr einige Verbesserungen an seiner Gehaltsstruktur vorgenommen. Doch viele Mitarbeiter berichteten Insider, dass die meisten Gehaltserhöhungen weit unter den Inflationsraten lagen, was sie dazu veranlasste, sich nach anderen Möglichkeiten umzusehen.

Amazon verzeichnet deshalb bereits einen enormen Anstieg der "bedauerlichen" Mitarbeiter-Abwanderung. Das heißt, der Anteils von Mitarbeitern, die das Unternehmen nicht verlieren wollte, wie aus internen Daten hervorgeht, die Insider vorliegen. Während die Fluktuationsrate dieser Mitarbeiter von 2016 bis Mitte 2021 noch bei etwa 5 Prozent lag, verdoppelte sie sich von Juni 2021 bis April auf durchschnittlich 12,1 Prozent, wie die Daten zeigen.

Der Wettbewerb um Talente zwingt Amazon deshalb dazu, mehr Aktienprämien an seine Mitarbeiter auszugeben – wieder ein Anstieg der Unternehmenskosten. Schon im zweiten Quartal könnte Amazon schon rund sechs Milliarden für aktienbasierte Vergütungen ausgeben müssen. Das ist der höchste Betrag, der jemals für Mitarbeiteraktien ausgegeben wurde, und ein Anstieg von 66 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.

Dieser Artikel wurde von Joana Lehner aus dem Englischen übersetzt. Das Original findet ihr hier.