#Bodychange – "Ich kann immer anziehen, was ich will!"

Ich laufe durch das noch immer bitterkalte Berlin und freue mich dennoch, dass ich immer mehr Vogelgezwitscher höre. Der Frühling kommt und auch wenn ich eine Liebhaberin der kalten Jahreszeiten bin, so kann ich nicht leugnen, dass ich jedes Jahr aufs Neue glücklich darüber bin, wenn die Chelsea Boots den Ballerinas weichen müssen.

Bild: fashionlunch.de
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Ich habe jetzt seit gut einem Jahr knapp 10 Kilo an Gewicht zugenommen – massiver Stress hat sich im letzten Jahr bei mir breitgemacht und das hat sich auf meine Rippen niedergeschlagen. Und soll ich euch was sagen? Ich habe mich jetzt, in meinem neuen Leben, mit meinem neuen Gewicht, nie wohler gefühlt. Ich liebe mein Körpergefühl und laufe beschwingt durch die Straße, mein – pardon my french – deutlich knackigerer Arsch und ich.

Also laufe ich nichtsahnend und irgendein nervtötendes Lied aus den Charts pfeifend durch die eben besagten Straßen und auf einmal schlägt mir jemand mitten ins Gesicht. Ohrfeige, Backpfeife, Schelle, nennt es, wie ihr wollt: Genau so fühlte es sich an, als ich diesen missglückten und überdimensionierten Offline-Marketing-Versuch von „Bodychange“ – lebensgroß in Berlin-Friedrichshain – sehe: „Endlich kann ich wieder anziehen, was ich will!“

Ohne den Namen der Firma zu sehen, frage ich mich, was das arme Photoshop-Model denn meint und was ihr in ihren 16 Lebensjahren widerfahren sein kann, dass sie vorher nicht anziehen konnte, was sie will – von Zwangsverschleierung bis hin zu 15 Jahre Antarktis fällt mir nichts ansatzweise plausibleres ein, wieso ein jemand in unserem Land nicht das tragen kann, wozu er Lust hat.
Ich inspiziere also das Plakat, lese den Namen und WUMS, hab ich die Schelle in Form von „Wenn du nicht dünn genug bist, darfst du nicht anziehen, was du willst!“ im Gesicht.
Aha. Ich kann also nicht anziehen, was ich will, wenn ich nicht so aussehe wie Teenie-Girl auf dem Plakat vor mir.
Das ist insofern erstmal schade, da ich locker 10 Jahre älter und somit schon raus aus der Pubertät bin.

Noch schader ist es – und ich weiß, dass die Steigerung dieses Wortes nicht funktioniert, aber ich bediene mich gerne an Neologismen oder grammatikalischer Inkorrektheit, um mein Unverständnis auszudrücken – dass uns jedes Jahr suggeriert wird, dass unser Leben erst dann so richtig anfängt, wenn wir endlich dünner sind.
Dann können wir endlich anziehen was wir wollen, dann können wir endlich wieder leben, endlich wieder glücklich sein, vielleicht finden wir dann endlich auch einen Partner, denn uns endlich so lieben kann, wie wir es wollen, oder – wer weiß – vielleicht können wir uns ja auch endlich mal selber lieben? Also nur, wenn wir dünn sind, versteht sich.

Bild: fashionlunch.de
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Mir reicht es wirklich. Es reicht mir, Frauenzeitschriften mit Tortenrezepten und „Liebe dich selbst!“ Tipps aufzuschlagen, nur um ein 20-seitiges „Fühl dich endlich gut!“-Fitness-Extra zu lesen.
Es reicht mir, dass ich durch die Stadt laufe und von jedem Plakat angeschrien werde, dass ich mich ändern soll, damit mein Leben beginnt, damit ich mich gut fühlen darf, damit ich anziehen kann, worauf ich Lust habe – während doch aber alle immer extralaut sagen, dass sie die Vielfalt des Körpers lieben.
Es reicht mir, dass ich nicht finden darf, dass ich gut bin, wie ich bin – dass es nie ganz reicht, dass ich mich immer selber optimieren muss
Und mit Selbstoptimierung meine ich nicht:

Wie kann ich lernen, ruhiger zu werden?
Wie werde ich verständnisvoller?
Wie kann ich lernen, weniger Geld für Unfug auszugeben?
Was kann ich für meine Mitmenschen tun?
Sondern:
Wie kann ich schnell dünn werden?
Welche Haarfarbe lässt meine Augen strahlen, damit Männer mich toll finden?
Wie kriege ich endlich eine Taille wie Kim Kardashian und Co?
Wie sehe ich aus wie 16 und bin reif wie 35?

Es reicht mir, dass…..nein. Es reicht mir einfach. Ich kann anziehen, was ich will.
Ich reiche mir.
Ich möchte nichts von Bodychange lesen, sondern von Mindchange.
Ich möchte mich mögen dürfen wie ich bin, abnehmen wann ich will oder zunehmen, wie ich will – mein Leben beginnt nicht erst, wenn ich keinen Rettungsring mehr um den Bauch habe, sondern jetzt: Wie sonst soll ich auch unbeschwert im Sommerurlaub plantschen?