Ärztin verrät: Symptome, Therapie & Heilungschancen bei Schilddrüsenkrebs

Immer häufiger wird Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Welche Symptome man ernst nehmen sollte, wie die Heilungschancen stehen und welche Therapie möglich ist, verrät Medizinerin Dagmar Führer-Sakel.

Die Anzahl der Schilddrüsenkrebsdiagnosen ist weltweit in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Insbesondere in Südkorea ist dieser Anstieg bemerkenswert: Innerhalb der letzten 30 Jahre hat sich die Häufigkeit der Diagnosen etwa verfünfzehnfacht. In Europa sind die Zahlen zwar weniger dramatisch, jedoch gibt es auch hier einen deutlichen Anstieg der Schilddrüsenkrebsfälle. Die Anzahl der Todesfälle durch Schilddrüsenkrebs hat sich jedoch in diesem Zeitraum kaum verändert.

Der Anstieg der Diagnosen ist hauptsächlich auf den vermehrten Einsatz von bildgebenden Untersuchungen zurückzuführen. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der Verbreitung von Ultraschalluntersuchungen und dem Anstieg der Schilddrüsenkrebsfälle. Etwa 50 Prozent aller 50-Jährigen und etwa 70 Prozent aller 70-Jährigen haben einen Schilddrüsenknoten, von denen jedoch in weniger als einem Prozent der Fälle ein behandlungsbedürftiger Schilddrüsenkrebs vorliegt. Aus diesem Grund werden vorbeugende Ultraschalluntersuchungen nicht empfohlen.

Schilddrüsenkrebs: Unterschiedliche Formen

Es gibt verschiedene Arten von Schilddrüsenkarzinomen, die sich in ihrer Form unterscheiden. Dazu gehören differenzierte, gering differenzierte, undifferenzierte und medulläre Karzinome sowie seltene Varianten. Die genetischen Muster, die diese Krebsart kennzeichnen, sind heute gut bekannt. Durch eine histologische und molekulare Charakterisierung können Krankheitsverläufe und Therapiemöglichkeiten besser eingeschätzt werden.

Hochaggressive Formen von Schilddrüsenkrebs sind selten, aber müssen sofort behandelt werden. Die anaplastischen oder undifferenzierten Schilddrüsenkarzinome machen nur etwa 5 bis 6 Prozent aller Schilddrüsenkrebsfälle aus. Für Patienten mit diesen Formen werden in Studien neue Therapiemöglichkeiten untersucht. Eine weitere seltene Form von Schilddrüsenkrebs ist das medulläre Karzinom, das in etwa einem Viertel der Fälle vererbt wird und oft mit der Entwicklung anderer hormonproduzierender Tumoren im Körper einhergeht.

Schilddrüsenkrebs: Die Heilungschancen

Es gibt viele Krebsarten, bei denen die Heilungschancen sehr hoch sind. Dazu gehören die differenzierten Schilddrüsenkarzinome, die etwa 90 Prozent aller Schilddrüsenkrebsarten ausmachen. Das papilläre Karzinom ist besonders häufig. Diese Tumoren haben ein einfaches genetisches Muster, und in zwei Dritteln der Fälle liegt eine BRAFV600E Mutation vor. Sie können durch Operation und gegebenenfalls Radiojodtherapie behandelt werden.

Die Prognose für Betroffene ist ausgezeichnet. 90 bis 95 Prozent aller Patienten werden geheilt. Nur ein kleiner Teil dieser Karzinome reagiert nicht mehr auf Radiojodtherapie, wenn es sich ausgebreitet hat. In diesem Fall handelt es sich um ein radiojodrefraktäres Karzinom. Wenn das Tumorwachstum weiter voranschreitet, können Tyrosinkinaseinhibitoren das Fortschreiten stoppen und den Tumor teilweise zurückgehen lassen.

Eine andere Form, das papilläre Mikrokarzinom, tritt sogar noch häufiger auf als das papilläre Karzinom. Es ist kleiner als ein Zentimeter und beeinträchtigt das Leben des Patienten nicht. Schätzungen zufolge haben weltweit 10 bis 30 Prozent der Menschen ein solches Mikrokarzinom in der Schilddrüse. Aus Fallstudien weiß man, dass nur jeder 10.000ste Fall eine Ausbreitung aufweist. Bei diesen Mikrotumoren, die eigentlich nicht als Karzinom bezeichnet werden sollten, gilt nicht das Prinzip, den Tumor so früh und aggressiv wie möglich zu behandeln.

Krebs ist immer individuell

Die Erkenntnisse über die verschiedenen Formen der Schilddrüse und die unterschiedlichen Verläufe von Krankheiten führen zu Veränderungen in der Patientenversorgung. Es gibt einen Paradigmenwechsel: Anstelle einer einheitlich aggressiven Therapie für alle Patienten tritt zunehmend ein individuelles, risikoadaptiertes Vorgehen. Die American Thyroid Association (ATA) hat kürzlich aktualisierte Therapierichtlinien veröffentlicht, die diesen Aspekten Rechnung tragen.

Bei nicht oder langsam wachsenden Tumorformen besteht vor allem die Herausforderung, eine Überdiagnose und Übertherapie zu vermeiden. Die Behandlung von papillärem Schilddrüsenkrebs basierte vor einigen Jahren auf den drei Säulen Operation, Radiojodtherapie und Schilddrüsenhormontherapie. Die neue Empfehlung der ATA ist eine individualisierte Therapie: Anstatt die gesamte Schilddrüse und angrenzende Strukturen zu entfernen, sollten Chirurgen nur im erforderlichen Umfang operieren. Und die Radiojodtherapie, bei der Patienten radioaktives Jod einnehmen, wird nicht mehr automatisch nach dem Eingriff durchgeführt. Bei Krebsarten mit mittlerem Risiko ist eine Einzelfallentscheidung erforderlich. Dabei müssen die behandelnden Ärzte sorgfältig abwägen, wie aggressiv die empfohlene Therapie sein sollte.

Vorsicht vor Übertherapie

Da eine übermäßige Behandlung schwerwiegende Folgen haben kann, ist es wichtig zu beachten, dass Hormonersatzpräparate nach der Entfernung der Schilddrüse nicht nur die fehlenden Schilddrüsenhormone ausgleichen, sondern auch zu einer Übertherapie führen können, die sowohl die Lebensqualität beeinträchtigt als auch langfristig negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat.

Darüber hinaus können bei einer Operation im Halsbereich die Nebenschilddrüsen geschädigt werden, was zu einer Störung des Kalziumstoffwechsels führt. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Stimmnerven verletzt werden. Bei einer Radiojodtherapie können Entzündungen oder Spätfolgen aufgrund der Strahlenbelastung auftreten.

In diesen Fällen sollte der behandelnde Arzt darauf hinweisen und aufklären, dass eine radikale Therapie nicht immer die beste Wahl ist.

Für Schilddrüsenkarzinome mit einem hohen Risiko und aggressiven Krebsformen wird das Prinzip angewendet, den Krebs so früh und so aggressiv wie möglich zu behandeln. Jedoch bieten die Erkenntnisse über genetische Mechanismen auch hier Hoffnung. Das Wissen über die zugrunde liegenden Muster von anaplastischen und gering differenzierten Karzinomen eröffnet neue Möglichkeiten für die Therapie. Es wird derzeit intensiv an neuen Medikamenten geforscht, die gezielt gegen genetische Veränderungen im Tumor und dessen Umgebung wirken.

Hier finden Betroffene Hilfe

Es empfiehlt sich, dass Betroffene sich von einem Team erfahrener Experten begleiten lassen. Während des gesamten Prozesses, angefangen bei der Diagnose über die Behandlung bis hin zur Nachsorge, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Endokrinologen, Chirurgen, Nuklearmediziner und Pathologen von großer Bedeutung, um eine qualitativ hochwertige Empfehlung zu gewährleisten. Nur so kann eine individuelle Entscheidung getroffen werden, die für den Patienten am besten geeignet ist.

Informationen und Austauschmöglichkeiten finden , zum Beispiel beim "Bundesverband Schilddrüsenkrebs – Ohne Schilddrüse leben" oder bei C-Zell-Karzinom (für Patienten mit einem medullären Karzinom).


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