Aktuelle Buch-Kritiken: Clemens Setz, Frank Jacobs, Tolkien und Greg Smith

SCHECK EMPFIEHLT:

Clemens J. Setz: „Indigo" (Suhrkamp Verlag, 475 S., 22,95 €)
"Lieber Clemens Setz, ich nehme an, Sie würden gerne erfahren, was alles passiert ist, nachdem Sie das Bewusstsein verloren haben." So beginnt einer der faszinierendsten deutschsprachigen Romane der Saison, ein schönes Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit, mit Strategien der Authentifzierung und mit Strategien des Fake.

Clemens Setz: Denis Scheck empfiehlt seinen neuen Roman "Indigo" (Bilder: Suhrkamp/Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.)
Clemens Setz: Denis Scheck empfiehlt seinen neuen Roman "Indigo" (Bilder: Suhrkamp/Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.)

Der Roman „Indigo" erzählt die Geschichte einer Krankheit. Kinder mit dem seit den 90er Jahren weltweit grassierenden Indigo-Syndrom lösen in Menschen ihrer Umgebung Unwohlsein, Kopfschmerzen, Übelkeit und Brechreiz aus. In seinem Roman läßt uns der 1982 geborene Österreicher Clemens Setz an den Recherchen eines angehenden Mathematiklehrers teilnehmen, der ebenfalls Clemens Setz heißt, ein Referendariat in einem auf Indigo-Kinder spezialisiertem Internet in der Steiermark namens Helianau absolviert und nach seinem Rauswurf dort dieser Krankheit auf den Grund kommen möchte. „Indigo" erzählt von einer kranken Welt, in der Empathie und Mitleid verdrängt werden von Rationalität und Egoismus. Setz vermag ebenso amüsant den Charakter von Data aus Star Trek zu erörtern wie über die Auswirkungen von Jahreszeiten auf Pornoseiten im Internet nachzudenken. Im souveränen Verknüpfen seiner immer verstörenderen Handlungsfäden verneigt er sich elegant vor seinen Vorbildern Philip K. Dick und Thomas Pynchon und winkt im Vorübergehen auch Vladimir Nabokov zu. „Indigo" ist ein Roman, der Schwindel auslösen kann.

Frank Jacobs: Seltsame Karten (Deutsch von Matthias Müller, Liebeskind Verlag, 127 S., 29.80 €)

Dieses Buch ist eine vergnügliche Anleitung zum Kartenlesen. Frank Jacobs ist durch seinen von der „New York Times" populär gemachten Blog bekannt geworden, in dem der gebürte Belgier sein Hobby als Sammler von Landkarten unterhaltsam aufbereitet. Daß schiere Wissensvermittlung Glück bedeuten kann, erfährt man beim Blättern durch diesen Bildband: wie stellten sich deutsche Chauvinisten Europa nach einem Sieg im Ersten Weltkrieg vor? Worin liegt die Schönheit der Minard-Karte, die Napoleons Russland-Feldzug darstellt? Wo liegt Kapitän Nemos Nautillus begraben? Jacobs Buch ist ein Schatz, seine Lektüre bereichert.

J. R. R. Tolkien: „Roverrandom" (Aus dem Englischen von Hans J. Schütz, Klett-Cotta,144 S., 13,95 €)
Diese Erzählung über den kleinen frechen Hund Rover, der einen griesgrämige Zauberer in den Hintern beißt und dem das gar nicht gut bekommt, ist der ideale Einstieg in Tolkiens Erzählkosmos. Ein Buch, das sich ideal zum lauten Vorlesen unterm Weihnachtsbaum eignet. Rovers Abenteuer auf der Suche nach seiner richtigen Gestalt und Größe beim Mann im Mond oder beim Meerkönig haben auch 75 Jahre nach ihrer Entstehung nichts von ihrem beträchtlichen Charme verloren.

SCHECK RÄT AB:

Greg Smith: „Die Unersättlichen" (Deutsch von Petra Pyka, Christoph Bausum, Thorsten Schmidt, Rowohlt, 366 S. €)

Zwölf Jahre hat der Südafrikaner Greg Smith für Goldman Sachs an der Wall Street gearbeitet und gelangt nun zu dem überraschenden Befund: denen geht's doch nur um unser Geld! Greg Smith mit seinem unfreiwillig komischen Insider-Enthüllungsbuch allerdings auch. Wer Gier und niedere moralische Standards bei Investmentbankern beklagt, holt sich seine Verhütungstips vermutlich beim Vatikan. Eine selbstgerechte, dem moralischen Mainstream huldigende Anklageschrift.

Die nächste Sendung "Druckfrisch" mit Denis Scheck läuft am Sonntag, 16.12. um 23.35 Uhr in der ARD