Plus-Size-Models als Vorbilder: Liebe dich selbst, egal welche Figur du hast.

Britt Aboutaleb
Leitende Redakteurin

„Wie schafft man es, sich nicht nur immer wieder vorzusagen, dass man sich selbst liebt, sondern es auch tatsächlich zu glauben?“ Eine ungefähr 12-jährige Camperin scheut sich in der zur Aula umfunktionierten Blockhütte im Pocono Trails Ferienlager nicht vor schwierigen Fragen. Ihre interessante Frage ist an die Models auf der Bühne gerichtet, die den rund 250 Mädchen im Raum gerade eine Stunde lang versichertet hatten, dass sie schön und liebenswert sind und Großes erreichen können – obwohl sich alle in diesem Raum befinden, weil ihre Eltern sie hierher geschickt haben: in ein Camp für übergewichtige Kinder.

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Die Models Marquita Pring, Ashley Graham und Jenn Maitland im Camp Pocono Trails. Foto: Anastasia Garcia

Das Pocono Trails Ferienlager präsentiert sich als Camp mit neuem Image: als sicherer Ort, an dem sich Kinder, die während des Schuljahrs schikaniert und gehänselt werden und immer wieder „Du hast so ein hübsches Gesicht!“ zu hören bekommen, treffen und wie alle anderen sein können – was während der Pubertät doch das universelle Ziel ist. Sie leihen sich Klamotten von ihren Freunden aus, flirten mit den Jungs und reißen sich nach dem Zumba gerne ihr Shirt vom Leib. All das – zusammen mit Gewichtskontrollen, Ernährungskursen und einer genau überwachten Kalorienzufuhr – garantiert, dass die Camper einige Pfunde leichter nach Hause kommen. Doch Tony Sparber, der Inhaber und Direktor des Ferienlagers, sagt, dass das echte Ziel seines Ferienlagers nicht das Abnehmen ist: die Kinder sollen lernen, sich selbst zu lieben.

Und genau deshalb sind die Models hier.

„Ich habe vielleicht 7 kg verloren und wurde selbstbewusster, ich war komplett verändert“, sagt die 25-jährige Maxey Greene, eine ehemalige Teilnehmerin des Ferienlagers, die später zur Betreuerin wurde. Es war eine besonders emotionale Präsentation der MTV-Dokumentation Fat Camp aus dem Jahr 2006 (die hier in Pocono Trails gefilmt wurde), die Greene dazu brachte, ihre Eltern um einen Sommer im Ferienlager zu bitten. „Ich dachte mir: ‚Ich möchte mein Leben verändern. Ich fühle mich ungesund und bin nicht mit mir selbst zufrieden‘“. Sie brachte das nötige Geld auf, fuhr von New Jersey nach Pennsylvania und begann ihren neuen Weg. „Ich verließ das Ferienlager so glücklich, ich fühlte mich mit mir selbst im Reinen. Die Zeit von 17 bis 18 Jahren ist sehr wichtig im Leben und man lernt automatisch sehr viel über sich selbst – mich hier selbst zu entdecken war ein echter Segen.“

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Das Model Julie Henderson unterhält sich mit Campern im Camp Pocono Trails. Foto: Anastasia Garcia

Greene, deren Modelkarriere gerade ihren Anfang nimmt, ist eine Ausnahme. Die meisten Mädchen, zwischen 7 und 21 Jahre alt, sind nicht freiwillig hier. Deshalb steht auch das Selbstbewusstsein, das das Ferienlager zu verleihen versucht, in verwirrendem Kontext. Du bist schön, so wie du bist – aber jetzt steig bitte auf die Waage.

Deshalb kontaktierte Greene im Jahr 2014 das Model Ashley Graham per Facebook und bat sie, zu einem Gespräch mit den Campern zu kommen. Graham könnte als Übergrößenmodel bezeichnet werden (sie und ihre Kolleginnen bevorzugen „kurvig“), sie interessiert sich allerdings nicht für Kennzeichnungen. Für eine 27-jährige Frau, die bis Mitte 2015 bereits in einem Bikini auf der Bademodenausgabe von Sports Illustrated zu sehen war, eine Unterwäschelinie herausbrachte und deren TEDx Rede sich viral verbreitete, gibt es auch keine adäquate Bezeichnung. Graham, die eine TV-Show mit dem Titel CurvyFitClub plant und auf gutem Wege ist, Motivationsrednerin zu werden, sagte Greene zu. Und deshalb ist sie jetzt hier, auf der Bühne.

Wie lernte Graham also, sich selbst zu lieben? Sie erzählt, dass sie nach New York übersiedelte, 9 Kilogramm zunahm und die Frau hasste, die sie im Spiegel sah. „Du bist so hässlich, du bist so fett, das ist so eklig“, war praktisch zu ihrem Mantra geworden. Geringes Selbstbewusstsein führte zu knapper Kleidung, schlechten Beziehungen und einem unstillbaren Hunger nach Aufmerksamkeit und Wertschätzung. „Es war ziemlich krass“, erzählt sie den gespannten Zuhörerinnen. „Doch eines Tages wurde mir alles klar. Ich sagte: ‚Was mache ich eigentlich? Meine Mutter hat mich so nicht erzogen. Meine Tante hat mich so nicht erzogen.‘“ Sie begann, in den Spiegel zu schauen und sich selbst zu sagen: „Ich bin schön und ich habe einen tollen Körper“.

Graham sagt: „In den ersten Monaten habe ich es nicht geglaubt. Ich hatte aber in einem Buch gelesen, dass es irgendwann passieren würde, wenn ich mich nur jeden Tag im Spiegel ansehe, es sage und auch glaube. Ich begann, meinen Körper zu lieben. Ich begann zu trainieren und mich um mich selbst zu kümmern. Ich trickste mich nicht selbst aus, ich sagte mir: ‚Die Situation verändert sich, du bist schön, du bist es dir wert’. Kein Mann, kein Job, keine Freunde werden mir sagen, wer ich bin – ich werde mir sagen, wer ich bin“.

Graham steht mit sechs weiteren Models auf der Bühne, von denen die meisten Teil der Initiative ALDA sind und bei IMG unter Vertrag stehen (genau wie Kate Moss und Gisele Bündchen), seit Ford seine Übergrößenabteilung im Jahr 2013 geschlossen hatte. „Uns wurde bewusst, dass Zusammenarbeit notwendig ist. Wir dachten: ‚Wir können das stoppen, wir müssen zusammenhalten und sehen, was wir erreichen können‘“, sagte Marquita Pring, die für Jean Paul Gaultier über den Laufsteg schritt, für Levi’s posierte und die Seiten der italienischen Vogue zierte. „Ab diesem Zeitpunkt entschieden wir uns, auf junge Mädchen zuzugehen und ihnen beizubringen, sich selbst zu lieben und zu stärken… das ist erst der Anfang“.

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Model Marquita Pring hat im Camp Pocono Trails jede Menge Spaß. Foto: Anastasia Garcia

Lauren, 17, hat das Ferienlager in den letzten sechs Sommern besucht. Sie sagt, dass sie ihre Eltern zuerst zur Teilnahme zwangen. „Ich hatte das Gefühl, wieder hier zu sein, da ich so fett war“ – doch sie blieb für ihre Freunde, was die verschiedenen Körperformen im Ferienlager erklärt: schlaksig, sportlich, etwas mollig, eine Handvoll Kinder sind vielleicht tatsächlich adipös. „Wir kommen immer wieder her, um uns gegenseitig zu unterstützen“, fügt sie hinzu.

Greene ist für den 16. Geburtstag einer Camperin nach Florida gereist, die Mädchen senden sich laufend Gruppen-SMS und über Instagram nehmen sie das ganze Jahr am Leben der anderen teil. Ihre Freunde waren der Grund, dass sie so weit gekommen sind, ein Mädchen nach dem anderen sagte uns aber, dass die Models ihr Selbstbewusstsein auf eine noch nie dagewesene Weise stärkten, wodurch sie diese Phase ihres Lebens besser vorbereitet beginnen. „Menschen mit dem gleichen Körperbau zu sehen, zeigt dir, dass man im Leben nicht schlank sein muss, um dazuzugehören“, sagt Lauren.

Die Zukunft, die die Mädchen in Frauen wie Graham und Pring sehen, wäre für jeden Teenager beruhigend – unabhängig von der Körperform oder dem Gewicht. „Es ist schwierig, eine Karriere [in der Modebranche] aufzubauen, doch diese Frauen haben mir gezeigt, dass es mehr als ein Möglichkeit gibt, gutes Aussehen und ein Gefühl der Schönheit in mein Leben zu integrieren“, sagt Jamie, 16. Ihre Freundin Julia, ebenfalls 16 und aus Florida, sagt, dass sie weinte, nachdem alle Models ihre Geschichten erzählt hatten. „Ich konnte sie so gut nachempfinden”, sagt sie. „Die Tatsache, dass sie Übergrößenmodel genannt werden, ist schrecklich. Sie sehen wie normale Menschen aus, die man überall sieht – wie normale Models!“

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Die Models Marquita Pring, Ashley Graham und Jenn Maitland im Camp Pocono Trails. Foto: Anastasia Garcia

Sie sind allerdings keine normalen Models – das liegt aber nicht daran, dass sie keine Badeanzüge der Größe 0 anziehen, um mit den Campern Jetski zu fahren. Dass Models so glücklich – und gut gelaunt – sind, hat diese erfahrene Modeljournalistin bei sogenannten „normalen“ Models im Backstagebereich oder am Set noch nie gesehen. „Denken Sie darüber nach, wie stark sich ihre Welt von der unseren unterscheidet“, sagt Pring. „Uns sagt niemand ständig, dass wir nicht gut genug sind“.

Bernadette Vajda, eine energiegeladene Rothaarige aus Ungarn, die angibt, von John Travolta entdeckt worden zu sein, bestätigt das. „Ich albere mit den dünnen Models, meinen Freundinnen, die Normalgrößen tragen, herum. Sie kritisieren ihre Körper ständig und sagen: „Wie kannst du so selbstbewusst sein?“

Vielleicht kommt dieses Selbstbewusstsein ja von einem eingebauten Unterstützungssystem wie jenem, das Lauren, Jamie und Julie während ihrer Sommer in Pocono Trails fanden. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie mehr an ihrer eigenen körperlichen und emotionalen Gesundheit interessiert sind, als dem zu entsprechen, was in der Modewelt als „Sample Size“ bezeichnet wird. Egal, was der Grund dafür ist, ich kann Ihnen versprechen, dass diese Frauen Sie motivieren werden – egal, ob sie ihren Einfluss auf die Mädchen von der Bühne, über ein Magazin oder sogar über ihre Instagram-Konten ausüben.

Sie nutzen ihre einflussreichen, öffentlichen Positionen als Ausgangspunkt, um die Welt zu verändern und – falls der Plan aufgeht – zu einem Ort zu machen, an dem sich Frauen innerlich und äußerlich lieben – nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Realität.