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Studie zeigt: Es ist wichtig, Kindern auch mal die Führung zu überlassen

Eltern müssen lernen, ihren Kindern nicht bei jedem Problem sofort unter die Arme zu greifen. Damit, das zeigt eine aktuelle Studie, entwickeln Kinder mehr Selbstständigkeit.

Eltern sollten nicht sofort bei jeder Herausforderung helfend zur Seite springen, sondern Kinder auch mal selbstständig probieren lassen. (Symbolbild: gettyimages / Nestea06)
Eltern sollten nicht sofort bei jeder Herausforderung helfend zur Seite springen, sondern Kinder auch mal selbstständig probieren lassen. (Symbolbild: gettyimages / Nestea06)

Beinahe jede Situation bietet Eltern eine Möglichkeit, ihren Kindern etwas beizubringen: Beim gemeinsamen Buchlesen etwa ließe sich über das Handeln der Figuren sprechen, selbst Verbote könnten nicht nur ausgesprochen, sondern auch erklärt und diskutiert werden. Die Forschung hat dazu gezeigt: Eine solche „engagierte Erziehung“ hilft Kindern, kognitive und emotionale Fähigkeiten zu entwickeln.

Vier Aufgaben für Eltern und Kinder

Zu viel elterliches Engagement jedoch kann sich in bestimmten SItuationen nachteilig auswirken. Das zeigt eine aktuelle Studie der Entwicklungspsychologin Jelena Obradović von der kalifornischen Universität Stanford. Veröffentlicht wurde sie im Journal of Family Psychology.

Darin haben Obradović und ihr Team 102 Grundschulkinder zwischen vier und sechs Jahren für zweieinhalb Stunden im Umgang mit ihren Eltern beobachtet. Ihnen wurden vier „Hauptaufgaben“ gestellt: Spielen, die Spielsachen aufräumen und saubermachen, ein Spiel ganz neu erlenen und gemeinsam über ein Problem diskutieren. Die Aufgaben erforderten nicht nur ein wechselndes Maß an elterlicher Hilfe, sie forderten auch die Emotionen der Kinder unterschiedlich.

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Weniger ist mehr

Die Kinder, deren Eltern sich häufiger einmischten, Anweisungen erteilten, Korrekturen vornahmen oder Fragen stellten – und das, obwohl ihre Kinder sich gerade selbstständig einer der Aufgaben widmeten – hatten dabei mehr Schwierigkeiten, ihre Emotionen in anderen Situationen zu zügeln. Und: Diese Kinder zeigten auch schlechtere Leistungen, wenn es darum ging, ihre Aufmerksamkeit zwischen konkurrierenden Aufgaben hin- und herzuwechseln. Sie besaßen dazu weniger Impulskontrolle und schnitten etwas schlechter ab, wenn eine Belohnung nach einer Aufgabe erst zeitversetzt erfolgte. Das alles konnte Obradović unabhängig von sozioökonomischen Faktoren bei den Kindern beobachten.

„Eltern sind darauf konditioniert, sich einzubringen. Selbst, wenn ihre Kinder selbstständig spielen oder gerade tun, was von ihnen verlangt wurde“, wird die Psychologin in einer Pressemitteilung der Stanford-Uni zitiert. Und: „Übernehmen Eltern allerdings zu oft die Führung, können sie es erschweren, dass Kinder lernen, ihre Aufmerksamkeit, Emotionen und ihr Verhalten selbstständig zu kontrollieren.“

Sekundengenaue Bestimmung: Wer leitet wen?

Neu ist an der Studie vor allem die Detailtiefe, mit der die Forschenden das Spielen der Kinder mit ihren Eltern untersucht haben. Da sie die Experimente in einem Labor der Universität durchgeführt haben, konnten sie alles auf Video aufnehmen und anschließend auswerten. Dabei haben sie sekundenweise bestimmt, ob gerade entweder ein Elternteil das Kind anleitet oder ob das Kind in Ruhe eine Aufgabe löst oder ob das Kind die Führung übernommen hat. Selbst kleinste Veränderungen, wann und wie die Eltern mit ihren Kindern umgehen, konnten so sichtbar gemacht werden.

Bislang haben Studien für eine gesamte „Interaktion“, also beispielsweise für die Aufgabe ein Spiel zu erlernen, nur eine Gesamt-Bewertung vergeben: Wer hat wen angeleitet?

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Basierend auf den neuen feinkörnigen Daten vergaben die Forschenden um Obradović dann Werte: Wie häufig haben sich Eltern „übermäßig engagiert“, indem sie sich in die selbstständigen Momente ihrer Kinder einschalteten, weil sie helfen wollten?

Auch mal einen Schritt zurücktreten

Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen Eltern, die sich häufiger einschalteten während ihre Kinder gerade selbstständig eine Aufgabe lösten und Kindern, die Probleme mit der Impuls- und Verhaltenskontrolle hatten – vor allem in emotionalen Momenten. Das galt jedoch nicht für Momente, wenn sich die Kinder gerade anleiten ließen. Dann schade ein übermäßiges elterliches Engagement nicht, schließt Obradović.

Überhaupt: Es geht den Forschenden nicht darum, Eltern zu kritisieren. Es sei nicht falsch, Kindern Ideen vorzuschlagen und Tipps zu geben, sie zu führen, wenn sie nicht aufpassen oder sie zurechtzuweisen, wenn sie gegen Regeln verstoßen. Es gehe vielmehr darum, Eltern dafür zu sensibilisieren, ihren Kinder öfter die Führung zu überlassen – auch wenn das stressig sein kann. Obradović sagt: „Es ist für Eltern unglaublich wichtig, dass sie lernen, wann sie auch mal einen Schritt zurücktreten müssen.“

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