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"Den Deutschen ist das Tierwohl weitgehend egal"

Wenn es darum geht, sich für Tierrechte einzusetzen, nimmt Hannes Jaenicke kein Blatt vor den Mund. Im zwölften Teil seiner ZDF-Reihe "Hannes Jaenicke: Im Einsatz für das Schwein" (Dienstag, 31. März, 22.15 Uhr, ZDF) klagt der 63-Jährige die Fleischindustrie und die deutsche Poltik an. (Bild: ZDF / Markus Strobel)
Wenn es darum geht, sich für Tierrechte einzusetzen, nimmt Hannes Jaenicke kein Blatt vor den Mund. Im zwölften Teil seiner ZDF-Reihe "Hannes Jaenicke: Im Einsatz für das Schwein" (Dienstag, 31. März, 22.15 Uhr, ZDF) klagt der 63-Jährige die Fleischindustrie und die deutsche Poltik an. (Bild: ZDF / Markus Strobel)

Laut Schauspieler Hannes Jaenicke hat die letzte Regierung in Sachen Tierrecht versagt. In einer neuen ZDF-Doku setzt er sich für das Schwein ein. Ein Gespräch über normalisierten Gesetzesbruch in der Fleischindustrie, Abschaltreflexe und eine Verlogenheit der Deutschen in Sachen Tierliebe.

Im weltweiten Kampf für das Tierwohl: Seit 2008 setzt sich Schauspieler Hannes Jaenicke mit der ZDF-Dokureihe "Im Einsatz für ..." vehement für bedrohte oder misshandelte Tiere ein: unter anderem für Orang-Utans, Eisbären und Delfine. Mit der aktuellen Ausgabe "Hannes Jaenicke: Im Einsatz für das Schwein" (Dienstag, 31. Mai, 22.15 Uhr, ZDF) rückt der 62-jährige Tierrechts- und Umweltaktivist eine einheimische Spezies in den Vordergrund, die viele Menschen nur noch als abgepacktes Stück Fleisch wahrnehmen. Im Interview erklärt Jaenicke, was das Schwein außerhalb der Massentierhaltung ausmacht, warum die Fleischindustrie eine so große Lobby hat und unser Tierschutzgesetz eigentlich keines ist.

teleschau: Herr Jaenicke, zum zwölften Mal "Im Einsatz für": Was machte den Einsatz für das Schwein zu einem besonderen?

Hannes Jaenicke: Die Erkenntnis, dass wir Deutschen, ein sonst so gesetzestreues Volk, in Sachen Tierrecht ständig sämtliche Gesetze brechen und die Politik tatenlos zuschaut. Ich glaube, wenn man Leuten zeigt, was Schweine für lustige, soziale und intelligente Tiere sind, denken sie kurz nach, bevor sie beim Discounter zum Billig-Kotelett greifen.

teleschau: Wie verhalten sich Schweine außerhalb der Massentierhaltung?

Jaenicke: Erstaunlicherweise leben sie dann ziemlich ähnlich wie wir. Die suchen sich ihre Freundinnen und Freunde, pflegen Beziehungen und meiden dafür andere Artgenossen. Diese Tiere sind schlau, neugierig und lernfähig: Sie bauen Puzzle zusammen, erkennen unsere Gesichter, in den USA malt "Pigcasso, das malende Schwein", mit seiner Schnauze und einem Pinsel richtige Bilder.

teleschau: Wo ähneln sich Mensch und Schwein noch?

Jaenicke: Was die DNA betrifft sind wir uns so ähnlich, dass man Menschen Schweine-Organe implantieren kann. Im Januar erhielt in den USA erstmals ein Mensch ein Schweine-Herz. Das ist meine nächste Befürchtung: Jetzt wird in den Staaten Züchtung betrieben, um transplantierfähige Organe zu produzieren.

"Lustige, soziale und intelligente Tiere": In der Dokumentation von Judith Adlhoch und Eva-Maria Gfirter macht Deutsch-Amerikaner Hannes Jaenicke deutlich, wie weit entfernt die industrielle Haltung der Schweine von ihrem natürlichen Wesen entfernt ist. (Bild: ZDF / Markus Strobel)
"Lustige, soziale und intelligente Tiere": In der Dokumentation von Judith Adlhoch und Eva-Maria Gfirter macht Deutsch-Amerikaner Hannes Jaenicke deutlich, wie weit entfernt die industrielle Haltung der Schweine von ihrem natürlichen Wesen entfernt ist. (Bild: ZDF / Markus Strobel)

"Wir verdrängen die Perversion der Tierfabriken'"

teleschau: Auf verstörende Schockbilder haben Sie im Film bewusst verzichtet.

Jaenicke: Ja. Erstens wollen wir die Zuschauer nicht abschrecken, sondern abholen. Zweitens wollen wir intelligente Unterhaltung machen und keine Folterkammer eröffnen. Ich gucke mir seit Jahren Videos an, in denen lebendigen Nerzen das Fell vom Leib gezogen wird. Mittlerweile habe ich den Verdacht, dass der Zuschauer verständlicherweise einen Ausschalt-Reflex bekommt. Meine Schwester ist seit 40 Jahren Kranken- und Palliativschwester. Die sagt: "Hannes, wenn ich von der Arbeit komme, will ich keine Bilder von einem rasierten Orang-Utan-Weibchen sehen, das in einem indonesischen Holzfäller-Puff angeboten wird." Das hatten wir in unserer Orang-Utan-Doku.

teleschau: Viele Menschen sollten inzwischen die heftigen Bilder aus der Massentierhaltung kennen.

Jaenicke: Zumindest wissen sie davon, aber wir verdrängen die Perversion der Tierfabriken. Das Traurigste ist: Kaum ein Tier hat einen so feinen Geruchssinn wie Schweine. Wenn sie die Chance haben, gehen sie ähnlich wie Katzen auf die Toilette, dort machen sie ihr "Geschäft", ansonsten sind sie erstaunlich reinlich. Und sie buddeln für ihr Leben gern in Gras und Erde. In den Schweinefabriken stehen sie ihr ganzes Leben lang auf engstem Raum in diesem bestialischen Gestank auf Betonböden, können sich nicht bewegen und sehen nie das Tageslicht.

teleschau: Schauen die Menschen bewusst weg?

Jaenicke: Ja und nein. Die Fleischindustrie tut ja alles dafür, dass wir Verbraucher nicht sehen, wie bestialisch unser Fleisch produziert wird. Viehtransporte auf den Autobahnen haben mittlerweile Sichtschutz. Hochsicherheitsgefängnisse sind zugänglicher als große Betriebe wie Tönnies und Wiesenhof. Außerdem gilt in Deutschland immer noch das traurige Motto: "Geiz ist geil."

teleschau: Wie drückt sich das aus?

Jaenicke: Italiener und Franzosen geben 23 bis 24 Prozent ihres Monatseinkommens für Essen aus - wir Deutschen knapp 11. Uns ist das Tierwohl und die Qualität unseres Essens weitgehend egal. Die Deutschen haben teure Autos, teure Handys, teure Fernseher, damit sie "Dschungelcamp" noch schärfer sehen können, aber sparen beim Essen. Das ist eine Frage der Prioritäten.

Zusammen mit dem Philosophen Richard David Precht (links) diskutiert Hannes Jaenicke über das deutsche Tierschutzgesetz. Laut Precht werden "wirtschaftliche" Gründe als "vernünftige" Gründe ausgelegt - das Tierrecht ist somit faktisch wertlos. (Bild: ZDF / Markus Strobel)
Zusammen mit dem Philosophen Richard David Precht (links) diskutiert Hannes Jaenicke über das deutsche Tierschutzgesetz. Laut Precht werden "wirtschaftliche" Gründe als "vernünftige" Gründe ausgelegt - das Tierrecht ist somit faktisch wertlos. (Bild: ZDF / Markus Strobel)

"Jetzt gilt selbst in Bayern Fisch nicht mehr als Gemüse"

teleschau: Was läuft hierzulande in Sachen Tierschutz noch falsch?

Jaenicke: Bei der Fleischproduktion so ziemlich alles. Das fängt bei der Qualzucht an: Der Kastenstand ist offiziell seit den 1990er-Jahren verboten, ist aber in 99 Prozent der Betriebe immer noch gang und gäbe. Kontrolliert wird im Schnitt alle 17 Jahre, nach vorheriger Ankündigung. Alle gucken weg, die Politik, Industrie, Polizei und Verbraucher. Wir sind eines der letzten Länder, in denen Wildtiere im Zirkus immer noch erlaubt sind. Wenn die Deutschen behaupten, sie seien tierlieb, ist das verlogen. Wir verwöhnen unsere Haustiere und quälen Nutztiere, um Billigfleisch essen zu können.

teleschau: Verzweifeln Sie bei ihrem Engagement manchmal an der menschlichen Ignoranz?

Jaenicke: Nein, verzweifeln oder aufgeben bringt ja nichts. Es bewegt sich ja was, auch wenn der Mensch eine träge, innovationsfeindliche Spezies ist. Vor 20 Jahren waren vielleicht ein, zwei Leute aus meiner Filmcrews Vegetarier, heute ist es oft ein Drittel des Teams. Ich kann in ein bayrisches Dorfgasthaus gehen und kriege ein vegetarisches Gericht. Als ich 2008 nach Oberbayern gezogen bin, bin ich dort in ein gutbürgerliches Gasthaus gegangen und auf der Speisekarte stand unter "Vegetarisches": Forelle. Jetzt gilt selbst in Bayern Fisch nicht mehr als Gemüse.

teleschau: Was wird sich in naher Zukunft noch tun?

Jaenicke: Rügenwalder verdient schon heute viel Geld mit veganen Fleischersatzprodukten. Jetzt kommen "Beyond Meat" und "Impossible Burger". Richard David Precht sagt in unserem Film etwas sehr Optimistisches: Das ganze System der Fleischproduktion, von der Futtermittelproduktion - Sojaanbau in Südamerika, Regenwaldrodung, Transport, bis zur Mast und Schlachtung - wird sich in dem Moment nicht mehr rechnen, in dem das Fleisch aus der Petrischale billiger wird als das konventionelle Fleisch.

teleschau: Wann wird das sein?

Jaenicke: Genau an diesem Punkt sind wir demnächst: Das erste Stammzellen-Steak hat laut Precht vor zehn Jahren 250.000 Dollar gekostet. Vor zwei, drei Jahren war er auf einer Messe, da kostete es nur noch 250 Dollar. Jetzt kostet es ungefähr 25 Dollar und jetzt rechnen Sie mal ein paar Jahre weiter...

Auf Hof Birkeneck trifft Hannes Jaenicke (rechts) Schweinehalter Manuel Schneider und seine Freiland Duroc Schweine. Die Doku beweist: eine andere Haltung der Tiere ist möglich - und nötig. (Bild: ZDF / Moritz Geiger)
Auf Hof Birkeneck trifft Hannes Jaenicke (rechts) Schweinehalter Manuel Schneider und seine Freiland Duroc Schweine. Die Doku beweist: eine andere Haltung der Tiere ist möglich - und nötig. (Bild: ZDF / Moritz Geiger)

"Warum sitzen die eigentlich nicht im Knast?"

teleschau: Im Beitrag wird auch gezeigt, dass das Tierschutzgesetz eigentlich keines ist. Ein Kapitalismus-Problem?

Tönnies: Ja. Das Tierschutzgesetz ist nicht mal das Papier wert, auf dem es gedruckt wurde. Wie Richard David Precht im Film sagt: Der Satz "kein Tier darf ohne vernünftigen Grund gequält werden" wird in der Praxis durch "wirtschaftlichen Grund" ersetzt. Die deutsche Fleischindustrie setzt im Jahr über 40 Milliarden Euro um. Herr Tönnies ist der Sohn eines kleinen Dorfmetzgers und heute Milliardär. Das hat er nur geschafft, weil das Tierschutzgesetz mit Füßen getreten wird. Da zitiere ich gern Jean-Jacques Rousseau, der vor 300 Jahren einmal gesagt hat: "Hinter jedem großen Vermögen steckt ein großes Verbrechen."

teleschau: Würden Sie mit Menschen wie Tönnies noch sprechen?

Jaenicke: Natürlich. Ich sitze regelmäßig mit solchen Leuten in Talkshows. Für mich gehören solche Menschen vor Gericht. Die brechen schamlos Gesetze, dass ich mich frage: Warum sitzen die eigentlich nicht im Knast? So wie Herr Tönnies mit Tieren umgeht, so geht er auch mit seinen Mitarbeitern um. Leider gibt es viele von seiner Sorte. Das ganze System muss komplett auf den Kopf gestellt werden.

teleschau: Ist Geld der einzige Grund für die starke Fleischlobby in Deutschland?

Jaenicke: Je reicher eine Industrie, desto stärker ihre Lobby. Wir haben eine Bankenlobby, eine Pharmalobby, eine Chemielobby, eine Agrarlobby, eine Autolobby. Es ist nicht schwer zu erkennen, wer in Deutschland wirklich regiert hat - zumindest bis zum Start der Ampel-Regierung. Ich bin guter Hoffnung, dass Agrarminister Cem Özdemir, auch Robert Habeck und Annalena Baerbock, wirklich etwas verändern. Unter den Lobby-Marionetten von CDU und SPD ist ja die letzten Jahre was Umwelt- und Tierschutz betrifft so gut wie nichts passiert.

teleschau: Wird Fleischessen, wenn die Preise angehoben werden, nicht zur sozialen Frage?

Jaenicke: Ich bin seit 40 Jahren Vegetarier und noch nicht von den Knochen gefallen. Zudem ist Umweltschutz ja auch eine soziale Frage, sie wird bei uns nur falsch gestellt: Es geht nicht darum, ob sich jeder ein Steak leisten kann, sondern, ob sich jeder gesundes, hochwertiges Essen leisten kann.

teleschau: Weshalb ist das aktuell nicht möglich?

Jaenicke: Deutschland und die EU subventionieren ja nicht nach Qualität, sondern nach Größe des Betriebs und nach Masse. Wenn wir Qualität - schlicht Bioprodukte - richtig subventionieren würden, würde auch der viel zitierte "Hartzer" profitieren. Dann wäre nämlich gesundes Essen billiger und giftiges Essen teurer - es ist leider genau umgekehrt.

Schon seit vielen Jahren engagiert sich Vegetarier Hannes Jaenicke für Umwelt und Tierschutz. Seinen ersten "Im Einsatz für ..." widmete der Schauspieler, Synchron- und Hörbuchsprecher 2008 den Orang-Utans. (Bild: 2022 Getty Images/Sebastian Reuter)
Schon seit vielen Jahren engagiert sich Vegetarier Hannes Jaenicke für Umwelt und Tierschutz. Seinen ersten "Im Einsatz für ..." widmete der Schauspieler, Synchron- und Hörbuchsprecher 2008 den Orang-Utans. (Bild: 2022 Getty Images/Sebastian Reuter)

"Wenn Ärzte behaupten, man brauche Fleisch, lügen sie"

teleschau: Hinzu kommt eine gesundheitliche Komponente.

Jaenicke: Das Massenprodukt Fleisch ist ja nicht gesund. Woher kommen die steigenden Krebs-Raten, Herzerkrankungen, Antibiotika-Resistenzen? Die Frage ist, wie sehr wir unser Gesundheitssystem belasten mit ungesundem Essen.

teleschau: Was entgegnen Sie Menschen, die meinen, Fleisch als Teil der Ernährung zu brauchen?

Jaenicke: Viele Hochleistungssportler sind mittlerweile vegan, weil sie schneller und besser werden. Wenn Ärzte behaupten, man brauche Fleisch, dann lügen sie. Patrik Baboumian, ehemaliger Strongman, hält als Veganer immer noch vier Weltrekorde. Der sagt immer den schönen Satz: "Die stärksten Tiere der Welt: Wasserbüffel, Elefanten, Gorillas und ich, essen nur pflanzliche Nahrung." Wir sind Omnivoren, sprich Allesfresser, und brauchen kein Fleisch. Und wer nicht auf Fleisch verzichten will, sollte sich einmal die Woche einen hochwertigen Sonntagsbraten gönnen.

teleschau: Im Gespräch mit Richard David Precht kommt auch ein Vorschlag auf, wie das Thema in Schulen behandelt werden sollte.

Jaenicke: Geniale Idee: Jede 10. Klasse in Deutschland sollte einen Ausflug in einen Schlachtbetrieb der Massentierhaltung machen. Ein Grund, warum ich kein Fleisch esse, waren Anfang der 80-er zwei Drehtage in einer Hühner-Fabrik. Vorher fand ich Hühnchen lecker, aber als ich gesehen habe, wie die gehalten werden, habe ich gesagt: "Nie wieder!"

teleschau: Auch der Klimaschutz wird als Argument für Vegetarismus angeführt.

Jaenicke: Es wird viel darüber diskutiert, dass der weltweite Verkehr 18 Prozent Anteil des CO2-Ausstoßes ausmacht. Bei der Fleischproduktion sind es 23 Prozent! Wenn wir ernst machen wollen mit dem Klimaschutz, sollten wir weniger über E-Mobilität und Flugscham sprechen, sondern mehr über unseren Fleischkonsum.

Bereits seit Mitte der 80er-Jahre steht Jaenicke für Filme und Serien vor der Kamera, 1984 war er im Thriller "Abwärts" mit Götz George zu sehen. 2011 erhielt er für den Mehrteiler "Hindenburg" den Deutschen Fernsehpreis. (Bild: 2021 Getty Images / Sebastian Reuter)
Bereits seit Mitte der 80er-Jahre steht Jaenicke für Filme und Serien vor der Kamera, 1984 war er im Thriller "Abwärts" mit Götz George zu sehen. 2011 erhielt er für den Mehrteiler "Hindenburg" den Deutschen Fernsehpreis. (Bild: 2021 Getty Images / Sebastian Reuter)