Ich bin vor 8 Jahren nach Paris ausgewandert – als Einzelkind fühle ich mich deshalb besonders schuldig
Als mein Mann und ich vor acht Jahren von New York nach Paris zogen, planten wir Kinder – genauer gesagt wollten wir näher bei seiner Familie sein, um unsere eigene zu gründen.
Mir war nicht bewusst, was es bedeuten würde, als Einzelkind so weit weg von meinen Eltern zu leben. New York liegt bereits einen siebenstündigen Flug von ihrem Zuhause in Tucson im US-Bundesstaat Arizona entfernt. Allerdings dachte ich mir bei dieser Strecke insgeheim: Was machen da bei der Entfernung schon acht Stunden mehr aus? Umso schöner, als meine Eltern überlegten, ein kleines Ferienhaus in Südfrankreich zu kaufen.
Die Reisen nach Amerika sind ein Kraftakt für die Familie
Unsere erste Anreise seit unserem Umzug nach Paris endete in einer Katastrophe. Unsere Hündin, Mochi, erleichterte sich direkt vor den Füßen der Flughafensicherheit. In den vorangegangenen acht Stunden hatte sie sich ruhig in ihrer Tragetasche unter dem Sitz für unseren Paris-Atlanta-Flug versteckt. Wenigstens unser gerade erst geborenes Kind, Eloise, war im perfekten Alter für Reisen. Mit ihren gerade mal sechs Monaten schlief sie selig in einer Babywiege, die uns die Fluggesellschaft bereitgestellt hatte.
Dann erreichten wir den Zoll. Die Warteschlange wand sich wie eine Klapperschlange. Ich schob Eloises Kinderwagen von einem Zollbeamten zum nächsten und flehte darum, die Schlange überspringen zu dürfen, damit wir unseren engen Zwischenstopp in Tucson schaffen konnten. Sie zeigten sich unbeeindruckt.
Wir warteten bereits seit eineinhalb Stunden, als Eloise anfing zu schreien – und die umstehende Menge uns anstarrte. Fünf Minuten vergingen. Eine Beamtin zeigte schließlich Erbarmen und führte uns an den Anfang der Schlange. Das war der Moment, als Mochi auf den Flughafenboden pinkelte (und, während wir zum Gate rannten, auch noch ein großes Geschäft verrichtete). Wir verpassten unseren Anschlussflug.
Zwischen dieser ersten Tucson-Reise und unserem nächsten Besuch verstrichen 18 Pandemie-Monate. In dieser Zeit ermöglichte das Videotelefon-Programm Skype meinen Eltern glücklicherweise, ihre Enkelin jede Woche zu sehen. Aber es ist nicht das Gleiche, wenn sie das Kind nicht halten und küssen, kitzeln und mit ihm Fangen spielen können.
Nachdem ich mein zweites Kind Thibault auf die Welt gebracht hatte, erschien mir die 24-stündige Reise mit zwei kleinen Menschen als unzumutbare Last für die Familie. Ich hatte die Eltern stets bemitleidet, wenn sie mitten zwischen den Sitzreihen eines Flugzeugs ihre schreienden Babys im Takt wogen. Ich besaß keine Vorstellung davon, wie es ist, dieser Elternteil zu sein – bis ich selbst einer wurde.
Wir warteten, bis die Kinder 18 Monate und vier Jahre alt waren. Erst dann machten wir uns wieder auf den Weg zum Haus meiner Eltern. Der Flug war brutal – auch die neunstündige Zeitverschiebung schlauchte uns. Mein Mann und ich, die wir oftmals eine Meinung teilten, stritten ununterbrochen. Ein Jahr lang verzichteten wir in der Folge auf diesen Stress.
Ich bin als Einzelkind aus der Heimat weggezogen: Bin ich egoistisch?
Ein Vorteil daran, ein Einzelkind zu sein, ist, dass meine Eltern mehr Zeit haben, uns in Paris zu besuchen. Schließlich müssen sie keine anderen Kinder ansteuern. Meine Mutter unternimmt diese Reisen alle paar Monate. Jedoch dauerte es nur ein paar Besuche, bis sie die Idee eines Ferienhauses hier aufgab. Wir hatten uns alle etwas vorgemacht.
Im Laufe der Zeit werfe ich mir vor, als Einzelkind egoistisch zu sein. Meine Eltern werden älter, und jeder Flug ist anstrengender für sie. Mir ist klar, dass es einen Punkt geben wird, an dem sie nicht mehr zu uns reisen können, zum Beispiel wenn sie jemanden brauchen, der sich um sie kümmert. Ich bin die einzige Person, die diese Rolle ausfüllen kann.
Jetzt frage ich mich: Wie konnte ich allen Ernstes in Betracht ziehen, als Einzelkind ins Ausland zu ziehen? Wie konnte ich nicht vorhersehen, wie ungerecht es ist, kleinen Kindern tagelange Flüge zuzumuten? Wie konnte ich es zulassen, mich in einen Mann zu verlieben, der mir bei unserem ersten Date sagte, dass er nach Frankreich zurückkehren wollte?
Nach jenem verpassten Flug dauerte es übrigens drei hektische Uber-Fahrten, bis wir ein Motel in Atlanta fanden. Eloise schlief in dieser Nacht ohne Babywiege auf dem Boden. Wir Eltern fielen erschöpft ins Bett, bevor wir uns überhaupt umziehen konnten. Am nächsten Tag schafften wir es nach Tucson – benommen, aber erleichtert. Eloise traf meine Kindheitsfreunde, schwamm im Pool meiner Eltern und erblickte ihren ersten Saguaro-Kaktus. Meine Eltern verwöhnten ihre einzige Enkelin nach Strich und Faden.
Wir alle treffen Entscheidungen – aber oft scheitern wir eine lange Zeit darin, die Folgen dieser Entscheidungen abzusehen. Meine Eltern entschieden sich für ein Kind, weil ich „alles war, was sie wollten“ (ich bin immer noch nicht überzeugt, dass das ein Kompliment ist). Ich verliebte mich in einen Franzosen und zog 8000 Kilometer weit weg. Wir müssen das Beste daraus machen.
Ein Vorteil des Älterwerdens ist, dass auch die Kinder älter werden. Transatlantikflüge treten wir immer mit einem iPad an, auf dem meine Kinder die Serie „Paw Patrol“ schauen. Solche Reise sind zwar nie angenehm, aber sie werden erträglicher.
Meine Eltern haben kürzlich ein neues Haus mit einem Blick auf ihre alte Straße gekauft. Ein großer Vorteil für sie und uns besteht darin, dass es mit einer Wasserrutsche ausgestattet ist. Ich kann es kaum erwarten, sie mit meinen Kindern runterzurutschen, wenn wir im Frühjahr zurückkehren.
Lest den Originalartikel auf Business Insider.