Beeinträchtigt zu viel Zeit vor einem Bildschirm die Entwicklung des Gehirns bei Kleinkindern? Was Eltern wissen sollten

Viele Eltern sind sich unsicher, wenn es um die Zeit geht, die ihre Kinder vor einem Bildschirm verbringen: Wie viel ist eigentlich, tja, zu viel? Diese Sorge wird wahrscheinlich auch durch die Forschung bestärkt, die sich damit befasst, wie viel Zeit vor einem Bildschirm einen Einfluss auf Kinder hat.

In einer kanadischen Studie im April fand Forscher einen Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und einer kürzeren Aufmerksamkeitsspanne von Kindern im Vorschulalter, die täglich zwei Stunden (im Vergleich zu 30 Minuten) vor einem Bildschirm verbrachten. Kurz zuvor hatte eine in der Fachzeitschrift „The Journal of Developmental and Behavioral Pediatrics“ veröffentlichte Studie einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Smartphones und Tablets und einer Verzögerung in der Entwicklung der emotionalen Sprache bei 18-Monate alten Kindern festgestellt.

Eine andere Studie, die in der Zeitschrift „JAMA Pediatrics“ veröffentlicht wurde, fand hingegen, dass 2- und 3-jährige, die viel Zeit am Bildschirm verbrachten, im Alter von 3 und 5 Jahren bei Tests zum Entwicklungsstand besonders schlecht abschnitten.

Und die neuesten Erkenntnisse, die in „JAMA Pediatrics“ veröffentlicht wurden, zeigen, dass die Gehirne von Kindern im Vorkindergartenalter, die mehr als eine Stunde täglich ohne Interaktion mit den Eltern am Bildschirm verbringen, mit unterentwickelten Regionen (weiße Substanz genannt) in Verbindung stehen, die für Sprache und Selbstkontrolle verantwortlich sind.

Die Studie, die vom Cincinnati Children’s Hospital Medical Center durchgeführt wurde, sah sich die Gehirne von 47 Kindern im Alter von 3 und 5 Jahren an. Sie nutzen dazu Kernspintomographien (MRI) und kognitive Tests. Die Autoren stellten fest, dass die Gehirne dieser Kinder nicht nur weniger weit entwickelt waren, sondern dass die Kinder auch bei der Sprach- und Lesekompetenz schlechter abschnitten.

„Diese Studie hat Fragen aufgeworfen, ob nicht zumindest einige Aspekte der Nutzung von bildschirmbasierten Medien in der frühen Kindheit während dieser schnellen, wichtigen Wachstumsphase des Gehirns nicht eine unzureichende Stimulation bietet“, sagte Dr. John Hutton - leitender Autor der Studie und Leiter des Reading & Literacy Discovery Centers in Cincinnati – gegenüber „Science Daily“. „Wir wissen nicht, ob die Zeit vor einem Bildschirm wirklich diese strukturellen Veränderungen verursacht, oder ein Risiko für die langfristige Neuroentwicklung darstellt. Allerdings rechtfertigen diese Ergebnisse weitere Studien, um zu verstehen, was das heißt und wie man entsprechende Grenzen für den Gebrauch dieser Technologien setzen kann.“

Was ist also das Wichtigste, das Eltern aus diesen Studien ziehen sollten?

Es ist schwierig für Eltern, über diese Studien zu lesen und sich nicht zu fragen (oder sich zu sorgen), wie viel Bildschirmzeit für ihre Kinder schädlich ist. Die Experten sagen allerdings nicht, dass die häufige Nutzung dieser Medien bei den Kindern zu „Gehirnschäden“ führt, wie Dr. Jenny Radesky, Assitenzprofessorin in der Pediatrie an der University of Michigan gegenüber CNN sagte. Ebenso heißt das nicht, dass automatisch alle Bildschirme zu Hause tabu sein sollten.

Einige Experten weisen darauf hin, dass es noch „zu früh“ ist zu sagen, dass die Zeit am Bildschirm die Gehirne von Kindern direkt beeinflusst.

„Die Literatur legt zwar nahe, dass es einen Zusammenhang gibt, aber wir sind noch weit davon entfernt, mit Bestimmtheit sagen zu können, dass Bildschirmzeit „die Entwicklung der Gehirne von Kindern beeinträchtigt““, sagt Dr. Dillon Browne - Assistenzprofessor für Psychologie an der University of Waterloo in Kanada, der sich sich auf die geistige Gesundheit von Kindern spezialisiert hat – gegenüber Yahoo Lifestyle.

Dieser Meinung ist auch Elias Aboujaoude, Psychiater bei Stanford Health Care. Er sagt gegenüber Yahoo Lifestyle: „Wir brauchen noch viel mehr wisschenschaftliche Daten, um einen Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und der Schädigung des Hirngewebes oder Beeinträchtigung des IQ herstellen zu können. Die Ergebnisse der bisherigen Forschung sind allerdings ein Warnzeichen, denn hier geht es um eine potenziell gefährdetere Gruppe sehr junger Nutzer.“

Es geht aber nicht nur um die Stunden am Bildschirm, die für Kinder zu einem Problem werden können. Es geht auch darum, was die Zeit am Bildschirm oftmals ersetzt: Körperliche Betätigung und Interaktion von Angesicht zu Angesicht mit anderen Menschen.

„Es ist sehr wichtig, hier nicht schneller zu sein als die Wissenschaft“, sagt Dr David Anderson – Leitender Direktor „National Programs and Outreach“ am Child Mind Institute gegenüber Yahoo Lifestyle. „Was Untersuchungen zur Bildschirmzeit zeigen, ist, dass zu viel Zeit am Bildschirm andere wichtige Momente in der Entwicklung der Kinder verdrängt. Es ist weniger, dass wir schon sehr viele Beweise haben – es geht mehr darum, was die Kinder NICHT tun, wenn sie am Bildschirm sitzen.“

Eine andere Studie hat gezeigt, dass Bildschirmzeit, die sich in der Entwicklung befindenden Gehirne kleiner Kinder möglicherweise beeinträchtigt. (Foto: Getty Images)
Eine andere Studie hat gezeigt, dass Bildschirmzeit, die sich in der Entwicklung befindenden Gehirne kleiner Kinder möglicherweise beeinträchtigt. (Foto: Getty Images)

Wie viel Zeit sollten Kinder maximal am Bildschirm verbringen?

Die “American Academy of Pediatrics” (AAP) empfiehlt Eltern, je nach Alter ihrer Kinder:

  • Eltern sollten Babys und Kleinkinder unter 18 Monaten gar keine Zeit am Bildschirm verbringen lassen, außer bei Video-Chats, wie zum Beispiel mit Familienmitgliedern.

  • Wenn Eltern ihre zwischen 18 und 24 Monate alten Kinder an altersgerechte Medien heranführen möchten, sollten sie dafür nur qualitativ hochwertige Sendungen und Apps nutzen. Die Eltern sollten außerdem unbedingt dabei sein und mitmachen, denn laut AAP „lernen Kleinkinder so am besten“. „Man sollte Kinder nicht allein die Medien nutzen lassen.“

  • Bei Kindern über 2 Jahren sollten Eltern die Bildschirmzeit auf eine Stunde oder weniger begrenzen und nur qualitativ hochwertige Sendungen zeigen. Die AAP empfiehlt außerdem, das Programm gemeinsam mit dem Kind anzusehen.

Anderson meint mit “qualitativ hochwertigen Sendungen“ Shows, die Themen haben, zum Beispiel „Einnehmen von Perspektiven und Emotinen, gute Geschichten, mit sich entwickeltenden Figuren, die zeigen, wie man mit Situationen umgeht.“ Und schließlich: „Figuren, die für die Werte der Familie stehen.“

Es ist für Eltern außerdem sehr wichtig, sich über das eigene Verhältnis zu besagten Geräten Gedanken zu machen. „Eltern müssen von Anfang ein ein Vorbild sein – wir können nicht erwarten, dass unsere Kinder weniger Zeit am Bildschirm oder mit leeren Aktivitäten im Internet verbringen, wenn wir selbst völlig davon eingenommen und „abhängig“ davon sind“, sagt Aboujaoude.

Es zählt auch, was das Kind sich ansieht

Bildschirmzeit ist aber nicht gleich Bildschirmzeit. Wie „Common Sense Media” sagt: “Es ist ein großer Unterschied, ob bei Zombie Duck Hunt eine Stunde lang Zombies gejagt werden, oder ob man die Stunde damit verbringt, mit einer Smartphone-App neue Wörter zu lernen oder im Internet Musik komponiert.“

Browne sagt, dass die Qualität der, Inhalte sehr wichtig ist, und diese einen wichtigen Bereich für die zukünftige Forschung darstellt. „Es ist nicht das gleiche, wenn man ein Ego-Shooter-Spiel spielt oder man mit Freunden oder Gleichaltrigen die Sesamstraße ansieht, und dabei etwas über Buchstaben, Zahlen und darüber lernt, wie man anderen hilft.“

Fernsehen kann allgemein auch Vorteile haben: Während man laut Browne auf Tablets und Smartphones eher allein etwas ansieht, kann es für Eltern einfacher sein, beim Fernsehen mit ihren Kindern zu interagieren. So können sie über die Themen der Sendung, über die Figuren und die Konflikte sprechen. „Einer der Vorteile des Fernsehens ist, dass man die Möglichkeit hat, gemeinsam fernzusehen“, erklärt Browne. „Das heißt, dass Kinder und ihre Freunde oder Bezugspersonen zusammen das Medium erleben, was Möglichkeiten für Meinungsbildung, Lehren und Verknüpfungen schafft.“

Aber egal ob die Kinder nun ein Videospiel spielen oder fernsehen, laut Anderson ist es wichtig, dass die Eltern informiert und involviert bleiben. Sie sollten sicherstellen, dass das, was sich ihre Kinder im Internet ansehen, mit den „Werten im echten Leben“ der Familie übereinstimmt. „Wenn Kinder im frühen Alter Zeit am Bildschirm verbingen, muss man dabei sein“, sagt er.

Und obwohl es wichtig ist, zeitliche Grenzen zu setzen, sagt Anderson, dass es vor allem darauf ankomme, sein eigenes Kind zu kennen. „Wenn Ihr Kind seine Hausaufgaben macht, Freunde trifft, Hobbies hat, Zeit mit den Eltern verbringt, gemeinsam mit der Familie isst, und es seine schulischen Leistungen oder der Schlaf nicht beeinträchtigt ist“, sollte man sich keine zu großen Gedanken darüber machen, ob das Kind mehr als eine Stunde vor einem Bildschirm verbringt, sagt er.

Wie Anderson sagt: „Es geht um ein gesundes Gleichgewicht.“

Rachel Grumman Bender