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Wunderwaffe gegen Schönheitsfehler - Ausgerechnet im streng muslimischen Iran boomen Nasen-Operationen

Von Christine Luz

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Blonde Locken statt schwarzer Mähne: Auch das ist heute im muslimischen Staat keine Seltenheit. Foto: Samaneh Khosravi

Iranerinnen zählen zu den schönsten Frauen der Welt: dunklen Augen, lange Wimpern, ein exotischer Teint. Trotzdem stören sich viele an ihrem Aussehen. Der Makel: die Nase.

„Meine war riesig, ich wurde dafür gemobbt“, jammert eine 19-Jährige im Forum für Schönheitsoperationen der Plattform RealSelf. „Ich kam immer weinend von der Schule nach Hause und wünschte mir nichts sehnlicher als eine kleine Nase.“ Mit diesem Kummer ist sie nicht allein. Viele iranische Frauen empfinden ihre Nase als zu groß oder klagen über einen unschönen Höcker. Das Land rangiert ganz weit oben auf der Weltliste für Rhinoplastik, der Korrektur der Nase. Bis zu 40.000 Frauen und Männer entscheiden sich laut einer internationalen Studie jedes Jahr für den Eingriff. Andere Quellen sprechen sogar von über 100.000. „In fast jeder iranischen Familie gibt es mindestens einen, der sich die Nase hat richten lassen oder zumindest darüber nachdenkt“, verrät ein junger Iraner, der anonym bleiben möchte, gegenüber Yahoo Deutschland.

Und nicht nur Frauen hadern mit ihrem Aussehen. Kamran, ein 32 Jahre alter Iraner, hat sich erst vor wenigen Monaten dem Eingriff unterzogen. „Die OPs sind total angesagt im Iran“, sagt er im Interview mit Yahoo Deutschland. „In unserer Gesellschaft fühlen sich Menschen mit einer schönen Nase einfach wohler.“ Allerdings war für ihn die Korrektur nur zweitrangig. Er hatte viele Jahre Probleme mit dem Atmen. „Ich dachte mir, wenn ich schon eine OP brauche, lasse ich mir auch die Nase richten.“

Schönheit als Selbstverwirklichung

Die Operationen sind so gefragt, dass Frauen sie gerne offen zeigen. Nach dem Eingriff tragen sie das Pflaster über dem Nasenrücken wie eine Auszeichnung – oft noch lange, nachdem die Wunde verheilt ist. Das gilt als gute Möglichkeit, potentielle Ehemänner auf sich aufmerksam zu machen. Denn das Pflaster signalisiert: Ich komme aus gutem Haus, meine Familie kann sich die Operation leisten.

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Das Pflaster auf dem Nasenrücken ist auch eine Möglichkeit, Männer auf sich aufmerksam zu machen Bild: Getty Images

Kamran, der junge Iraner, sagt dagegen: „Einige Bekannte schauten mich plötzlich komisch an, das war ein sehr unangenehmes Gefühl.“ Er hat umgerechnet fast 2000 Euro für seine Operation bezahlt. Abhängig davon, wie bekannt der Arzt ist, können es auch mal bis zu 5000 Euro sein. Wer sparen will, bekommt in Teheran aber auch schon Schnäppchen für 1000 Dollar angeboten.

Dr. Saman Haj hat in seiner Heimat schon über 450 Nasen gerichtet. Fast alle seine Patienten sind unter 35. Er erklärt im Gespräch den OP-Boom so: „Viele Iranerinnen sind im traditionellen Hausfrauenbild gefangen, sie kümmern sich umso mehr um ihren Körper und ihre Schönheit, weil sie dadurch Selbstvertrauen gewinnen.“ Gleichzeit brechen immer mehr aus diesem Rollenbild aus, was neue Probleme schafft. Zwar genießen inzwischen viele eine gute Bildung, doch die Männer halten in dieser Entwicklung wegen der Wirtschaftskrise nicht mit. Das führt zu einem bizarren Schönheitswettbewerb. „Mehr als 65 Prozent unserer Studenten sind Frauen“, sagt Dr. Saman. „Es gibt einen unglaublichen Konkurrenzkampf zwischen gut gebildeten Frauen um ebenfalls gut gebildete Männer.“

Modische Revolution

Von freier Entfaltung können Iranerinnen nur träumen. Im muslimisch geprägten Land herrschen strenge Bekleidungsvorschriften. Enge, körperbetonte Klamotten sind verboten. Ein Kopftuch muss die Haare komplett verdecken. Wer sich allzu freizügig gibt, gerät leicht ins Visier der Sittenwächter – wie IT-Girl Kim Kardashian. Beamte warfen der Halbiranerin Anfang des Jahres vor, sie sei eine Agentin des Westens. Die Begründung: Durch ihre Selfie-Posts auf Instagram würde sie jungen Leuten aus dem Iran falsche Werte vermitteln und sie gegen ihren Glauben aufhetzen.

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Die iranische Fotografin Samaneh Khosravi zeigt, wie Frauen die Bekleidungsvorschriften umgehen Foto: Samaneh Khosravi

Trotz Fällen wie diesem wird das Kleiderverbot immer großzügiger ausgelegt. Manche sprechen sogar von einer modischen Revolution. Diese Entwicklung hat die iranische Fotografin Samaneh Khosravi in ihrem Buch „Among Women“ dokumentiert. Internet und Fernsehen haben ihr zufolge westliche Vorbilder geschaffen, denen die Perserinnern nacheifern. Allerdings: „Erst nachdem ich einige europäische Länder besucht habe und nach Deutschland gezogen bin, habe ich erkannt, dass das westliche Schönheitsideal, dass im Iran zelebriert wird, nicht dem europäischen Alltag entspricht, sondern hier lediglich für besondere Anlässe, Modeshows oder in Filmen so praktiziert wird.“ So schreibt sie es in ihrer Bachelorarbeit, die sie über dieses Thema verfasst hat. Sie wollte den spannenden Mix aus neuen und alten Schönheitsidealen und Verhüllungszwang festhalten.

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Das Kopftuch ist längst zum modischen Accessoire geworden. Foto: Hamid Sadeghi

Das Auffälligste: „Das Kopftuch wird mittlerweile oft mehr als modisches Accessoire verstanden“, schreibt sie. Und auch vom Tschador, einer Ganzkörperverhüllung ähnlich der Burka bei der nur Gesicht und Hände frei bleiben, haben sich junge Frauen verabschiedet. Stattdessen tragen sie modische Mäntel in bunten Farben, die den islamischen Richtlinien immerhin noch zum größten Teil entsprechen.

Designer-Teile aus dem Wohnzimmer

Die ersten Modeunternehmen wittern bereits ein Geschäft. Das italienische Luxus-Label Dolce & Gabbana entwirft Kopftücher in der High-Fashion-Variante. Ansonsten aber sind trendige Teile im muslimischen Staat rar. Schicke Klamotten in den Geschäften? Fehlanzeige. Designer haben Angst vor Zäsur und präsentieren die neue Kollektion lieber bei sich zu Hause. „Frauen vereinbaren üblicherweise vorher einen Termin, um exklusive Mode zu betrachten und zu kaufen“, so Fotografin Khosravi. „Zu Tee und Gebäck werden verschiedene Kleidungsstücke anprobiert bis das Passende gefunden wurde.“ Viele Modeschöpfer vertrauen auf Mundpropaganda oder stellen ihre neue Kollektion im Netz vor. Instagram-Profile wie @hodakatebi oder @thetehrantimes zeigen, wie vielfältig der iranische Streetstyle heute ist.