Ist Grünkohl wirklich giftig?

Jenna Birch
Co-Autorin

In den letzten zehn Jahren ist Grünkohl ohne Zweifel zu einem der beliebtesten Super-Nahrungsmittel der Amerikaner geworden. Von Salaten über Chips bis hin zu Säften, Grünkohl ist in den meisten unserer super-gesunden Nahrungsmittel enthalten. Er ist kalorienarm und reich an wichtigen Nährstoffen wie Vitamin K, Calcium, Magnesium und Kalium. Also wirklich, warum sollten wir ihn nicht lieben?

Laut neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die in einem Artikel der Zeitschrift „Craftsmanship“ näher beleuchtet wurden, ist die Antwort auf diese Frage eindeutig: Schwermetalle, namentlich Thallium. Autor Todd Oppenheimer porträtiert einen Molekularbiologen und Alternativmediziner, der eine Gefahr im Zusammenhang mit dem Verzehr von Grünkohl und anderem Kohlgemüse entdeckt haben will.

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Ein Molekularbiologie erklärte in einem Artikel in einer Fachzeitschrift Grünkohl für „giftig“ und diese Nachricht macht jetzt Schlagzeilen. Experten beurteilen nun, ob wir darauf hören sollten. (Foto: Getty Images)

Der Arzt Ernie Hubbard hat normalerweise mit Patienten zu tun, die einige von uns zutiefst beschämen würden: „Gesundheitsfanatiker.“ Sie trinken kaum Alkohol, sie rauchen nicht oder nehmen keine Drogen, sie machen häufig Sport und ernähren sich bei Weitem gesünder, als der Durchschnittsamerikaner. Und doch leiden sie unter chronischen Problemen wie Müdigkeit, Herzrhythmusstörungen, Nervenstörungen, kognitiven Dysfunktionen (so genannter „Brain Fog“), Verdauungs- und Hautproblemen.

Molekularbiologe Hubbard wurde gebeten, die zugrundeliegenden Ursachen für die Probleme seiner Patienten mit Hilfe des neuen Entgiftungs-Programms namens „ZNatural“, eines Unternehmens aus Cleveland, zu untersuchen. Und siehe da, während des Programms schien sich der Zustand seiner Patienten dramatisch zu verbessern – allerdings wurden sie auch positiv auf Schwermetalle, speziell Thallium und Cäsium, getestet.

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(Foto: Getty Images)

Huch, dachte zuerst. Erst nach mehreren Testergebnissen war sich Hubbard sicher, dass es sich dabei nicht um einen Zufall handelt. Nach etwas Recherche fand er Forschungsergebnisse, die seine Laborergebnisse bestätigten: Eine von Experten überprüfte tschechische Studie von 2006 kam zu dem Ergebnis, dass Kohlgemüse, ganz besonders aber Grünkohl, scheinbar so genannte „Hyperakkulumatoren“ von Thallium sind.

Und das ist nicht das einzige Forschungsergebnis. Wie Mother Jones hervorhebt, weist auch eine chinesische Studie von 2013 darauf hin, dass Grünkohl Thallium aus dem Boden aufnimmt – und zwar so extrem, dass aktuellsten chinesischen Forschungsergebnissen von 2015 nach Grünkohl sogar als reinigender Filter für toxische Böden eingesetzt werden kann.

Geringe Mengen an Schwermetallen sind wichtig für den Körper und dessen Funktionen. Aber in höherer Dosierung wirken sie giftig, was verschiedenste Symptome in verschiedenen Schweregraden auslösen kann. An Hubbards Patienten konnten einige Symptome für die Aufnahme von zu viel Thallium festgestellt werden, wie etwa Bauchschmerzen, Brechreiz, Haarverlust, Verwirrtheit, Augenprobleme oder sogar Koma.

Nun nimmt die Geschichte um ein sehr gefährliches Nahrungsmittel, das als gesund angesehen wird, Fahrt auf. Sollten Sie sich Sorgen machen, wenn Sie gerne Grünkohl essen? Die folgenden Dinge sollten Sie beachten.

Die Schwermetalle liegen im Boden

Die registrierte Ernährungsberaterin Keri Gans, Autorin des Buches „The Small Change Diet“, betont, dass in der bisherigen Forschung nicht der Grünkohl der Übeltäter voller Schwermetalle ist. „Man kann nicht davon ausgehen, dass man beim Genuss von Grünkohl oder anderen dunkelgrünen Blattgemüsesorten Thallium aufnimmt“, erklärt sie gegenüber Yahoo Health. „Die Schwermetalle sind im Boden und nicht im Grünkohl selbst.“

Und wie genau gelangen diese Metalle in den Boden? Darüber kann man nur spekulieren – die Werte schwanken signifikant, je nachdem, wo der Grünkohl angebaut wird. Nach Oppenheimers Bericht über die Region Marin County in Kalifornien, kommen die Metalle wahrscheinlich aus „nahen Zementfabriken, Ölbohrungen, Verhüttung, und natürlich vor allem aus der Asche, die beim Verbrennen von Kohle entsteht.“

Denken Sie beim Genuss von Grünkohl und anderem Kohlgemüse daran, was Sie im Gegenzug an Nährstoffen zurückbekommen – „die Vitamine K, A und C, Calcium, Kalium und Folate“, so Gans. Dunkles Blattgemüse zählt in verschiedenen bekannten Diäten, wie zum Beispiel der DASH-Diät, zu den Grundnahrungsmitteln und wird langsam zu einem festen Bestandteil von Diäten, mit denen eine langfristige geistige Fitness erreicht werden soll. Also…

Kein Grund zur Panik

Zuallererst sei gesagt, dass es so gut wie keine Forschungsergebnisse zu Kohlgemüse und Schwermetallen gibt, geschweige denn speziell zu Grünkohl und Schwermetallen. „Giftiger Grünkohl“ schaffte es nur durch die Erwähnung eines einzigen Molekularwissenschaftlers in einen einzigen Artikel in die Schlagzeilen – auch wenn Hubbards Ergebnisse vielleicht bei künftigen Studien weitere Beachtung finden werden, wie Ernährungswissenschaftlerin Dr. Jennifer Warren, medizinische Direktorin am „Physicians Healthy Weight Center“, sagt.

„[Hubbards] Medizinische ‚Schätzungen‘ und unwissenschaftliche Beobachtungen liefern keinen Grund zur Panik“, so Warren gegenüber Yahoo Health. „Hat er ein echtes, bisher unbekanntes Problem entdeckt? Kann sein. Aber bisher wurde es nicht klar wissenschaftlich dargestellt, daher würde ich jedem davon abraten aufgrund von wilden Theorien oder einer vorläufigen Beobachtung seine Ernährung umzustellen. Voreilige Schlüsse zu ziehen ist niemals gut.“

Schlussfolgerungen, nach denen speziell Grünkohl der „Feind“ ist, sind besonders abwegig. Grünkohl mag nur der Aufhänger für diesen Artikel sein, da wir in einer gesundheitsbewussten Kultur leben, die dieses vielfältige Superfood in so vielen Formen kennt – von Grünkohl-Chips als Snack über Grünkohl in unserem morgendlichen Saft bis hin zu gedünstetem Grünkohl beim Abendessen.

Grünkohl ist nicht die einzige Gemüsesorte, die wahrscheinlich Schwermetalle wie Thallium enthält. Frühere Studien zeigen, dass es auch in anderen Blattgemüse-Sorten enthalten ist. Denken Sie nur: Pak Choi, Spinat, Kohl, Senf oder Blattkohlsorten – aber selbst das bedeutet noch lange nicht, dass diese Stoffe in Ihrem Gemüse enthalten sind.

Ein Beispiel: Eine japanische Studie von 2001 im „Journal of Plant Nutrition“ fand Thallium in vielen Sorten der Familie der Kreuzblütler, wie etwa Erbsen, Spinat und grünen Bohnen, die höchsten Werte erreichten Wasserkresse, Rettich, Rüben und Weißkohl. Grünkohl? Wurde nicht erwähnt. Also lassen Sie uns den Grünkohl mal nicht so schnell abschreiben.

Grünkohl wurde außerdem beschuldigt, Krankheiten wie eine Schilddrüsenunterfunktion oder Nierensteine auszulösen, was aber nicht klar bewiesen wurde. Auch wenn Sie mit einer Schilddrüsenunterfunktion womöglich ihren Verzehr von Grünkohl und Blattgemüse im Auge behalten sollten, verweist Warren auf den Rat des Endokrinologen Dr. Jeffrey Garber von der Harvard University, den dieser gab, als Grünkohl deswegen ins Gerede kam.

Es stimmt schon, dass Grünkohl und Blattgemüse schlussendlich die Bildung des Schilddrüsenhormons stören können und die Aufnahme von Iod verhindern. Aber als Jeffrey Garber 2014 nach Jennifer Bermans Artikel in der New York Times zu der aufkommenden Grünkohl- und Schilddrüsenunterfunktions-Diskussion befragt wurde, war seine Antwort einfach: „Ich denke das wird überschätzt.“

Garber zufolge ist es „theoretisch“ möglich, dass Grünkohl krank machen könnte, „aber das wäre sehr ungewöhnlich.“ Solange Sie keine sehr große Menge dieses Gemüses essen, oder in einem Land leben, in dem Iod-Mangel verbreitet ist, dann werden Sie keine Probleme haben.

„Was die Diskussion um Grünkohl und Nierensteine angeht, so ist das eine sehr vereinfachte Darstellung des Ganzen“, so Warren. „Es gibt viele Arten von Nierensteinen mit unterschiedlichsten Ursachen.“

In der Vergangenheit wurden Patienten, die bereits Nierensteine hatten, darauf hingewiesen, ihre Kalziumaufnahme zu begrenzen, was gerade in Blattgemüse in Mengen vorkommt. Allerdings beweist die Wissenschaft laut Warren, dass gerade die empfohlene Tagesmenge an Calcium der beste Schutz gegen eine erneute Nierenstein-Bildung ist, daher sollte die Aufnahme dieses Minerals nicht streng begrenzt sein.

Also: Mit ein bisschen Grünkohl sind Sie auf der sicheren Seite. Aber richtig viel Grünkohl? Jetzt sind wir wieder beim Thema, lassen Sie uns darüber reden.

Wie viel Grünkohl essen Sie eigentlich?

Es ist also eine wichtige Frage, wie viel Grünkohl oder andere dunkle Blattgemüse ein Mensch zu sich nimmt. Und welche Menge könnte genügen, um Symptome auszulösen? Nun, vielleicht ganz schön viel. Viel mehr, als die meisten von uns essen können.

Eine Frau, die im Oppenheimer-Artikel zitiert wird, gibt offen zu „in einer unfassbar guten Form zu sein“, aber auch unfassbar besessen von Grün- und Weißkohl zu sein. „Ich mache mit meinen Kunden darüber Witze, dass ich die Kohl-Königin bin“, sagt sie.

Dieser massenhafte Verzehr von Grün- und Weißkohl könnte nicht nur der Grund für extrem hohe Thallium-Werte sein, es ist auch keine gute Idee, sich auf ein Nahrungsmittel zu konzentrieren und in den „Overkill“-Modus zu geraten, sprich ins Übermaß. Trotz der gesundheitlichen Vorteile der Blattgemüse, so Gans, könnte diese Art der super-gesunden Ernährung schnell zu einer Essstörung oder Orthorexie führen, eine Krankheit bei der der Patient darauf fokussiert ist, nur Dinge zu essen, die als besonders nährstoffreich gelten.

Man kann wirklich zu viel haben – in mehr als einer Bedeutung. Sämtliche Entscheidungen bei einer Diät sollten immer die gesamte Gesundheit in Betracht ziehen. So kann etwa der übermäßige Verzehr von dunklem Blattgemüse auch einen Vitamin K-Überschuss hervorrufen. An sich ist das Vitamin für die Blutgerinnung verantwortlich – eine Überdosis kann diesen Prozess aber auch behindern, erklärt Bonnie Taub-Dix, registrierte Ernährungsberaterin und Autorin des Blogs Better Than Dieting.

„Wenn sie viel Grünkohl und andere dunkle Blattgemüse essen, dann mache ich mir immer Sorgen um die Blutgerinnung meiner Patienten“, erklärt Taub-Dix gegenüber Yahoo Health. „Gerade bei Menschen, die bereits blutverdünnende Medikamente nehmen oder Nahrungsergänzungsmittel mit extra Vitamin K nehmen, zum Beipiel de, die Ginko Biloba oder Vitamin E enthalten.“

Taub-Dix beobachtet bei vielen ihrer Patienten die „Etwas ist gut, mehr ist besser“-Mentalität, die der falsche Ansatz ist. „Die Menschen begreifen nicht, dass Nahrung mächtige Eigenschaften hat“, erklärt sie. „Wenn sie viel grünes Blattgemüse mit Vitamin K essen und es außerdem in Ihren Nahrungsergänzungsmitteln enthalten ist, dann würde ich mir über den Blutfluss Gedanken machen, wenn sie sich etwa selbst in den Finger schneiden oder wenn eine Operation ansteht.“ Sprechen Sie am besten stets mit einem Arzt über alle Medikamente und Ergänzungsmittel, die Sie nehmen.

Laut Gans gilt vor allem der Grundsatz: Bringen Sie Abwechslung in Ihre Ernährung. „Essen Sie immer viele verschiedene Dinge“, sagt sie. „Je abwechslungsreicher Sie essen, desto mehr Nährstoffe nehmen Sie auf. Verteufeln Sie kein Nahrungsmittel und vergöttern Sie kein anderes. Jedes Nahrungsmittel ist wichtig, und wenn Sie sich auf eines konzentrieren, dann bekommen Sie von einem anderen vielleicht nicht genug.“

Also achten Sie darauf, was Sie wie oft essen. Behalten Sie Grünkohl und anderes Kohlgemüse im Auge, denn es gibt immer neue Forschungsergebnisse – aber streichen Sie sie nicht von ihrem Ernährungsplan, sagt Gans. Wenn Sie sich um die Wirkung von bestimmten Nahrungsmitteln sorgen machen, dann sprechen Sie mit Ihrem Arzt.

Schlussendlich? „Die guten Seiten des Verzehrs von dunklem Blattgemüse überwiegen bei weitem die Vermutung, dass man Thallium zu sich nimmt“, sagt Gans, die besorgten Spekulationen sind also noch lange nicht bestätigt.

Gans sagt außerdem, dass drei bis fünf Portionen Gemüse täglich die empfohlene Menge sind. Variieren Sie dabei und Sie bleiben gut in Form – für die meisten ist dieses Superfood wahrscheinlich nach wie vor ein tolles Nahrungsmittel, das wichtige Nährstoffe liefert.