"Sie trinken im Verborgenen": Warum immer mehr Frauen zur Flasche greifen

Fast zwei Millionen Menschen in Deutschland gelten als alkoholabhängig. Häufig betroffen sind auch Frauen. Das aber ist weniger bekannt. Denn sie greifen eher versteckt zur Flasche.

Als alkoholabhängig gelten fast zwei Millionen Deutsche. Doch die Dunkelziffer ist viel höher, vor allem bei Frauen. In der Dokumentation "Trinken ohne Limit - Die verborgene Alkoholsucht", die am Mittwoch, 23. Oktober, 20.15 Uhr, bei ZDFinfo zu sehen ist, klärt unter anderem der Suchtberater Peter Englert darüber auf. Er sagt: "Bei der Frau ist es so, dass sie gerne alleine trinkt. Das ist das Schamgefühl. Der Mann ist schon seit jeher in Kneipen gegangen. Dass er zum Frühschoppen geht, das ist normal. Bei einer Frau war das aber immer undenkbar." Dem Filmautor Thomas Kasper ist es zudem gelungen, suchtkranke Menschen vor die Kamera zu bringen. Ihre Erzählungen über den Umgang mit dem Alkohol sind so erschütternd wie mutig.

Die 56-jährige Andrea Behrend etwa versucht seit mehr als 20 Jahren von der Flasche wegzukommen. Wenigstens aber lässt sie sich helfen in einer Therapieeinrichtung. Das machen Frauen seltener als Männer. Doch bei Behrend wurde es allerhöchste Zeit. Sie erinnert sich vor laufender Kamera: "Vor der Therapie habe ich aufgehört bei 25 Flaschen Bier und fünf Pack Hubertustropfen. Getrunken habe ich immer bei mir zu Hause. Dort, wo es keiner gesehen hat." Aufgefallen sei ihr Rückfall, da sie jeden Tag mit klappernden Flaschen losgegangen war, so Behrend weiter.

Was in der Dokumentation deutlich wird: Frauen haben nicht nur ein anderes "Trinkverhalten", auch ihre Motive, zur Flasche zu greifen, sind oft andere als bei Männern. Während Männer oft aus Gründen der Geselligkeit trinken, tun es Frauen eher, um traumatische Erlebnisse zu verdrängen. "Diejenigen, die in die Beratungsstelle kommen, das sind Frauen, die aus Problemen heraus trinken. Das sind nicht die Partylöwinnen, sie trinken im Verborgenen", bestätigt auch Suchtberater Englert.

Erschreckende Schicksale, erschreckende Zahlen

Hinter alkoholabhängigen Frauen stecken nicht selten bedrückende Biografien. Andrea Behrend beispielsweise erlebte Missbrauch und zwei Vergewaltigungen. Auch Anja, eine andere Protagonistin des Beitrags, hat ein traumatischer Schicksalsschlag erst in die Sucht und nunmehr an den Hansaplatz in Berlin gespült. Als junge Mutter verlor sie ihre erst sechsjährige Tochter bei einem Verkehrsunfall. Das Kind war auf dem Weg zur Schule auf einem Zebrastreifen von einem Auto erfasst worden. "Ich habe vom Balkon aus alles beobachtet", erzählt sie. Und seit diesem Tag an vor rund zweieinhalb Jahren sei sie kaum mehr nüchtern gewesen.

So erschreckend, vielfältig und schwer zu fassen die Hintergründe auch sind, der traurige Trend ist eindeutig: Immer häufiger sind auch Frauen alkoholsüchtig. Vor etwa zehn Jahren kam auf 3,5 alkoholkranke Männer eine Frau, heute kommt eine Frau auf 2,4 Männer. Genau wie Kinder zählen Frauen außerdem zu der Gruppe, die besonders von Co-Abhängigkeit betroffen ist. Allein in Deutschland konsumieren 9,5 Millionen Menschen Alkohol in schädlicher Menge. 1,3 Millionen Deutsche gelten als abhängig.

Tatsächlich lässt einen dieser Film noch einmal ganz anders über die Wechselwirkungen von gravierenden Problemen wie insbesondere Einsamkeit und Alkoholsucht nachdenken. Vor allem macht der Beitrag über die "weibliche Perspektive" des Alkoholmissbrauchs eines sehr deutlich: Der Versuch, mithilfe des Alkohols eine innere Leere zu füllen, ist zum Scheitern verurteilt.