Unternehmer erzählen, wie das "rechte Image" in Sachsen die Suche nach Fachkräften noch zusätzlich erschwert

Auf dem Dresdner Altmarkt verfolgen einige Pegida-Anhänger eine Versammlung anlässlich des 7. Jahrestags der Pegida-Bewegung und präsentieren eine Fahne mit rechtsextremer Aufschrift.
Auf dem Dresdner Altmarkt verfolgen einige Pegida-Anhänger eine Versammlung anlässlich des 7. Jahrestags der Pegida-Bewegung und präsentieren eine Fahne mit rechtsextremer Aufschrift.

Fast täglich berichten Medien von Rechtsextremisten in Sachsen: Solche, die Corona-Proteste unterwandern, bei Pegida mit marschieren oder zwischendrin Hetzjagden auf Geflüchtete machen wie in Chemnitz im August 2018 oder im Herbst 2016 in Bautzen. Und auch im sächsischen Landtag stellt die AfD fast ein Drittel aller Sitze, obwohl die Partei beim Verfassungsschutz bereits als Verdachtsfall für Rechtsextremismus geführt wird.

Im Rest der Republik hat Sachsen deshalb vielerorts ein Imageproblem: Das Land wird nach außen hin als "rechte Hochburg der AfD" wahrgenommen. Und auch innerhalb des Landes ist das politische Klima für einige Unternehmen zum wirtschaftlichen Standortnachteil geworden, obwohl sich Städte wie Dresden oder Leipzig aktiv gegen Fremdenfeindlichkeit engagieren. Für sie ist schwieriger geworden, dringend benötigte Fachkräfte aus Deutschland oder dem Ausland von einem Arbeitsplatz in Sachsen zu überzeugen.

Business Insider hat mit betroffenen Unternehmen gesprochen. Einige in Dresden haben es zwar erfolgreich geschafft, Fachkräfte anzuwerben und zu binden. Andere unter ihnen berichten jedoch, dass sich deutsche wie internationale Fachkräfte bereits in Bewerbungsgesprächen sorgen würden, überhaupt in sächsische Städte wie Dresden oder Bautzen zu ziehen. Das vermeintliche rechte Image schrecke sie ab, zu groß sei die Angst vor Anfeindungen. Hinzukommt: Selbst wenn es Unternehmen gelingt, Fachkräfte anzuwerben, kündigen diese teilweise nach wenigen Monaten wieder, weil sie sich mit anderer Hautfarbe und ohne Deutschkenntnisse nicht wohlfühlen würden oder in der Öffentlichkeit rassistisch beleidigt werden würden.

"In Bewerbungsgesprächen höre ich oft, (...) ‚Ist Dresden sicher?’"

Da ist zum Beispiel das Dresdner Unternehmen Deveritec. Mit rund 35 Mitarbeitern arbeitet die Firma im Bereich Elektronik- und Softwareentwicklung und ist auf ausländische Fachkräfte wie Informatiker oder Elektrotechnikingenieure angewiesen. In der Vergangenheit gab es mehrere Mitarbeiter aus Indien, Syrien oder dem Iran – doch nicht alle blieben lange.

Das Unternehmen bietet seinen Fachkräften viel: es unterstützt Familien beim Ankommen, etwa einen Schul- oder Kindergartenplatz zu finden oder im Alltag mit sozialen Kontakten innerhalb des Teams. Trotzdem kündigten in den letzten Monaten gleich drei top ausgebildete Fachkräfte aus Indien und dem Iran: " Alle drei sind in die alten Bundesländer, unter anderem nach Hamburg, weil sie sehr unglücklich in Dresden waren", erzählt eine Mitarbeiterin des Unternehmens Business Insider, die lieber anonym bleiben möchte. Der Mann aus Indien habe fließend Deutsch gesprochen, aber unter anderem in Bussen und Bahnen abfällige Witze zu seiner dunklen Hautfarbe gehört. "Die Atmosphäre hat es allen Dreien schwer gemacht, sich zu integrieren", so die Deveritec-Mitarbeiterin.

Ein anderer Unternehmer, der über die Auswirkungen von Pegida-Protesten auf die Fachkräftesuche in Dresden berichtet ist Markus Reichel, Geschäftsführer der internationalen Strategieberatung Dreberis. Er sitzt inzwischen für die CDU im Bundestag: "Einer meiner Mitarbeiter, der kein Deutsch sprach, traute sich auf der Straße nicht, offen seine Muttersprache zu sprechen. Er hatte Angst, angefeindet oder sogar bedroht zu werden", erzählt er Business Insider, betont aber, dass das bisher ein Einzelfall bei ihm im Unternehmen gewesen sei.

In Gesprächen mit Unternehmen aus anderen Teilen Deutschlands oder aus anderen Ländern erlebt der CDU-Abgeordnete Reichel trotzdem, dass Firmen daran zweifeln, sich in Dresden anzusiedeln: „Geschäftspartner, die Investitionen in Dresden vorhaben, fragen uns, ob man in Dresden aktiv werden solle oder ob es Probleme gäbe, Fachkräfte zu gewinnen.“ In einer Rede im Stadtrat vergangenen Herbst erzählt Reichel außerdem, dass er immer wieder von Spezialisten mit internationalem Hintergrund hören würde, die ein Stellenangebot in Dresden ablehnen. Stadt und Stelle seien toll, aber sie könnten die Familie nicht überzeugen, nach Dresden zu ziehen. "Wir haben einfach Angst", sagten sie, so erzählt es Reichel.

Ähnliches erlebt auch der Geschäftsführer der Dresdner Firma Solarwatt, die rund 600 Mitarbeiter beschäftigt und Photovoltaikanlagen vertreibt: "In Bewerbungsgesprächen höre ich oft, nachdem wir uns alle grundlegenden Rahmenbedingungen geeinigt haben: ‚Ich muss erstmal meine Frau überzeugen, nach Sachsen zu ziehen’ oder ‚Ist Dresden sicher?’. Da schwingt oft mit, dass Mitarbeiter mit ihrer Familie nicht in ein Bundesland ziehen wollen, in der eine Allianz von AfD, Querdenkern und Hooligans zum Alltag gehört“, sagt Solarwatt-Chef Detlef Neuhaus. Sachsen habe es nicht geschafft, eine Willkommenskultur zu etablieren.

Dabei erzählt auch Neuhaus von einem australischen Mitarbeiter, der das Unternehmen erst letztes Jahr verlassen hat. Der Grund: Mit seiner dunklen Hautfarbe habe er sich nicht mehr in Dresden wohlgefühlt. "Es war die Grundatmosphäre in der fast 30 Prozent der Menschen AfD wählen und Pegida jeden Montag demonstriert", so berichtet Solarwatt-Chef Neuhaus.

Eine ifo-Studie aus Dresden zeigt, dass rechte Proteste junge Menschen abschrecken in die Stadt zu ziehen

Zahlen, wie viele Fachkräfte aus Sachsen aufgrund des politischen Klima oder rechter Proteste abwandern oder gar nicht erst hinziehen, gibt es bislang nicht. Doch eine Studie des Dresdner Wirtschaftsforschungsinstitus ifo aus April 2021 zeigt, dass rechte Demonstrationen wie Pegida den Zuzug nach Dresden stark verringert haben. Besonders ausgeprägt ist der Rückgang bei der Zahl der jungen Deutschen, die aus anderen Bundesländern nach Dresden ziehen. Zogen 2011 noch über 3000 Studenten aus dem restlichen Deutschland nach Dresden, waren es 2017 rund 1000 weniger. Auch bei der Zahl der internationalen Studierenden zeigt sich ein starker Abfall: 2017 zogen mehrere hunderte weniger internationale Studierende nach Dresden als noch drei Jahre zuvor.

Die beiden Studienautoren nennen diese Zahlen aus wirtschaftlicher Perspektive "besorgniserregend", weil Dresden als Wirtschaftsstandort darauf angewiesen sei, dass hochqualifizierter Menschen zuziehen würden. Sie warnen deshalb vor den Folgen rechter Proteste: "Aufgrund des massiven Imageverlusts, den Dresden infolge der rechten Proteste erfahren hat, gehen wir davon aus, dass diese Demonstrationen sich nicht nur kurz-, sondern auch mittelfristig negativ auf die Entwicklung der Stadt Dresden auswirken werden." Denn nach heutigen Prognosen sollen allein bis 2030 über 300.000 Fachkräfte auf dem sächsischen Arbeitsmarkt fehlen.

Unter den Unternehmern teilen einige die Ansicht der Forscher: „Die größte Gefahr ist, dass wir die Leute nicht kriegen, die wir brauchen, weil sie sich gar nicht erst bewerben", sagt Solarwatt-Geschäftsführer Detlef Neuhaus. Als Unternehmen müssten sie deshalb gerade in Sachsen teilweise mehr Aufwand betreiben, um Fachkräfte anzuwerben. Die Deveritec-Mitarbeiterin hält die Pegida-Versammlungen und die lang bekannte, rechte Einstellung einiger in Sachsen ebenfalls für "absolut schädlich": "Ich habe große Zweifel, dass wir diesen enormen Schaden noch reparieren können", sagt sie.

Rund 80 Unternehmen positionieren sich inzwischen klar gegen die AfD und rechte Proteste


Durchaus optimistischer sieht das Sylvia Pfefferkorn, stellvertretende Vorsitzende des Dresdner Vereins "Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen". Seit der Vereinsgründung 2016, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, treten mehr und mehr Unternehmen bei, um sich gegen das rechte Image von Sachsen zu wehren: „Noch bis 2017 trauten sich Unternehmen nicht, sich klar gegen AfD oder rechts zu positionieren", erzählt Pfefferkorn Business Insider. Sie hätten Angst gehabt, dass ihnen die Mitarbeiter wegrennen, die AfD wählten. Nachdem die Unternehmen jedoch im Ausland von anderen Unternehmen oder von Fachkräften immer öfter gefragt wurden, was mit Sachsen los sei, hätten sich viele Firmen entschieden ein klares Statement abzugeben und zu handeln.

Inzwischen zählt der Verein 80 Mitglieder. „Heute fragen uns Unternehmen, ob wir Workshops für die Belegschaft anbieten können, weil bald Landratswahlen sind. Sie wollen ihre Mitarbeiter für eine Weltoffenheit und demokratische Werte sensibilisieren, wählen zu gehen, im besten Fall nicht blau", erzählt Pfefferkorn. Die Anfragen beschränken sich dabei nicht nur auf die Belegschaft: "Eine Bank wollte keinen Umsatz mit Extremisten machen und fragte uns, wie sie bei Immobilienkäufen beispielsweise schnell herausfinden können, ob daraus zum Beispiel eine rechte Ansiedlung entstehen soll", berichtet Pfefferkorn.

Dieses Engagement der Firmen hat positive Folgen, glaubt Pfefferkorn: "Nicht alle Firmen haben Probleme, Fachkräfte in Sachsen anzuwerben", sagt sie. Je besser das Unternehmen auf internationale Fachkräfte mit Mentoren oder Mitarbeiternetzwerken vorbereitet sei, desto eher könne es sie überzeugen und langfristig binden.

Für manche Firmen existiert das Problem deshalb gar nicht im eigenen Unternehmen: Der internationale Halbleiterhersteller Infineon oder der Software-Anbieter Peer Group berichten auf Nachfrage von Business Insider, dass sie in ihren Dresdner Standorten keine Auswirkungen des vermeintlich rechten Images in Sachsen zu spüren bekommen hätten. Es gäbe bei Infineon weder Probleme Fachkräfte anzuwerben noch zu halten. Im Gegenteil: In den letzten drei Jahren konnte Infineon rund 80 Mitarbeiter aus über 18 Nationen gewinnen.

Trotz der positiven Unternehmens-Beispiele räumt Sylvia Pfefferkorn vom sächsischen Wirtschaftsverband ein: „Es gibt Regionen mit Unternehmen, die schwerfälliger sind. Zum Beispiel in der Lausitz oder im Erzgebirgskreis haben wir weiße Flecken, was unsere Mitgliedschaften angeht". Dort gäbe es oft ein starkes Selbstbewusstsein heimatlicher Kultur. Gerade in diese Regionen versuche der Verein deshalb mit Info-Veranstaltungen oder Fachinformationszentren zum Thema Zuwanderung hineinzugehen und kooperiere mit den Landkreisen, etwa in Bautzen.

Bautzen ist eine Region, in der Unternehmen teilweise Probleme haben Fachkräfte anzuwerben

In Bautzen, einem der weißen Flecke, muss SPD-Bürgermeister Alexander Ahrens tatsächlich für Weltoffenheit kämpfen: In der Stadt sind 2016 immer wieder Geflüchtete verfolgt worden, weil sie Geflüchtete waren. Er betreibt deshalb offensiv Öffentlichkeitsarbeit, um den Ruf der Stadt zu verteidigen: „Ich wollte keine Presseanfrage mehr unbeantwortet lassen, damit wir dieses „rechte Image“ auch wieder loswerden", sagt er Business Insider. Allein 2016 habe er 370 Medientermine gehabt, nachdem Rechte teilweise minderjährige Geflüchtete durch die Stadt jagten.

Wie wichtig die Pressearbeit von Bürgermeister Ahrens ist, zeigt sich auch in seinen Gesprächen mit Unternehmen aus der Region, bei denen Bewerber aus anderen Ländern explizit nachfragen, ob man in Bautzen noch problemlos arbeiten gehen könnte. Dabei ist der Ruf der Stadt auch für die Zukunft der regionalen Wirtschaft entscheidend:„Bautzen ist schuldenfrei. Damit die Stadt aber schuldenfrei bleibt, brauchen wir weiterhin einen Zustrom an Fachkräften", erklärt Ahrens und ergänzt dann, "Und den haben wir nur, wenn wir dieses Image dauerhaft beseitigen.“

Politische Aktionen und eine klare Haltung der Unternehmen könnten das "rechte Image" ausbügeln

Ähnlich sieht das auch der Ostbeauftrage des Bundes, Carsten Schneider von der SPD. Auf Anfrage von Business Insider sagt er: "Mein Ziel ist, den Osten so attraktiv und weltoffen aufzustellen, dass er zu einer pulsierenden Region wird." Konkrete Schritte zu diesem Ziel nennt er nicht.

Solarwatt-Chef Neuhaus will in seinem Unternehmen jedoch weiterhin auf "persönliche Glaubwürdigkeit" setzen. "Ich komme aus dem tiefen Ruhrpott und lebe hier seit elf Jahren zufrieden mit meiner Frau aus Asien", so Neuhaus, das würde er auch in allen Bewerbungsgesprächen offen erzählen. Zudem müssten Mitarbeiter bei Solarwatt gehen, wenn sie andere im Team diskriminieren würden. CDU-Abgeordneter Reichel hingegen will auch politisch etwas entgegensetzen: Er setzt auf Aktionen wie "Haltung zeigen", bei der sich im Januar spontan tausende Menschen in Dresden gegen rechts positionierten.

Welchen Weg Unternehmer und Politik auch gehen. Fakt ist: Bislang ist Sachsen zwar das wirtschaftlich stärkste Bundesland im Osten. Doch das Problem mit dem Rechtsextremismus könnte dem ein Ende setzen, wenn Fachkräfte künftig wegbleiben.