Ausstellungstipp in Paris: „Tina Barney. Family Ties“ im Jeu de Paume
Wir blicken in ein Wohnzimmer. Ganz hinten erkennt man im bürgerlichen Esszimmer einen Leuchter, vermutlich aus Murano-Glas. Ein junges Mädchen in einer Art Prom Dress, das modisch an die frühen 2000er erinnert, eine Pendant-Kette um den Hals, schaut starr in die Kamera. In der Hand hält sie eine Schlange. Im Hintergrund ist ein junger Mann (ihr Bruder?) in ein Magazin vertieft. Daneben sitzen und stehen, selig lächelnd, ein Mann und eine Frau. Sind es die Eltern? Die Großeltern? Die Schwiegereltern?
Tina Barneys erste Retrospektive in Europa
Die Werke der renommierten US-amerikanischen Fotografin Tina Barney (*1945, New York City), die bekannt dafür ist, Familienrituale und menschliche Beziehungen visuell einzufangen, werfen viele Fragen auf. Die Galerie nationale du Jeu de Paume im 1. Pariser Arrondissement widmet Tina Barney noch bis zum 19. Januar 2025 ihre erste europäische Retrospektive: „Tina Barney. Family Ties“, kuratiert von Quentin Bajac. Zu sehen sind 55 Arbeiten, die einen umfassenden Blick auf die Karriere der Amerikanerin bieten. Durch ihre Linse erhalten wir intime Einblicke in die Wohnräume größtenteils wohl situierter Familien aus New York und Neuengland. Teils fotografierte Barney ihre eigene Familie, teils ihre Freunde und teils ihre Kundschaft. Die farbenfrohen, großformatigen Bilder wirken auf den ersten Blick wie Schnappschüsse; sie sind äußerst ästhetisch und detailverliebt. Doch auf den zweiten Blick wird deutlich, dass die Aufnahmen akribisch komponiert sind, wie klassische Gemälde oder Fotoshootings in Hochglanzmagazinen – kein Wunder, denn Tina Barney arbeitete für renommierte Publikationen, darunter The Daily Telegraph, W und Arena Homme Plus.
Anstatt Barneys Œuvre chronologisch zu präsentieren, legte der Kurator Quentin Bajac den Fokus bei dieser Ausstellung auf Themenschwerpunkte ihrer rund 40-jährigen Karriere. So dreht sich ein Bereich zum Beispiel um das Thema Familie, ein Sujet, mit dem sich die Amerikanerin fotografisch stark auseinandersetzte. Man sieht etwa eine Aufnahme ihrer eigenen Schwester und ihrer Mutter („Jill and Mom“, 1983) in der Nähe einer Fotografie einer französischen Familie („The Children’s Party“, 1986), die Tina Barney vor dem Fotografieren nicht kannte und die dennoch ähnlich intim wirkt wie die Aufnahmen ihrer engsten Familie.
Erinnerungen und Nostalgie – Tina Barney im Pariser Jeu de Paume
Wandert man durch die Ausstellung, so fühlt man sich geradezu in die Wohnräume dieser wohlhabenden Familien und in vergangene Jahrzehnte versetzt. Nicht nur der Ausdruck und die Komposition dieser Fotografien sind besonders. Auch die modischen Details sind bemerkenswert, denn sie geben Aufschluss über die Zeit, in der die Fotografien entstanden sind – ein Stück Modegeschichte als Beiwerk. Es ist die perfekte Fotografie-Ausstellung für Mode- und New-York-Liebhaber*innen! So fröhlich die farbgewaltigen Fotoarbeiten zunächst wirken, wohnt ihnen dennoch eine gewisse Melancholie inne. Was ist aus den Familienmitgliedern geworden, die in einer Momentaufnahme für immer zum Kunstwerk geworden sind?
Über Tina Barney, die Familienfotografin
Die Fotografin wurde 1945 in New York als Kind einer jüdischen Familie geboren. Ihre Mutter, Lillian Fox, war Model und Interior-Designerin. Ihr Vater, Philip Henry Isles, arbeitete als Investmentbanker und Kunstsammler. In den 1970er-Jahren begann sie zu fotografieren, als ihre Familie 1973 nach Sun Valley, Idaho, umzog. Dort lebte sie, bis sie 1983 wieder nach New York zog. Tina Barneys Werke wurden in berühmten Museen ausgestellt, etwa im Museum of Modern Art in New York. Sie war Teilnehmerin der Whitney Bienniale 1987, und ihre Fotografien befinden sich weltweit in prominenten Sammlungen. Tina Barney lebt und arbeitet zwischen New York und Rhode Island.
Die Ausstellung „Tina Barney. Family Ties“ läuft noch bis zum 19. Januar 2025.