Die Blicke der Anderen

(Bild: Getty Images)
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Morgens 7.30 Uhr in einer U-Bahn-Station: Eigentlich wollte ich nur bis zum Ende des Steigs laufen und dort in Ruhe auf meine U-Bahn warten. Stattdessen zerbreche ich mir jetzt den Kopf, warum mich diese Mittfünfzigerin gerade so angesehen hat. Nachdem ich mein Handy aus der Tasche genommen und die Frontkamera aktiviert habe, versuche ich unauffällig zu überprüfen, ob ich was im Gesicht oder in den Haaren habe. Nichts. Ok. Kurzer Check der Klamotten, irgendwo ein Fleck, ist irgendwas verrutscht? Nein. Alles gut. Wobei, eigentlich ist nicht alles gut. Ich habe gerade Lebenszeit damit verschwendet, dem Blick einer völlig Fremden viel zu viel Beachtung entgegen zu bringen.

Ich meine, sind wir doch mal ehrlich, was die Frau am Bahnsteig über mich denkt, kann mir doch vollkommen egal sein. Ich kenne sie nicht und werde sie in meinem Leben vermutlich nie wiedersehen. Warum also löst ein einfacher Blick so eine Unsicherheit aus? Warum bemerke ich das überhaupt? Suche ich nach Blicken Anderer? Und wenn ja, warum? Ich weiß es nicht, also frage ich – wie man das heute so tut – mal das Internet und finde, tatsächlich eine wissenschaftliche Erklärung.

Wir suchen tatsächlich nach Blicken Anderer

Laut einer Studie der Universität von Sydney achtet der Mensch anscheinend instinktiv auf Blicke Anderer. Und nicht nur das. Wir nehmen auch dann an, dass wir angestarrt werden, wenn wir die Augen unserer Mitmenschen gar nicht sehen können, weil sie beispielsweise Sonnenbrillen tragen. Dahinter vermuten die Forscher einerseits einen Schutzmechanismus. Denn unter Menschenaffen gilt Anstarren als Drohgebärde oder wird zumindest als aggressives Verhalten angesehen. Indem unser Gehirn uns also entweder auf einen tatsächlichen oder zumindest potentiell starrenden Menschen aufmerksam macht, versucht es uns zu schützen. Ganz nach dem Motto: Lieber fällt uns ein belangloser Blick zu viel auf, als dass wir einen gefährlichen beziehungsweise aggressiven übersehen. Wir suchen also tatsächlich nach Blicken Anderer.

Im Nachhinein wir mir klar, dass meine Reaktion auf den Blick der Mittfünfzigerin auch eine Schutzreaktion war. Ich wollte mir eine peinliche Situation ersparen, indem ich schnell überprüfe, ob mein Aussehen ok ist. Was aber nach wie vor eine ziemlich unsichere Reaktion ist. Unsicherheit bedeutet Selbstzweifel und die sind nur in den seltensten Fällen hilfreich – wenn überhaupt.

Kompliment vs. Kritik

Daran lässt sich aber arbeiten. Ich könnte zum Beispiel versuchen, harmlose Blicke einfach als solche hinzunehmen und zu ignorieren oder sie erstmal als Komplimente zu sehen, anstatt als Kritik. Wer sagt denn, dass der Mittfünfzigerin nicht einfach nur meine Jeans gefallen hat? Mir gefällt sie ja auch, sonst hätte ich sie schließlich nicht gekauft. Was aber, wenn die Anderen einmal wirklich starren, weil man sich beim Augenreiben die Mascara einmal quer über die Wange geschmiert hat? Tja, dann hilft nur eines: Sich bewusstmachen, dass die anderen auch nur Menschen sind und denen so was bestimmt auch schon mal passiert ist. Ach ja, und die Mascara schnellstmöglich abzuwaschen, wäre in dem Fall auch eine gute Reaktion.