Das sind die 6 besten Bücher des Jahres – laut Jury des Booker Prize 2024
Er ist der wichtigste britische Literaturpreis: der renommierte Booker Prize, der seit 1969 den besten englischsprachigen Roman kürt, der im Vereinten Königreich veröffentlicht wurde. Jeder Preisträger erhält dafür 50.000 Pfund Sterling. Der Preis ist sogar dermaßen populär, dass die Verleihung jedes Jahr live im britischen Fernsehen übertragen wird.
Der Preis ist heiß: Diese Bücher standen auf der Shortlist des diesjährigen Booker Prize und gehören auf jede Leseliste
Wer den Preis gewinnt, wird jedes Jahr von einer Jury bestimmt, die aus Meinungsführern aus der Literaturkritiker, Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens besteht.
Das laut Jury des Booker Prize beste Buch des Jahres 2024 ist Samantha Harveys Umlaufbahnen. Nichts als Lob hat Harvey bisher dafür eingefahren. Nicht nur, dass sie mit Umlaufbahnen auch für andere Buchpreise nominiert war wie den Orwell Prize for Political Fiction sowie den Ursula K. Le Guin Prize, auch Medien wie The New Yorker und The Guardian überschlagen sich mit Lobeshymnen über Harveys Roman. Und Letztere bringen es auch ziemlich gut auf den Punkt, wenn sie schreiben: „Überirdisches Nature Writing. Eine kurze und tiefgründige Studie bekannter Menschheitsängste vor dem Hintergrund monumentaler Beschreibungen wirbelnder Wetterzustände und sich drehender Kontinente.“ Es geht in Umlaufbahnen nämlich um sechs Astronauten, die in einer Raumstation durchs All schweben. Die zwei Frauen und vier Männer aus unterschiedlichen Nationen sind im wahrsten Sinne des Wortes abgekoppelt von der Welt, sehen ihre Heimat nur aus der Ferne durch ein kleines Fenster. Und wie sich das Denken und Fühlen der Protagonist*innen verändert, ausdehnt, zusammenzieht, das ist wirklich ganz große Schreibkunst und macht Umlaufbahnen zu einem würdigen Gewinner des Booker Prize 2024. Der britische Autor Max Porter hat dazu geschrieben: „Dieser Roman ist so großartig, dass man als Leser sein Herz erweitern muss, um alles aufnehmen zu können.“ Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Wow, was für ein Roman! Und zwar ein Roman, der so perfekt in unsere Zeit passt, dass es einem kalt den Rücken herunterläuft. Anne Michaels beginnt Zeitpfade auf einem Schlachtfeld während eines Weltkriegs, von wo aus ein Verwundeter in die sternenverhangene Winternacht blickt und seinen Gedanken nachhängt – das ist der Ausgangspunkt von Gedankensprüngen und Geschichten. Er denkt an seine Ur-Enkelin, eine Ärztin ohne Grenzen, an Marie Curie, an die frühe Fotografie, an Lagranges Theorie der Mechanik. Dadurch entsteht ein dicht geflochtenes Kaleidoskop von Liebe und Loyalität über Generationen und Kriege hinweg, das vollkommen zurecht auf der Shortlist des Booker Prize stand. 208 Seiten voller prosaischer Schönheit.
Mit James erfindet der große US-amerikanische Schriftsteller Percival Everett Mark Twains Literaturklassiker Die Abenteuer des Huckleberry Finn neu – und damit gelingt ihm eins der zehn besten Bücher des Jahres, und zwar nicht nur nach Meinung der New York Times, sondern auch nach Meinung der Jury des Booker Prize. Bei Twain war Jim, der Sklave, der Huck den Mississippi hinunter begleitet, ein dummer, einfältiger Mann, doch in James, in dem Everett die Geschichte aus Jims Perspektive erzählt, wird deutlich, dass Jim den Dummen nur spielt. Denn er weiß: Wenn die Weißen wüssten, wie intelligent er ist, wäre das sein Verhängnis. Als er Jim nach New Orleans verkauft werden soll, flieht er stattdessen mit Huck gen Norden in die Freiheit und gerät zusammen mit Huck immer wieder in die Bredouille. James ist ein wahnsinnig toller Roman, der eine Klassiker der US-Literatur noch mal neu erzählt, ihn modernisiert, und dadurch ein weiteres Mal unsterblich macht.
Das Kloster. Ein Ort voller Mythen, unendlich aufgeladen mit Gefühlen, die Knute der Kirche thront über allem. Und dennoch hat sich eine Städterin aus Sydney genau dorthin begeben, obwohl sie weiß Gott nicht gläubig ist. Doch sie ist gestresst, müde, kaputt – also hat sie entschlossen, eine gewisse Zeit im Kloster in den Monaro Plains zu verbringen, um wieder zu Kräften zu kommen. Nun ist sie schon deutlich länger dort, als sie ursprünglich vorhatte. Der Grund ist, dass genau das eingetroffen ist, was sie sich erhofft hatte: Eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst, mit essenziellen Fragen zu Leben, Liebe und Tod. Und die im Zuge dieser Fokussierung auf das eigene Innere zustandegekommenen Erkenntnisse hat Autorin Charlotte Wood in Tage mit mir sehr lesenswert zusammengetragen. Wood entwirft darin Szenarien, wie es gelingen kann, mit all den vielen Widrigkeiten des Lebens umzugehen. Und das zu lesen lohnt sich, wie auch die Jury des Booker Prize festgestellt hat.
American Psycho-Autor Bret Easton Ellis bezeichnet Rachel Kushner als „die aufregendste Autorin ihrer Generation“ – und auch die Jury des Booker Prize zeigte sich ob ihres Romans Creation Lake verzückt. In Deutschland trägt das Buch den Titel See der Schöpfung, wird hier allerdings erst Mitte April veröffentlicht. Wer es also gar nicht mehr aushält, sollte daher aufs Original zurückgreifen. Und wir können versprechen: Es lohnt sich! Es geht darin um die ehemalige CIA-Spionin Sadie Smith, die von einem namenlosen Auftraggeber nach Südfrankreich geschickt wird. Dort soll sie ein Gruppe von Umweltaktivist*innen infiltrieren, die im Verdacht steht, terroristische Anschläge verübt zu haben. Doch als sie Bruno Lacombe kennenlernt, den Kopf der Kommune, gerät die eigentlich so abgebrühte Sadie immer mehr in seinen Bann. Die Jury des Booker Prize hat über das Buch geschrieben: „Das Elektrisierende an diesem Roman ist die Verknüpfung von aktueller Politik mit einer dunklen Gegengeschichte der Menschheit. Kushners aufregende Ideen haben uns mitgerissen. Der ganze Roman ist ein tiefgründiger, unwiderstehlicher Pageturner.“ Mehr Leseempfehlung können wir Ihnen kaum geben – wenn auch erst in sechs Monaten (zumindest auf deutsch).
Wer Interesse an Yael von der Woudens In ihrem Haus hat, wird sich noch bis Ende Januar gedulden müssen – oder den Roman im Original lesen (da heißt er The Safekeep). Lohnenswert ist es so oder so, denn laut Jury des Booker Prize handelt es sich dabei um eins der besten Bücher des Jahres (beziehungsweise des nächsten Jahres). Worum es darin geht? Es spielt Anfang der Sechziger in der niederländischen Provinz. Im Zentrum der Erzählung stehlt Isabel die allein im großen Familienhaus lebt und dort ansatzweise zufrieden ist. Das ändert sich, als ihr Bruder seine Freundin Eva dort einquartiert, die so gar nicht zu Isabell passt. Isabell hasst die Veränderung, und davon tritt Eva einige los. Isabell hat im Zuge dessen mit einer ganze Menge Dingen zu kämpfen: Von Gefühlen der Begierde bis zur Rache, vom Umgang mit Vorurteilen sowie der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Dabei ist es vor allem Yael van der Woudens dichte Sprache, die dieses Debüt unglaublich dramatisch, scharfsinnig und brillant macht.