Beim Border-Collie-Syndrom können Betroffene einfach nicht chillen – und die Ruhe ist der Endgegner

Border-Collie-Syndrom

In jeder freien Minute aufs Handy schauen und Kopfhörer aufziehen, sind Anzeichen für das Border-Collie-Syndrom.

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Border Collies sind eigentlich ziemlich süße Hunde, die sich durch ihre kluge und loyale Art auszeichnen. Sie sind aber auch immer auf Achse, immer am wuseln und liegen selten einfach nur ruhig da und machen gar nichts. Diese Eigenschaft hat die Psychologie zum Anlass genommen, ein bekanntes Phänomen nach der Hunderasse zu benennen: das Border-Collie-Syndrom. Auch wenn das jetzt erst mal ziemlich harmlos klingt, steckt dahinter ein ernst zu nehmendes Problem. Die Betroffenen können nämlich einfach keine Ruhe ertragen.

Beim Border-Collie-Syndrom ist Ruhe der Endgegner

Menschen, die an dem Border-Collie-Syndrom leiden, können nicht chillen. In der Bahn sitzen und aus dem Fenster schauen? Spazieren gehen ohne Dauerbeschallung auf den Ohren? Einfach nur ruhig daliegen und nichts tun? All das kommt für Betroffene nicht infrage. Sobald sie in eine Situation kommen, in der sie mal nicht beschäftigt sein könnten, lenken sie sich ab. Der Tag wird minutiös durchgetaktet, jede freie Minute mit Aktivitäten geplant. Und selbst wenn sich während der Mittagspause mal ein Moment der Ruhe eröffnet, wird einfach das Handy gezückt und parallel auf Insta gescrollt, während man sich die Pasta reinschiebt. Menschen mit Border-Collie-Syndrom stehen immer unter Strom und sind immer in Bewegung. Klingt erst mal gar nicht so dramatisch, ist es aber. Es ist der Versuch, innere Leere zu kaschieren.

Betroffene des Border-Collie-Syndroms stehen ständig unter Strom

Während manche Menschen gar kein Problem damit haben, am Sonntag faul auf der Couch rumzulümmeln, vielleicht mal ein paar Seiten zu lesen, ansonsten aber einfach die Ruhe zu genießen, wäre das für andere Menschen der pure Albtraum. Menschen, die unter dem Border-Collie-Syndrom leiden, stehen ständig unter Strom und wollen sich beschäftigen. Nicht, weil sie immer zwangsläufig so viel Energie haben, sondern weil sie sich dahingehend selbst unter Druck setzen. Jede freie Minute ohne Beschäftigung ist eine Belastung, der sie schnell entgegenwirken wollen, sei es, indem sie sich nebenbei einen Podcast anmachen oder auf dem Smartphone rumtippen. So ähnlich ist es bei der namensgebenden Hunderasse auch. Sie wurde als Hütehund erzogen, dessen Aufgabe der Zusammenhalt der Herde ist. Können sie dieser Aufgabe nicht nachkommen, sind Border Collies schnell gelangweilt und unterfordert. Allerdings verfolgen Menschen mit Border-Collie-Syndrom im Gegensatz dazu nur selten eine lebenserfüllende Aufgabe – sie kommen einfach mit ihrer eigenen Person nicht klar und wollen sich mit ihr auch nicht auseinandersetzen. Die permanente Beschäftigung soll von dieser Tatsache ablenken. Das macht das Verhalten so problematisch.

Das Border-Collie-Syndrom wird häufig mit Produktivität verwechselt

Das Border-Collie-Syndrom wird häufig nicht als solches erkannt, weil viele Menschen Betroffene einfach für Energiebündel und Arbeitstiere handeln. In unserer Leistungsgesellschaft wird viel tun oft mit Erfolg gleichgesetzt. Wer viel arbeitet und Überstunden macht, gilt als Karrieretyp, wer sein Tag gut durchtaktet und früher Schluss macht, als faul – auch wenn der Output am Schluss der gleiche ist. Deshalb werden Betroffene des Border-Collie-Syndroms häufig für ihren Erledigungsdrang beneidet und ihr hohes Energie gelobt. Und das ist natürlich gar nicht gut, wenn man mal überlegt, welche Motive hinter dem psychologischen Problem stecken und wie sie sich auf die Mental Health der Betroffenen auswirken.

Problem am Border-Collie-Syndrom: Menschen brauchen Ruhe

Jetzt kann man natürlich das Border-Collie-Syndrom auch von einer positiven Seite sehen und Betroffene für ihren ständigen Tatendrang loben. Das wäre aber in etwa so, als Menschen mit Depressionen um ihre Antriebslosigkeit zu beneiden – völlig daneben. Zum einen sind Betroffene des Border-Collie-Syndroms zwar aktiv, aber nicht zwangsläufig produktiv und zum anderen wird die Energie vom Körper nicht einfach so bereitgestellt, sondern erzwungen. Es ist nämlich nicht so, dass Menschen mit Border-Collie-Syndrom keine Ruhe brauchen würden, sie lassen sie nur einfach nicht zu. Auch wenn sie dringend chillen müssten, unterdrücken sie das körperliche Bedürfnis und ballern sich den Kalender wieder bis obenhin voll. Dass das langfristig zu starken psychischen Problem führen kann und Erschöpfungssymptome, Burnout-Gefahr und weitere Rattenschwänze nach sich zieht, ist da nur logisch. Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich Betroffene langfristig therapeutische Hilfe suchen. Nicht nur, um lernen mit dem Border-Collie-Syndrom umzugehen. Sondern auch, weil es dafür oft einen problematischen Auslöser gibt.

Border-Collie-Syndrom ist häufig eine Vermeidungsstrategie

Nur um das einmal klarzustellen: Wir sind keine Psycholog*innen und wollen hier weder psychische Krankheitsbilder analysieren, noch fachliche Thesen darüber aufstellen. Wir wollen Ihnen das Border-Collie-Syndrom – im Übrigen keine offizielle psychische Erkrankung – als solches näherbringen, weil wir viele Menschen sehen, die mit erzwungener Überbelastung zu kämpfen haben. Betroffene des Border-Collie-Syndroms wählen die permanente Beschäftigung häufig als Vermeidungsstrategie. Sie wollen belastende Gefühle wie Selbstzweifel, Einsamkeit, Trauer, die sie unter anderem empfinden können, nicht wahrhaben und versuchen sich deshalb abzulenken, um sich nicht damit auseinanderzusetzen. Schließlich bleibt dazu bei einem stressigen Alltag weniger Zeit, als wenn man sich bewusst mit der eigenen Person konfrontiert. Natürlich ist das nicht bei allen Menschen der Antrieb, die gerne und viel unterwegs sind. Es gibt auch einfach Menschen, die ein höheres Energy Level als andere haben und deshalb auch die Kapazitäten haben, mehr Dinge zu erledigen. Solange man auch mal Chillen und Nichtstun aushalten kann und kein Problem damit hat, sich selbst zu reflektieren, ist alles easy. Wichtig ist nur, dass man auf seinen Körper hört und ihm Ruhe gönnt, sobald er danach verlangt. Aus Angst vor den eigenen Emotionen sollte man ihm diese allerdings nicht verwehren.