Warum Medikamente bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken
Unabhängig vom Geschlecht werden Patienten mit denselben Medikamenten oft in derselben Dosierung behandelt. Ein Fehler, wie verschiedene Studien zeigen. Das NDR-Gesundheitsmagazin “Visite“ hat mit einer Expertin für Genderforschung in der Medizin über die Gefahren der jetzigen Praxis gesprochen.
Prof. Vera Regitz-Zagrosek ist die Direktorin des Instituts für Genderforschung in der Medizin an der Berliner Charité. Aus ihrer jahrzehntelangen Praxis weiß sie, wie groß in der Medizin die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind – und das sowohl hinsichtlich der Krankheitsbilder wie auch in der Wirkweise von Medikamenten.
Gründe für die differierende Medikamentenwirkung
Dafür, dass Medikamente bei den Geschlechtern unterschiedlich wirken, gibt es mehrere Gründe: Zum einen unterscheidet sich die Dauer des Weges, die eine Tablette braucht, um durch den Körper eines Mannes oder einer Frau zu wandern. Zum anderen sind es erst die Enzyme, die die Wirkstoffe im Körper aktivieren, die bei Frauen und Männern aber in unterschiedlicher Zahl vorkommen. Drittens verteilen sich die Wirkstoffe anders in den Körpern, weil Frauen oft kleiner sind als Männer und einen höheren Körperfettanteil haben. Zudem treten bei Frauen öfter Nebenwirkungen auf als bei Männern.
In Studien spielen Frauen kaum eine Rolle
Obwohl diese Unterschiede durch mehrere Studien bekannt sind, ist die Wirkung von Medikamenten auf Frauen viel schlechter untersucht als diejenige auf Männer. Laut Prof. Regitz-Zagrosek ist das auch eine Nachwirkung des Contergan-Skandals, durch den erst bekannt wurde, wie gravierend Medikamente ungeborene Kinder schädigen können. Als direkte Folge daraus würden Frauen in Studien zu Testzwecken kaum einbezogen. Zum anderen würden Medikamente vor allem in frühen Phasen an gesunden Freiwilligen getestet. “Und das sind fast immer junge Männer.“
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“Medikamente an allen testen, die sie einnehmen“
Die Gender-Expertin der Charité fordert deshalb: “Man muss die Strategie ändern. Man muss die Arzneimittel an all den Bevölkerungsgruppen testen, die sie später auch einnehmen sollen.“ Das sind zum einen Frauen, von denen man weiß, dass zum Beispiel manche Herzmedikamente ihr Leben verkürzen, wo sie es bei Männern verlängern, oder Schlafmittel wie Zolpidem länger brauchen, um abgebaut zu werden. Und zum anderen ältere Menschen, die einen Großteil der Medikamente schlucken, in Tests bislang aber ebenfalls unterrepräsentiert sind.
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Was jetzt getan werden sollte
Prof. Regitz-Zagrosek fordert von der Pharmaindustrie entsprechende Tests, damit Hinweise zu geschlechtsspezifischen Nebenwirkungen und Dosierungen in die Beipackzettel aufgenommen werden können. Zudem sollten Geschlechterunterschiede auch in der Ausbildung von Medizinern eine größere Rolle spielen.
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