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Stille Nebenwirkung der Corona-Pandemie: Kinder werden immer dicker

Kein Mannschaftssport im Verein, keine Kinderspielplätze, kein Treffen mit Freunden – viele Kinder waren in der Corona-Pandemie monatelang sich selbst überlassen, vertrieben sich die Zeit mit Videospielen und Büchern, lagen dabei häufig auf der Couch und bewegten sich kaum. Welch schwerwiegende Folgen das für die Gesundheit haben kann, hat eine Expertin nun erklärt.

Süßigkeiten und mangelnde Bewegung lassen Kinder immer dicker werden (Symbolbild: Getty Images)
Süßigkeiten und mangelnde Bewegung lassen Kinder immer dicker werden (Symbolbild: Getty Images)

"Das ist etwas, was ich lange nicht gesehen habe. Und dabei geht es nicht nur um eine Gewichtszunahme. Die tritt ja oft in Kombination mit psychosozialen Belastungen auf. Angst, Depression — das sind alles Folgen der Pandemie, die parallel massiv zugenommen haben", erklärt Susanna Wiegand, pädiatrische Endokrinologin und Leiterin der pädiatrischen Adipositas-Ambulanz an der Berliner Charité, im Interview mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".

Dass nun die sogenannte stille Pandemie eintritt, vor der Experten schon lange warnen, könne sie zwar nicht mit repräsentativen Zahlen belegen, würde es aber bei der täglichen Arbeit erleben. Auch existiere im Leipziger Raum eine große Datenbank, in die Daten von Kinderärztinnen und -ärzten eingehen. Dort zeige sich eine Zunahme an Übergewicht und Adipositas bei Kindern während des Lockdowns.

Deutliche Zunahme von Übergewicht während Pandemie

"Uns fällt auf, dass viele Kinder wirklich extrem zugenommen haben. Wir sprechen hier von Schulkindern, die 20, 30 Kilo mehr wiegen und Jugendliche mit einer extremsten Adipositas. Also 150 Kilo aufwärts — mit den entsprechenden gesundheitlichen Folgen. Das haben wir in dieser Ausprägung vor der Pandemie nicht in dieser Häufigkeit gesehen", so Wiegand. Für die Ärztin hängt die extreme Gewichtszunahme mit Corona und den Lockdownfolgen zusammen.

Gerade in den prekären Verhältnissen habe das mit dem Onlineunterricht teilweise sehr mäßig geklappt. "Manche Jugendliche haben mehr oder weniger anderthalb Jahre auf der Couch gelegen. Mediennutzung und auch Mediensucht haben massiv zugenommen", erklärt die Endokrinologin. Durch einen verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus hätten Kinder und Jugendliche tagsüber geschlafen und sich gar nicht mehr bewegt. Nachts seien sie dafür wach gewesen.

Viele Kinder liegen seit der Pandemie mehr auf der Couch als sonst, beschäftigen sich mit Tablets (Symbolbild: Getty Images)
Viele Kinder liegen seit der Pandemie mehr auf der Couch als sonst, beschäftigen sich mit Tablets (Symbolbild: Getty Images)

Folgen für die Kinder können extrem sein

Ohne therapeutische Unterstützung sei es nur sehr schwer, aus dieser Spirale wieder herauszukommen. Durch fehlende Ernährungsberatung oder Psychotherapie können die Folgen für die Kinder schwerwiegend sein. Laut der Ärztin können das Diabetes, hoher Blutdruck, Fettleber. Pubertätsstörungen und orthopädische Probleme sein. Neben der Diagnostik müssten für die Behandlung auch die Ressourcen der Familien berücksichtigt werden. Denn die sind oft begrenzt. "Adipositas ist eine Erkrankung, die häufiger assoziiert ist mit einem niedrigen Sozialstatus", erklärt Susanna Wiegand.

Und das ist noch nicht alles. "Neben den körperlichen Folgen einer Adipositas gibt es vielfältige psychische Folgen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Sie erfahren häufig Stigmatisierung in ihrem Umfeld etwa in der Schule. Depressionen und Angststörungen sind – wie bereits erwähnt – die häufigsten psychiatrischen Begleiterkrankungen", so Wiegand.

Wie sollte man bei Übergewicht vorgehen?

Laut Wiegand reicht es nicht nur aus, die Süßigkeiten bei betroffenen Kindern wegzulassen, eine Übergewichtsprävention sei ebenfalls extrem wichtig. "Wenn ich für eine gesunde Umgebung der Kinder sorge, bekomme ich zur Prävention der Adipositas eine Entwicklungsförderung für alle Kinder gleich mit dazu", meint Wiegand.

Das könnte bedeuten, die Schulwege so sicher zu machen, dass Kinder sicher zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommen können. Es könnte auch bedeuten, den Schulunterricht noch aktiver zu gestalten und gesündere Schulverpflegung anzubieten", so die Expertin im Interview mit "RND" weiter. Dazu könnte aber auch ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel mit Spiel- und Kaufanreizen zählen. Die Softdrinksteuer in Südamerika zum Beispiel habe einen Effekt auf die Übergewichtshäufigkeit insgesamt gezeigt. Das seien alles Beispiele für Maßnahmen, die eigentlich gut umsetzbar sind.

Dass es dennoch schwierig ist, diese Maßnahmen umzusetzen, hat laut Wiegand verschiedene Gründe: "Es fehlt bei der Umsetzung oft der politische Wille. Insgesamt haben wir nicht erst seit Beginn der Pandemie als Kinderärztinnen und -ärzte den Eindruck, dass die Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen nicht ganz oben auf der politischen Agenda steht."

Anmerkung der Redaktion: Suizidgedanken sind häufig eine Folge psychischer Erkrankungen. Letztere können mit professioneller Hilfe gelindert und sogar geheilt werden. Wer Hilfe sucht, auch als Angehöriger, findet sie etwa bei der Telefonseelsorge unter der Rufnummer 0800 – 1110111 und 0800 – 1110222. Die Berater sind rund um die Uhr erreichbar, jeder Anruf ist anonym und kostenlos.

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