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Stiftung sieht Zuspitzung bei Antisemitismus

Berlin (dpa) - Nach dem Streit über die Kunstausstellung documenta fifteen fordern Experten einen intensiveren Blick auf die vielen Formen des Antisemitismus in Deutschland. «Wir müssen uns ganz offensichtlich viel mehr damit beschäftigen, was Antisemitismus ist», sagte Nikolas Lelle von der Amadeu Antonio Stiftung am Donnerstag bei der Vorstellung eines neuen «Lagebilds Antisemitismus». So sei es falsch zu behaupten, Hass auf Israel habe nichts mit Hass auf Juden zu tun. Dies diene dazu, Antisemitismusvorwürfe abzuwehren.

Insgesamt sieht die Stiftung eine Zuspitzung der Judenfeindlichkeit in Deutschland. Vorstandsmitglied Tahera Ameer verwies auf den Angriff auf eine Synagoge in Hannover, wo während eines Gottesdiensts am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur am Mittwoch eine Scheibe eingeworfen wurde. «Wir haben es tatsächlich mit einer absoluten Eskalation mal wieder zu tun», sagte Ameer.

Lelle, der bei der Stiftung die Aktionswochen gegen Antisemitismus leitet, fügte hinzu: «Deutschland hat ganz offensichtlich keinen guten Umgang mit Antisemitismus. Irgendwo zwischen Abwehr, Einfallslosigkeit und Überforderung haben sich die Reaktionen in den letzten Wochen eingependelt. Zugespitzt kann man sagen, Antisemitismus wird inzwischen in Deutschland eine Bühne bereitet.»

Lelle nannte in dem Lagebild fünf Punkte. Zum einen brächten Verschwörungsideologen judenfeindliche Erzählmuster in die gesellschaftliche Debatte ein. Juden wie der Investor George Soros würden in Krisen als angebliche Strippenzieher benannt. Zum anderen würden Israelhass und Judenhass künstlich getrennt nach dem Muster «guter» und «schlechter» Antisemitismus.

Experte: Warnungen wurden übergangen

Dritter Punkt sei die Ignoranz gegenüber jüdischen Bedenken, fügte der Experte hinzu und nannte die Warnungen unter anderem des Zentralrats der Juden vor Darstellungen bei der documenta oder auch vor der Abbildung der sogenannten Judensau in Wittenberg. Die Botschaft sei: «Juden zählen nicht», sagte Lelle. Er nannte zwei weitere Punkte: Es werde argumentiert, die deutsche Erinnerungskultur verneble den Blick auf Israel. Und israelfeindliche Akteure wie die Boykottbewegung BDS gewännen Einfluss.

Die Amadeu Antonio Stiftung wurde 1998 gegründet und hat das Ziel, die Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus zu stärken. Das Lagebild wird mit Mitteln des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung gefördert.