Ich hatte eine anstrengende, aber wunderbare Geburt - bis ich Instagram öffnete

  - Copyright: Getty Images; Pedro Nekoi for BI
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Nach einem langen Arbeitstag vor ein paar Wochen und mehreren Ringkämpfen mit meinem 13 Klio schweren Kleinkind, sackte ich auf meiner Couch zusammen und öffnete mein Handy. Zu diesem Zeitpunkt war ich im dritten Schwangerschaftstrimester, und die bevorstehenden Wehen gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Und mein Telefon ahnte das.

Verlockung der Perfektion

Bevor ich mich versah, schaute ich ein Video, das jeder, der im Zeitalter von Instagram und TikTok schwanger war, sofort wiedererkennen wird. Darin demonstriert ein angeblicher Geburtstrainer, wie man sich in der Schwangerschaft richtig entspannt. Anscheinend sollte ich aufrecht sitzen, mit den Füßen auf dem Boden und geöffneter Hüfte. Noch besser in der Schmetterlingsstellung, damit sich mein Baby für die Geburt "optimal" positionieren kann.

Ich wollte mein Telefon quer durch den Raum werfen. Ich war erschöpft, verdammt noch mal. Warum konnte ich mich nicht einfach auf der Couch zusammenrollen und mein Gehirn für einen Moment abschalten? Warum musste alles, was ich tat, auf meine Schwangerschaft zugeschnitten sein?

Aber der Verlockung der Perfektion konnte ich nicht widerstehen. Ich wollte die Mutter sein, die jeden Aspekt der Geburt meistert, und mein Kind auf die bestmögliche Weise zur Welt bringen. Also setzte ich mich auf, stellte meine Füße auf den Boden, öffnete meine Hüften und atmete aus. Und ich war nicht die einzige, die eine gute Geburt anstrebte: Das Video hatte eine halbe Million Aufrufe.

Hohe Müttersterblichkeitsrate in den USA

Wenn man als schwangere Frau durch die sozialen Medien scrollt, bekommt man eine Million Dinge gezeigt, die man tun sollte, um das Geburtserlebnis zu perfektionieren. Ich spreche hier nicht von den Grundlagen des gesunden Menschenverstands, von Geburtsvorbereitungskursen bis zur Erstellung eines Geburtsplans. In einem Land wie die USA mit einer himmelhohen Müttersterblichkeitsrate müssen wir dringend mehr auf die Gesundheit der Schwangeren achten. Die jährliche Müttersterblichkeitsrate liegt in den USA bei 23,8 pro 100.000 Geburten. Im Gegensatz dazu, sind es laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung weniger als vier pro 100.000 Geburten in Deutschland. Wir müssen uns also vor der wachsenden Industrie der Geburtsbeeinflusser, die ihren bevorzugten Geburtsstil durch gesponserte Beiträge, Beratungsdienste und Online-Kurse vermarkten, in Acht nehmen.

Es gibt immer einen Grund für Verbesserungsvorschläge

Wir haben Befürworter für alle Arten von Geburten. Es reicht von der "natürlichen" Geburt (mit minimalen Eingriffen und ohne Periduralanästhesie (PDA) ) über die "ekstatische" Geburt (durch Hypnose und andere mentale Gymnastik) bis hin zur "Totalkontrollgeburt" (mit geplantem Kaiserschnitt) und der "freien Geburt" (die außerhalb des medizinischen oder Hebammensystems stattfindet).

Vieles von dem, was über die Perfektionierung der Geburt gesagt wird, ist gut gemeint. Aber es nährt auch die absurde Vorstellung, dass die Geburt beherrscht werden kann. Wie wir gebären, oder denken es zu tun, bis uns die Realität einholt, ist die neueste Art und Weise wie wir uns als Eltern definieren und beurteilen. In dem Moment, der von Natur aus mit Ängsten behaftet ist, wird durch angebliche Besswerwisser immer ein weiterer Grund geliefert, sich zu sorgen.

"Ich habe das Gefühl, dass der Inhalt der Schwangerschaft Teil der Einführung in die moderne Elternschaft ist", sagt Rebecca Silber. Sie arbeitet im Marketing in New Jersey und ist mit ihrem zweiten Kind schwanger. "Es fängt an mit 'Ich mache eine natürliche Geburt' oder 'Ich bin eine Pda-Mutter' und wandelt sich dann zu 'Ich mache Schlaftraining mit meinem Kind' oder 'Ich bin eine sanfte Mutter'". Was lange Zeit ein Kampf um die beste Art der Kindererziehung war, geht nun der Geburt des Kindes voraus.

Die Realität holt einen schneller ein, als einem lieb ist

Für viele werdende Eltern geht es bei der Entscheidung für einen Geburtsttil darum, die Kontrolle zu behalten. Genauer gesagt geht es um die Illusion von Kontrolle während einer der emotionalsten und aufregendsten Erfahrungen des Lebens.

Als Megan Nash, eine physiotherapeutische Assistentin aus Virginia, sich auf die Geburt ihrer Tochter vorbereitete, befolgte sie die Ratschläge. Diese reichten von Geburtsbegleitern, zu Atemübungen und Mantras, um den Geburtsschmerz ohne Medikamente zu kontrollieren. Nash beschwor beruhigende Bilder herauf, die sie von ihrem Instagram-Feed kannte - tränenüberströmte, strahlende Frauen, die ihr Neugeborenes staunend in den Armen halten.

Dann wurde sie von der Realität der Wehen eingeholt. Sie entschied sich für eine PDA, die ihr eine sofortige körperliche Erleichterung verschaffte, sie aber mit dem quälenden Gefühl zurückließ, sich selbst und ihr kleines Mädchen im Stich gelassen zu haben. "Ich habe mich geschämt", sagt sie, "als ob es eine Art von Schwäche wäre, mir helfen zu lassen". Dabei lassen sich laut Vivantes allein in Deutschland jährlich 15 bis 20 Prozent der schwangeren Frauen eine PDA während der Geburt verabreichen.

Die Verabreichung einer Pda.  - Copyright: picture alliance / imageBROKER | Judith Thomandl
Die Verabreichung einer Pda. - Copyright: picture alliance / imageBROKER | Judith Thomandl

Die Schuldgefühle verfolgten sie vom Krankenhaus nach Hause. Als sich ihr Neugeborenes als kolikartiges, unruhiges Baby entpuppte, stieß Nash auf einen Beitrag, in dem eine PDA mit der Verabreichung der Droge Fentanyl an Babys gleichgesetzt wurde. Diese Behauptung war völlig abwegig, aber sie machte sich Sorgen, dass die Unruhe ihrer Tochter ihre Schuld sein könnte.

Erst als sie eine andere Mutter mit ähnlichen Problem bei ihrem Kind traf, die jedoch eine Hausgeburt ohne Medikamente erlebt hatte, akzeptierte Nash, die Worte ihres Kinderarztes. "Es war das erste Mal, dass mir klar wurde, dass das Ergebnis genauso hätte ausfallen können, auch wenn ich alles anders gemacht hätte", sagt Nash. "Es war befreiend zu wissen, dass es vielleicht gar nicht meine Schuld war."

Nicht alle Tipps treffen auf jeden zu

Für die Professorin Sarah Denney bedeutete die "optimale" Geburtserfahrung, auf der Seite zu liegen. Sie hatte ein Dutzend Videos auf Instagram gespeichert, die sie davon überzeugten, dass eine Geburt auf der Seite die Risse verringern und die Genesung schneller herbeiführen würde. Aber so war es nicht: "Ich lag auf der Seite, habe gepresst und ein Bein in die Luft gehoben, so dass es nur noch baumelte", erinnert sie sich. "Und ich bin trotzdem gerissen."

Sogar diejenigen, die mit ihrer Entscheidung zufrieden sind, grübeln am Ende darüber nach, ob sie es falsch gemacht haben. Shannon Wolfman, eine Mutter aus Indianapolis, hat sich für einen Kaiserschnitt entschieden und bereut den Eingriff nicht. Die sozialen Medien machten ihr jedoch im Vornerein Sorgen, dass sie den natürlichen Prozess der postpartalen Bindung unterbrochen hatte. Grund dafür: Sie hätte sich und ihr Baby einem medizinischen Eingriff unterzogen.

"Objektiv gesehen weiß ich, dass ich in dem Moment mit dem Kaiserschnitt die richtige Entscheidung getroffen habe", sagt Wolfman, "aber das Vergleichsspiel mit anderen Eltern ist sehr intensiv". Das Richtige zu tun, schützt im Zeitalter von Instagram nicht vor der Angst, das Falsche getan zu haben.

Instagram bringt mich zu Weißglut

Ich schreibe beruflich über die Gesundheit von Frauen. Das hat mich jedoch nicht davon abgehalten, in den Bann von vermeintlichen Besserwissern zu geraten. Meine Sucht nach Instagram hat mir nicht nur Angst vor den bevorstehenden Wehen gemacht, sondern auch dazu geführt, dass ich meine erste Geburtserfahrung noch einmal Revue passieren lasse.

Jeder, der nicht an die sozialen Medien gebunden ist, würde denken, dass meine erste Geburt gut verlaufen ist. Im Laufe meiner Schwangerschaft las ich eine Handvoll Bücher und übte mich in Meditation. Diese sollten dabei helfen, während der schmerzhaften Wehen ruhig zu bleiben. Zudem machte ich mir Erinnerungskarten mit Wehenpositionen und Atemtechniken, die ich mit ins Krankenhaus nehmen konnte. Meine Fruchtblase platzte pünktlich, und mein Partner und meine Doula trafen mich im Krankenhaus.

Meine Wehen dauerten 22 Stunden an und waren die härtesten und schockierendsten körperlichen Erfahrungen meines Lebens. Und mir wurde sogar eine PDA gespritzt. Aber ich brachte ein gesundes Mädchen zur Welt und verließ das Krankenhaus glücklicher als je zuvor in meinem Leben.

Zwei Jahre später zweifle ich aufgrund der sozialen Medien die ganze Erfahrung an. Ein paar Tage, nachdem Instagram mich von der Couch hochgerissen hatte, fand ich mich in einem Kreislauf aus unbegründeten Behauptungen wieder. Die Behauptungen brachten medizinische Eingriffe während der Geburt mit späteren Bindungsproblemen in Verbindung. Eine Welle der Panik überkam mich, als ich mich daran erinnerte, wie meine neugeborene Tochter auf meine Brust gelegt wurde und einige Minuten vergingen, bevor ich in der Lage war, mit ihr zu sprechen.

Keine Bindung durch PDA?

Meine Gedanken sprangen ins hier und jetzt. Wenn ich ohne meine Tochter weggehe, um etwas zu holen oder um auf die Toilette zu gehen, wird sie manchmal wütend und schreit: "Mama, du hast mich vergessen!". Hatte meine Entscheidung für die PDA unsere Bindung kurzgeschlossen und sie zu einem ängstlichen Bindungsstil verdammt?

Dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Die Physiotherapeutin Nash teilte jedoch ähnliche Gedanken mit mir. Dadurch erkannte ich sofort, dass auch ihre natürliche Angst als Mutter durch die Idiotie der sozialen Medien auf ein unerträgliches Maß verstärkt worden war. Aber da stand ich nun, weinte über dem Geschirr und machte mir Sorgen, dass ich als Mutter versagt hatte. Meine heftigen Schluchzer übertönten die Geräusche des Babyphons auf dem Tresen - meine Kleine war oben bei meinem Partner und planschte vergnügt in der Badewanne herum.

Ruhigere Vorbereitung ganz ohne soziale Medien

Wenn ich heute erwähne, welche Gedanken ich mir um den nahenden Geburtstermins machen, legen mir meine Freunde ans Herz die sozialen Medien zu löschen. Bei meinem vorgeburtlichen Termin in der 34. Woche löcherte ich meinen Geburtshelfer mit all den Fragen über meine erste Geburt, die meine Social-Media-Diät ausgelöst hatte. War die PDA der Grund dafür, dass die Wehen so lange dauerten? Ist mein Damm gerissen, weil ich auf dem Rücken liegend gepresst habe? Ich habe mich nicht getraut zu fragen, ob die PDA möglicherweise die Bindung zwischen meinem Baby und mir beeinträchtigt hat.

Mein Gynäkologe tat sein Bestes, um meine Instagram-induzierten Ängste mit konkreten medizinischen Fakten zu beruhigen. Aber alle seine Antworten waren vorsichtig formulierte Variationen von "vielleicht, vielleicht nicht" - weit entfernt von der Gewissheit, die von Online-Influencern angeboten wird. Das liegt daran, dass sich die sogenannten "Good Birthers" nicht mit den spezifischen Komplexitäten jeder einzelnen Geburt befassen. Sie vermarkten eines der lukrativsten Produkte überhaupt: die Angst, eine schlechte Mutter zu sein.

Heute bin ich in der 36. Woche schwanger. Mein Geburtsplan steht so fest, wie er nur sein kann. Im Grunde will ich genau das tun, was ich beim letzten Mal getan habe. Ich werde mich so gut wie möglich vorbereiten und dann sehen, was passiert, wenn der Moment gekommen ist. Wenn es zu sehr wehtut oder ich zu müde bin, greife ich auf die PDA zurück. Ich werde meinen Ärzten vertrauen, und vor allem werde ich mir selbst vertrauen. Denn ich presse dieses Baby aus meinem Körper heraus. Ich erwarte, dass ich das Krankenhaus gerissen und erschöpft verlasse - aber lebendig, gesund und glücklicher als je zuvor.

Aber dieses Mal habe ich eine Sache anders gemacht, damit einer guten Geburt nichts mehr im Wege steht. Ich habe Instagram gelöscht.


Amelia Harnish ist Gesundheitsreporterin und lebt im New Yorker Hudson Valley.

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