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Tipps der Redaktion: Meine 5 Platten des Jahres 2017

Es gibt natürlich viele Platten des Jahres 2017. Kendrick Lamar, The XX oder Lorde dominieren die prominenten Bestenlisten. Das hier sind die fünf Alben, die ich in diesem Jahr am meisten gehört habe:

1.) Slowdive – Slowdive

Das Comeback des Jahres-

Wann hat es je eine Band geschafft, 22 Jahre nach ihrem letzten Album nochmal etwas Bedeutendes auf die Beine zu stellen? Das muss Slowdive erst mal jemand nachmachen. Mit ihrem 90er Werk “Souvlaki” setzten sie Maßstäbe im Shoegaze-Genre. Danach ging es leise dahin. Die Band löste sich auf.

Nun also das selbstbetitelte Comeback. Und das hat es in sich. Der Album-Opener “Slomo” schleicht sich langsam an, um sich dann immer weiter zu steigern. Ganz anders “Star Roving” – der Singlehit, der nie einer war. Hier fallen die Gitarrenwände gleich mit der Tür ins Haus und entfalten eine hymnische Kraft, die mitreißt. Eher ruhiger und dreampop-artiger “Sugar for the pill”. Titel um Titel umschließt einen die Wolke aus schwelgerischen Songs.

Für Fans melodiösen Indie-Pops ein Fest. Wäre schön, wenn sie den Nachfolger in weniger als 22 Jahren hinkriegen.

2.) A Projection – Framework

– Joy-Division-Gedächtnispreis des Jahres –

Dieses Album wird vermutlich in keiner Jahresbestenliste 2017 auftauchen. Zum einen ist die Band zu unbekannt. Zum anderen kann man nicht behaupten, dass sie überragend innovativ unterwegs sind. Die Titel lauten “Dark City” oder “Listen to the dark”. Genre-bedingt sind hier textlich die Grenzzäune ziemlich eng gesteckt. Und auch musikalisch wandelt A Projection eher traditionell auf den Spuren von Joy Division, Killing Joke und den frühen Editors. Doch wo Letztere nach dem dritten Album Richtung Stadion abgebogen sind, halten die Schweden die Fahne des Post-Punk-Dark-Wave hoch. Und zwar mit wuchtigem Sound, einem imposanten Lead-Sänger – und allen voran eingängigen Melodien. Hier reiht sich ein Indie-Gassenhauer an den nächsten. Ohne Aussetzer.

Wer braucht schon Experimente, wenn ein Album trotzdem mit jedem Song den Nerv trifft. Selten hat eine düstere Platte so viel Spaß gemacht.

3.) It’s for us – Come with me

– Der Geheimtipp des Jahres –

It’s for us. Der Name der Stockholmer (sic! Vergleiche A Projection) Band scheint Programm. Denn deren Facebook-Seite hat derzeit nicht einmal 1000 Fans. Und auf Amazon sucht man auch vergeblich nach Kaufmöglichkeiten. Kein Wunder. Die Band ist bislang noch nicht signifikant aus Schweden ausgebrochen. Das ist schade. Denn ihr Post-Punk wird mit wunderbaren Gitarrenlinien veredelt. Noch interessanter wird es durch Sängerin Camilla Karlsson, die dem ganzen eine Melange aus melodiöser Sanftheit und rauher Wildheit verleiht. Insgesamt ein unwiderstehlicher Mix. Selbst um das in einer Zigarettenpause hingeworfene “How low” wären andere neidisch.

Es gibt nur wenige Bands, die auf ihrem Debüt schon solch eine Qualität aufzuweisen hatten. So rotzig und frisch kamen vielleicht nur die Strokes zu ihrer Premiere daher. Deren Titel hätte hier auch gepasst: “This is it”.

4.) William Patrick Corgan – Ogilala

– Das Akustik-Album des Jahres –

Billy Corgan muss niemandem mehr etwas beweisen. Er hat der Welt mit den Smashing Pumpkins eines der besten (und meistverkauften) Doppelalben aller Zeiten geschenkt (Mellon Collie and the Infinite Sadness). Trotzdem sah er sich wohl 2017 in einer Sackgasse, setzte sich in seinen Van und fuhr durchs Land. Am Ende landete er in der Einfahrt vom tiefenentspannten Freund Rick Rubin, seines Zeichens Produzenten-Legende , der schon die Karrieren von Johnny Cash und Neil Diamond in neue Richtungen meditierte und auch sonst alle von Adele bis Slayer auf der Erfolgsspur begleitete.

Herausgekommen ist ein Singer/Songwriter-Album aufgenommen unter Live-Bedingungen. Das große Drumherum früherer Werke wurde durch feine Orchester- oder Synthesizer-Akzente smart ergänzt, die so manch guten Song auf ein noch höheres Level hieven. Balladen sind keine Neuheit bei Corgan. Dieses Mal finden sich aber keine lauten Kracher dazwischen, die das lauschige Gesamtbild in ihre Einzelteile torpedieren. Das war zu Pumpkins-Zeiten essentiell, macht “Ogilala” aber so stimmiger. Auch an seiner Stimme scheint er gefeilt zu haben. Die wirkt in einigen Passagen bewusst zerbrechlicher als sonst, was dem Ganzen noch mehr Tiefe verleiht.

Mit Billy Corgan ist also wieder zu rechnen, auch wenn er jetzt lieber William Patrick genannt werden will.

5.) Depeche Mode – Spirit

– Die Frischzellenkur des Jahres –

Depeche Mode 2017. Wieder kein “Enjoy the silence” oder “Just can’t get enough”. So heißt das Mantra einiger DM-Sympathisanten schon seit Jahren. Doch während Weggefährten der Anfangstage wie OMD oder The Human League bereits lange nicht mehr relevant sind, füllen Depeche Mode nach wie vor Stadien – und zwar nicht als Oldie-Revue. Sie haben es geschafft, ihren Sound wahlweise zu revolutionieren oder zumindest immer wieder neue Facetten hinzuzufügen, die das ganze Gefüge interessant halten.

Im neuen Jahrtausend gelang das vielleicht nicht immer durchgehend. So war das 2013er Album Delta Machine arg steril geraten, weshalb neue Impulse gefragt waren. “Spirit” bietet das alles. Nicht unbedingt durch eine Fülle an eingängigen Hits. Dazu sind fast alle Songs mit Haken versehen, die nicht mehr für den Mainstream-Radiobrei in Dauerrotation geeignet sind. Überall pluggert und zirpt es, wie z.B. in der Kraftwerk-Reminiszenz “You Move”. Und auch ruhigere Stücke wie “Cover Me” kippen nach der Hälfte in einen Sog elektronischer Ambienttürme. Zudem gibt es textliche Neuerungen. Gore und Gahan präsentieren sich erstmals unverhohlen politisch – Trump sei Dank. Und über allem schwebt die düstere, destruktive Stimmung der frühen 80er. Kalter Krieg revisted sozusagen. Dazwischen Steelguitar und die anklagende Stimme von Dave Gahan.

Schon lange kamen DM nicht mehr so aus einem Guss daher. “Going Backwards” – aber mit Blick nach vorne. Es bleibt interessant.