Coming-out von Kindern: Das rät eine Expertin den Eltern

Kinder wollen nichts mehr als von ihren Eltern geliebt und akzeptiert zu werden. Bei einem Outing ist die Reaktion also enorm wichtig, doch wie sollte die aussehen? Ist es genug, ein Kind in seiner Persönlichkeit zu stärken oder sollte man es auch auf negative Erfahrungen vorbereiten? Eine Heilpädagogin gibt im Interview mit Yahoo Style Antworten.

Wie in allen anderen Erziehungsfragen auch, ist Zuhören das wichtigste, was Eltern beim Outing ihres Kindes tun können. (Bild: Getty Images)
Wie in allen anderen Erziehungsfragen auch, ist Zuhören das wichtigste, was Eltern beim Outing ihres Kindes tun können. (Bild: Getty Images)

Sophie Wagner ist Heilpädagogin und berät bei der “Rosa Hilfe Freiburg” homo-, bi-, trans,-und intersexuelle Kinder und Jugendliche. Manche suchen ihren Rat, weil sie sich bereits geoutet und schlechte Erfahrungen gemacht haben, manche haben ihr Coming-out noch vor sich. Einige von ihnen können sich genau vorstellen, wie ihre Eltern reagieren werden, andere fürchten sich vor diesem Moment und zögern ihn hinaus.

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Um seiner Tochter oder seinem Sohn die Hürde zu erleichtern, könnten Eltern auch von sich aus auf sie zugehen: „Manche Kinder haben viele Hemmungen und Ängste. Einfach mal nachzufragen ist da schon eine gute Idee“, so Wagner zu Yahoo Style. Sie selbst würde eine offene Fragestellung präferieren. „Bist du in jemanden verliebt?“, zum Beispiel, oder: „In wen verliebst du dich eigentlich?“ Ein Tipp, den sie nicht nur Eltern ans Herz legt: „Wenn alle Menschen das so machen würden, wären Coming-outs überflüssig. Wenn man Mädchen nicht automatisch fragt, ob sie in einen Typen verliebt sind und bei Jungs andersherum.“

Lagen die Eltern richtig mit ihrer Vermutung, hält sie folgende Reaktion für die beste: „Sich freuen! Über den Mut des Kindes und dass es in der Lage ist, sich zu verlieben. Es einfach annehmen und dem Kind vermitteln, dass das jetzt auch nichts Spezielles ist.“

Die Community bietet einen großen Rückhalt

In der Realität sind manche Eltern dann aber doch erst einmal geschockt, und das kann viele Gründe haben: „Viele fragen sich dann als erstes: Was ist mit Enkelkindern? Oder die Sorge davor, dass die Kinder Ausgrenzung und Diskriminierung erleben. Eltern wollen ja das Beste für ihre Kinder und dass sie es so leicht wie möglich haben.“ Ängsten wie diesen begegnen Wagner und ihre Kollegen, indem sie von ihren eigenen, positiven Erfahrungen erzählen. Sie klären darüber auf, dass es viele Beziehungs- und Familienkonstellationen gibt, dass die Community Rückhalt bietet und die Akzeptanz in der Gesellschaft schon ziemlich weit fortgeschritten ist.

Sowieso seien die Eltern, die bei der “Rosa Hilfe” von sich aus Rat suchten, ziemlich reflektiert: „Sie merken, dass es für sie schwierig ist, mit dem Thema umzugehen, aber die Beziehung zu ihrem Kind ist ihnen wichtig. Sie sind dann bereit, darüber zu sprechen und einen guten Umgang damit zu finden.“

Teenager und Jugendliche, die Fragen zu oder Probleme mit ihrem Coming-out haben, können sich an den bundesweiten Jugendverband Lambda wenden. (Bild: Getty Images)
Teenager und Jugendliche, die Fragen zu oder Probleme mit ihrem Coming-out haben, können sich an den bundesweiten Jugendverband Lambda wenden. (Bild: Getty Images)

Daneben gibt es aber immer wieder auch Eltern, die mit der Situation überhaupt nicht umgehen können, ihre Kinder regelrecht verstoßen und sie zwingen, von Zuhause auszuziehen. Weshalb es manchmal auch sinnvoll sein kann, Jugendlichen von einem Coming-out abzuraten: „Wenn ein junger Mensch das Gefühl hat, ein Outing würde die Beziehung zu seinen Eltern komplett zerstören, kann es besser sein, zu warten, bis man auf eigenen Beinen steht und einen gewissen Abstand gewonnen hat.“

Eltern sind aber nicht die einzigen, die brutal auf ein Coming-out reagieren können. In den USA hat sich kürzlich ein neunjähriger Junge das Leben genommen, den Mitschüler nach seinem Outing offenbar gemobbt hatten. Hier sieht Wagner die Bildungsstätten in einer besonderen Verantwortung: „Schulen sollten Orte von Vielfalt und Gleichberechtigung aller Lebens- und Liebensformen sein.“

“Das hat nichts mit dir zu tun, sondern mit der Unwissenheit der anderen”

Die Verantwortlichen müssten alles dafür tun, um Mobbing zu verhindern oder, im Fall der Fälle, zumindest sofort einzugreifen. Ein wirksames Mittel seien Schulaufklärungsprojekte wie zum Beispiel “SCHLAU”, das in NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz auch landespolitisch gefördert wird. In Baden-Württemberg soll das Thema der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Vielfalt laut Bildungsplan in den Unterricht integriert, geschulte Pädagogen sollen für das Thema sensibilisiert werden und in den Schulen ausgelegte Coming-out- und Aufklärungsbroschüren könnten ebenfalls zu einer Normalisierung im Umgang beitragen.

Gefragt, ob Eltern ihre Kinder ausdrücklich davor warnen und sie darauf vorbereiten sollten, dass ihnen Diskriminierung, Ausgrenzung und sogar Hass begegnen könnten, sagt die Pädagogin: „Ich würde den Kindern keine Angst davor machen, sich zu outen. Aber ich würde sie darauf vorbereiten, dass man durchaus negativen Reaktionen ausgesetzt sein kann.“ Wichtiger sei aber folgendes: „Dem Kind zu sagen: So wie du bist, bist du ok. Und wenn du mit Diskriminierung konfrontiert wirst, hat das nichts mit dir zu tun, sondern mit der Unwissenheit der anderen und deren Angst vor Andersartigkeit.“

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Für verunsicherte Kinder und Jugendliche oder solche, die sich besonders allein fühlen, hat die Beraterin noch einen Tipp: „Vielen hilft es, sich erst einmal online zu informieren. Bei Youtube zum Beispiel gibt es viele Aufklärungsvideos und Personen, die von ihrem eigenen Coming-out erzählen, und es gibt auch viele Foren.“ Daneben kann sie auch den Webauftritt des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) empfehlen sowie den bundesweiten Jugendverband Lambda, der unter anderem auch Jugendtreffen und -camps veranstaltet.

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