Alyssa Carson im Interview: „Die Vorstellung ins Weltall zu fliegen, war für mich nie beängstigend“
Manche Menschen wissen schon in der frühesten Kindheit, was sie später mal machen möchten. Alyssa Carson ist eine von ihnen. Seitdem sie drei Jahre alt ist, steht fest: Sie möchte in der Raumfahrt arbeiten. Was als großer Traum begann, ist heute Realität …
Alles fing damit an, als die junge Alyssa Carson eine Folge der Zeichentrickserie „The Backyardigans“ über eine Mission zum Mars ansah. Und ihren Vater mit Fragen zum Weltall löcherte. Als sie ihr erstes Space Camp besuchte, war sie sieben Jahre alt. Eines von vielen: Bis heute gilt die Amerikanerin als einzige Person, die an allen Space Camps der NASA teilnahm. Sie bildete sich stetig weiter, saß mit 12 Jahren zusammen mit Doktorand*innen und Astronaut*innen in Diskussions-Panels, war die jüngste Person, die an der PoSSUM Space Academy, einem Forschungsprogramm des Internationalen Instituts für Astronautische Wissenschaften, angenommen wurde und die jüngste Absolventin der Advanced Space Academy des amerikanischen Rocket Centers.
Und jetzt, mit 23 Jahren, hat sie ihren Bachelor in Astrobiologie in der Tasche, forscht als Doktorandin im selben Bereich an der University of Arkansas und hat noch immer den gleichen Traum wie als junges Mädchen: Die erste Astronautin auf dem Mars sein. Im Gespräch mit Elle.de erzählt sie von ihrem Weg in die Raumfahrtindustrie, dem NASA-Auswahlverfahren und der Faszination vom roten Planeten …
Elle.de: Wie wird man Astronaut*in?
Alyssa Carson: Es gibt keinen einheitlichen Weg – man kann alles Mögliche machen und sich dann bewerben. Die einzige Voraussetzung ist ein Master in einer Naturwissenschaft. Aber es bewerben sich unglaublich viele Menschen. Je spezieller das eigene Portfolio ist, desto besser stehen die Chancen. Also habe ich überlegt: Welche Dinge lassen mich von der Masse abheben?
Zum Beispiel?
Alyssa Carson: Vieles konnte ich anfangs wegen meines Alters nicht machen. Deswegen fing ich in jungem Alter mit dem Tauchen an. Als ich 15 war, habe ich Systemforschung betrieben und das ermöglichte es mir, Wasserüberlebenstraining zu machen. Bei der Forschungsarbeit einer Raumanzugsfirma durfte ich später einen Mikrogravitationsflug absolvieren, wo man sich etwa 20 Sekunden lang in der Schwerelosigkeit befindet. Das war sehr aufregend! Darauf folgten dann, gegen Ende der Highschool, Flugtraining und der Pilotenschein.
Bei vielen Meilensteinen waren Sie sehr jung. War das eine Motivation für Sie ?
Alyssa Carson: Es war nie ein Antrieb, die Jüngste zu sein. Aber ich glaube, weil ich von klein auf von der Raumfahrt fasziniert war, wollte ich schon früher, etwa mit 12 Jahren, die nächsten Schritte machen. Ich nahm die Branche ernst und wurde im Umkehrschluss ernst genommen, weil ich hart arbeitete, um meine Träume in die Realität umzusetzen.
Einer dieser Träume ist es, zum Mars zu fliegen.
Alyssa Carson: Ja. Es war immer das Gebiet, das mich am meisten interessiert hat. Vieles im All wurde schon erforscht – wir arbeiten an der Internationalen Raumstation, waren auf dem Mond. In meinem Kopf hat es Sinn gemacht, dass der Mars der nächste Schritt sein würde.
Vielen Menschen würde das große Angst machen.
Alyssa Carson: Das stimmt. Für mich persönlich war die Vorstellung ins Weltall zu fliegen, trotzdem nie beängstigend. Natürlich wird es immer eine gewisse Gefahr mit sich bringen. Aber mit dem technologischen Fortschritt ist die Raumfahrtindustrie viel sicherer geworden. Für mich ist das ziemlich beruhigend. Vor allem wenn man weiß, wie viel Zeit und Mühe in die Forschung und den Bau von Raketen fließen. Die Sicherheit steht an erster Stelle.
Warum ist es so wichtig, dass wir zum Mars fliegen?
Alyssa Carson: In der Forschung gehen wir davon aus, dass der Mars in seiner Vergangenheit der Erde viel ähnlicher gewesen sein könnte. Es ist wichtig zu erfahren, wie sich die Entwicklung zu heute vollzogen hat. Das Ziel wäre es, den Planeten in seiner ganzen Tiefe zu erforschen und herauszufinden, welche Möglichkeiten das eröffnet. Wir schicken bereits seit über zehn Jahren Rover auf den Mars. Aber dadurch machen wir nur langsam Entdeckungen, menschliche Forschung geht viel schneller. Dazu kommt die Grundsatzfrage: Gibt es Leben außerhalb der Erde? Schon lange existieren Theorien über mögliches früheres Leben auf dem Mars.
Glauben Sie an außerirdisches Leben?
Alyssa Carson: In meiner Arbeit in der Astrobiologie untersuchen wir das Überleben und Wachstum von Bakterien in der Marsatmosphäre. Ich finde, wenn ich in so einem Gebiet forsche, sollte ich zumindest die Vermutung haben, dass es irgendwo Leben geben könnte. Das Universum ist so groß! Es wäre fast verrückter, wenn es nichts gäbe. In unserem Sonnensystem besteht die Chance auf bakterielles Leben. Und auch intelligente Lebensformen könnten irgendwo existieren, aber wahrscheinlich ziemlich weit weg.
Wie würde eine Mission zum Mars ablaufen?
Alyssa Carson: Die derzeitigen Planungen der NASA-Missionen rechnen mit sechs Monaten Reisezeit, um von der Erde zum Mars zu gelangen. Aber es gibt auch technologische Entwicklungen an neueren Triebwerken, die den Flug auf sechs Wochen verkürzen könnten. Wie lange die Astronaut*innen auf dem Mars bleiben würden, ist sowohl von der Mission als auch von der Umlaufbahn abhängig. Denn der Zeitpunkt der Rückreise sollte dann stattfinden, wenn sich Erde und Mars am nächsten sind. Im Idealfall dauert das dann wieder sechs Monate.
Um solche Missionen antreten zu können, muss man das Auswahlverfahren der NASA absolvieren. Wie läuft das ab?
Alyssa Carson: Das Auswahlverfahren wird nur eröffnet, wenn sie Leute brauchen. Man muss also stets die Augen offenhalten. Es gibt wahnsinnig viele Bewerbungen. Die meisten Astronaut*innen bewerben sich mehrfach, teilweise sieben oder achtmal. Man kann eine perfekte Kandidat*in sein und trotzdem nicht genommen werden, weil es der falsche Zeitpunkt ist. Etwa, wenn die eigene Position nicht gesucht wird. Oder die Mission einen militärischen oder wissenschaftlichen Hintergrund verlangt. Die Fähigkeiten müssen exakt auf die Mission passen. Das Verfahren durchläuft verschiedene Stadien. Und dann, wenn man es in die Auswahl geschafft hat, absolviert man Trainingseinheiten und wird eventuell Missionen zugewiesen.
Bis März 2023 sind insgesamt 635 Menschen ins All geflogen. Nur 72 davon, rund 11 Prozent, waren Frauen. Ist die Raumfahrt nach wie vor ein männlich dominiertes Feld?
Alyssa Carson: Als ich jünger war und an Raumfahrtcamps teilgenommen hatte, gab es immer ein paar andere Mädchen. Auf dem College ist mir die Ungleichheit mehr aufgefallen – in meinem Studiengang haben nur sehr wenige Frauen mit mir studiert. Und es stimmt, die Raumfahrtindustrie wurde lange Zeit ausschließlich von Männern betrieben. Deswegen wird es eine Weile dauern, bis der Frauenanteil aufgeholt hat. Trotzdem haben noch nie so viele Frauen in der Raumfahrt gearbeitet wie heute. Bei der Astronaut*innen-Abschlussklasse der NASA von 2021 lag der Frauenanteil immerhin bei 42 Prozent. Es wird also mehr auf Chancengleichheit geachtet. Und das ist eine aufregende Entwicklung – auch im Hinblick auf die nächste Generation junger Mädchen. Sie wachsen mit dem Wissen auf, ihre Träume verwirklichen zu können.
Das hat viel mit Sichtbarkeit zu tun. Dazu tragen Sie ebenfalls bei.
Alyssa Carson: Ja. Es ist ein Kernelement meiner Arbeit, über die Raumfahrt zu sprechen und sie zugänglicher zu machen. Der Astronaut*innen-Beruf wirkt von außen oft abstrakt und unrealistisch. Selbst, wenn Kinder daran interessiert sind, schließen sie diese Karriere fast kategorisch aus. Aber mit ihnen über die Möglichkeiten zu sprechen und auch zu betonen, dass Mädchen mehr als fähig sind, in diesem Bereich zu arbeiten, macht einen Unterschied. Vor allem, wenn ich sehe, wie die Kinder dabei aufleuchten, sich begeistern und später vielleicht sogar selbst Astronaut*innen werden. Das gibt mir unglaublich viel.