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Disability Pride Month: Mit Behinderung? Mit Stolz

“Wissen wir hier in Deutschland überhaupt, dass #DisabilityPrideMonth ist?”, fragt auf Twitter die Userin Rollifräulein. Tatsächlich dürfte das den wenigsten bekannt sein, obwohl gleichzeitig viele vermutlich solch einen Monat begrüßen würden.

Die Disability Pride Parade 2015 in New York (Bild: Reuters/Eduardo Munoz)
Die Disability Pride Parade 2015 in New York (Bild: Reuters/Eduardo Munoz)

In Großbritannien gibt es bereits den UK Disability History Month, der jährlich vom 18. November bis 18. Dezember stattfindet. In den USA ist in Erinnerung an den Jahrestag des Gleichbehandlungsgesetzes von Menschen mit Behinderung von 1990 (Americans with Disabilities Act - kurz: ADA) der Juli der Monat, der dem Feiern und dem Empowerment von Menschen mit Behinderungen gewidmet ist.

Wie sieht es hier zulande aus? Im deutschsprachigen Raum gibt es seit 2013 die “Behindert und verrückt feiern Pride Parade”, die normalerweise ebenfalls im Juli in Berlin stattfindet, 2020 jedoch aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt wurde. Sven Drebes und Friederike Jonah Reher von der “Behindert und verrückt feiern Pride Parade” wollen sich schon durch die Wahl des Namen diese Begriffe positiv aneignen und betonen, dass “über Jahrhunderte behinderte und verrückte Menschen ebenfalls in ihren Familien zu Hause versteckt wurden, in Heime und Anstalten abgeschoben, eingesperrt, ausgegrenzt, ausgebeutet und erniedrigt wurden. Auch heute werden sie längst nicht von allen als gleichwertiger Teil der Gesellschaft betrachtet. Deshalb kostet es so manche schon im Alltag einiges an Überwindung, das Haus zu verlassen. Selbstbewusst zu dem zu stehen, was man ist und das gar noch zu feiern, ist für behinderte und verrückte Menschen also alles andere als selbstverständlich. Außer dem Setzen eines politischen Zeichens geht es also auch um Empowerment. Deshalb ist der Disability Pride Month für uns wichtig.”

Yahoo Style Deutschland hat Menschen mit Behinderungen über die Bedeutung des Disability Pride Month gefragt. Was belastet sie? Was erhoffen sie sich von diesem Monat? Was wünschen sie sich für die Zukunft?

Hier folgen ihre Statements:

“Erst einmal habe ich ein Handicap, denn das Wort ‘Behinderung’ ist leider immer noch negativ konnotiert. Menschen mit Behinderungen wird immer noch mit Vorurteilen begegnet. Sobald mein gegenüber weiß, dass ich eine Behinderung habe, nimmt man mich nicht mehr so ernst. Manche Menschen sind hilfsbereit, wenn ich Unterstützung benötige. Andere gehen auf Abstand. Weil ich ein Mann mit einer Behinderung und einem türkischem Migrationshintergrund bin? Man sollte aber allen Menschen gegenüber gleichermaßen hilfsbereit begegnen. Ich hoffe, solch ein Monat trägt dazu bei.”

Volkan G.

“Der Disability Pride Month ist für mich gleichzeitig ein fröhlicher und schöner Anlass, als auch ein sehr politischer. Der ADA (Americans with Disabilities Act), zu dessen Jubiläum der Disability Pride Month ausgerufen wurde, ist viel allumfassender und fortschrittlicher als alles, was wir aktuell in Deutschland für die Rechte und Gleichstellung von Menschen mit Behinderung tun. Ich wünsche mir, dass Behinderung auch hier ein so politisch-gesellschaftliches Thema in der Masse werden würde, als das medizinische und fürsorgliche Thema, das es leider immer noch ist. Aktuell haben wir das in der Diskussion ums Intensivpflegegesetz gesehen. Es wäre toll, wenn wir so einen Monat der Aufmerksamkeit auch hier etablieren könnten.”

Ninia La Grande (twitter.com/NiniaLaGrande)

“Disability Pride Month ist von Bedeutung für mich, da Behinderung sehr negativ angesehen wird und mit unglaublich vielen Vorurteilen behaftet ist. Ich werde oft damit konfrontiert, dass Behinderung als das schlimmste, was einem passieren kann, gesehen wird und automatisch erwartet wird, dass ich meine Behinderung hassen muss. Ich bin stolz darauf, so zu sein, wie ich bin und meine Behinderung gehört dazu und hat mich und meine Erfahrungen schon immer geprägt. Einen Pride Month zu haben, in dem wir nach außen tragen können, dass wir gut sind so wie wir sind und dass Behinderung nichts ist, für das man sich schämen muss, setzt ein Zeichen. Einerseits für nicht-behinderte Menschen, die uns mit vielen Vorurteilen begegnen und andererseits behinderte Menschen, die noch lernen, sich so zu akzeptieren, wie sie sind. Diskriminierung gegen behinderte Menschen in verschiedensten Formen ist leider für uns alltäglich und ein Pride Month ist ein weiterer Schritt, um uns dagegen zu positionieren. Ich würde mir wünschen, dass der Disablility Pride Month hier in Deutschland mehr angesehen wäre und mehr zu dem Thema passieren würde, gerade da das Thema Ableismus und Behinderung allgegenwärtig ist, aber trotzdem kaum beachtet wird.”

Paula Stübs

“Durch meine Epilepsie habe ich einen Grad der Behinderung von fünfzig. Im Alltag bin ich in der Regel uneingeschränkt. Was mich allerdings einschränkt, sind die Stereotypen, die um Menschen mit Behinderungen existieren - gerade bei nicht-sichtbaren Krankheiten. Umso wichtiger ist daher der Monat, der Marginalisierten eine Stimme gibt und Barrieren - im wahrsten Sinn - abbaut.”

Anonym

“Der Disability Pride Month kam vielleicht noch nie zu einem passenderen Zeitpunkt als während einer globalen Pandemie, die von den meisten nicht be_hinderten Personen scheinbar schon wieder vergessen wurde. Und es hat nicht erst diese Pandemie benötigt, um sichtbar zu machen, wie stark verankert ableistische Strukturen sind, als wie wenig lebenswert be_hinderte Leben gelten und dass das einzige, was die meisten Menschen für uns übrig haben, Mitleid ist. Aber ich will euer Mitleid nicht: ich will gehört werden, ich will, dass be_hinderte Personen mit ihren komplexen Lebensrealitäten ernst genommen werden.”

Kiara

“Ich wünsche mir mehr Sichtbarkeit von behinderten Menschen in Deutschland, die mehrfach Diskriminierungen erfahren, wie z.B. durch eine BPoC- oder PoC-Perspektive, Queer-, Trans*perspektive, muslimische, jüdische Perspektive. Ich kenne kaum behinderte Personen mit diesen Merkmalen. Ich wünsche mir, dass innerhalb der Behinderten Community auch intersektional gedacht wird und wir vor allem diese Personen an den Tisch bekommen, um auf ihre Lebensrealitäten aufmerksam zu machen.”

Kübra Sekin (instagram.com/iamkubra_)

“Die Welt im Rollstuhl ist auch 2020 noch voller Barrieren, es hilft uns daher nicht, darüber zu sprechen, was schon alles getan wurde. Bordsteine sind zu oft nicht abgesenkt, Rampen zu steil, Türen zu eng (das sage ich als Mann mit 68 kg). Auf Konzerten, im Kino, auf Veranstaltungen kann ich nur selten neben meiner Lebensgefährtin sitzen, so wie andere Paare, sie sitzt vor oder hinter mir. Automaten sind zu hoch. In Zügen kann man nur vor dem oft defekten WC sitzen, auch hier benötigt es Hilfe beim Einstieg. Tische sind oft zu niedrig, so dass ich mit den Knien an die Unterkante stoße, die Restaurants so eng gestellt, dass ich kaum manövrieren kann. Die Anzahl der Schwerbehindertenparkplätze ist gelinde gesagt ein Scherz. Steht jemand unberechtigt dort, wird nicht abgeschleppt, sondern ein Ticket ausgestellt – das tut der Person nicht weh und hilft uns Betroffenen nicht. Ich bin nicht der Typ Mensch, der sich darüber im Allgemeinen beklagt, weil es mir gut geht. Ich bin privilegiert, im Alltag integriert, verdiene gutes Geld, habe eine tolle Frau an meiner Seite, die meine Schlachten schlägt. Ich bin dennoch emphatisch genug um zu sehen, wie viele darunter leiden, weil der Alltag voller Hürden ist sie und vielleicht von ihren Eltern nicht so stark gemacht wurden, keine_n PartnerIn im Leben haben. Es muss noch so viel getan werden.”

Marvin (instagram.com/ruhrpottswanderlust)

Video: Wie Menschen mit Behinderung die Coronakrise erleben