(Don't) Believe the Hype: Marie Kondōs Aufräum-Methode
Wenn alle nur noch über ein Thema reden, beantwortet die neue Yahoo-Style-Kolumne “(Don’t) Believe the Hype” die unvermeidbare Frage: Ist der Hype gerechtfertigt oder nicht? Diesmal im Fokus: die viel gepriesene Aufräum-Methode von Marie Kondō.
Eine Kolumne von Carlos Corbelle
Sobald ich das Wort Ratgeberliteratur höre, werde ich skeptisch. Das Problem: Die Bücher geben oft vor, eine universelle Lösung für im Grunde individuelle Herausforderungen zu haben. So nach dem Motto: Selber Schuld, wenn du nicht längst steinreich bist – musst dich doch nur an diese zehn Schritte halten.
Ähnlich verhält es sich bei der Ratgeberliteratur der immer wieder als Ordnungsberaterin titulierten Marie Kondō, die in ihren Büchern die sogenannte “Konmari-Methode” etabliert hat. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um ein paar relativ simple Grundsätze, nach denen man sein Zuhause aufräumen soll. Es geht darum, sich von Zeug zu trennen, das man nicht mehr braucht und den Rest ordentlich einzuräumen. Viel mehr steckt eigentlich gar nicht dahinter. Trotzdem avancierte die 34-jährige Japanerin, die mittlerweile in Los Angeles lebt, zur Bestseller-Autorin und ist spätestens seit ihrer 2019 gestarteten Netflix-Show “Aufräumen mit Marie Kondo” einem weltweiten Publikum ein Begriff.
“Es ist, als wenn man einen Welpen hält”
Dank Kondō ist Aufräumen auf einmal total hip. Ein Blick in ihre Sendung zeigt aber schnell, warum das Ganze mit einer gehörigen Portion Skepsis zu genießen ist. In der ersten Folge etwa besucht sie ein junges Elternpaar mit zwei kleinen Kindern, die ein wenig mit der durchaus reduzierbaren, aber nicht gerade existentiell bedrohlichen Unordnung in ihrer Wohnung hadern. Um der mangelnden Dramatik ein wenig auf die Sprünge zu helfen, werden schon mal gerne die ansonsten recht entspannt wirkenden Kinder in tristen Schwarz-Weiß-Rückblenden heulend eingeblendet, wenn die mangelnde Ordnung zur Sprache kommt. Sprich: Persönliches bzw. familiäres Unglück und das klein bisschen Unordnung werden hier zum untrennbaren Kausalzusammenhang zwangsmontiert. And that’s what we call manipulativ.
Und es wird noch besser: In einem Zwischeneinspieler blickt Kondō freundlich lächelnd direkt in die Kamera und erklärt dem Zuschauer, also uns allen: “Kennen Sie das, wenn ein Glücksgefühl ausgelöst wird? Es ist, als wenn man einen Welpen hält oder sein Lieblingsoutfit trägt. Ein warmes, positives Gefühl. Da wird ein Glücksgefühl ausgelöst. Sicher gibt es Menschen, die das Gefühl nicht verstehen, aber keine Sorge”, und jetzt kommt’s: “Euer Gespür für Glücksgefühle wird besser, je länger ihr aufräumt.”
Nicht, dass wir uns missverstehen: Es ist absolut legitim, ein Faible für Ordnung zu haben. Jeder soll seine Wohnung so gestalten wie er will, ob nun nach einer bestimmten Methode oder im Free-Style-Verfahren. In Kondōs Worten äußert sich jedoch ein Gesamtheitsanspruch, der uns letztlich relativ unverblümt eintrichtert: Bist du nicht glücklich, kriegst du dein Leben also nicht auf die Reihe, liegt das im Grunde bloß daran, dass du nicht richtig aufgeräumt hast. Selber Schuld.
Hinter der vermeintlich befreienden “Konmari-Methode” zeichnet sich eine Haltung ab, die nicht nur esoterisch aufgeblasen wird (“Wenn man ein Stück loslässt, muss man ihm danken”, sagt Kondō beim Aussortieren der Klamotten), sondern Ordnung als eine Art der Selbstoptimierung begreift, die bis hin zum perfekt gefalteten Schlüpper reicht.
Dummerweise lässt sich das Leben aber nicht so einfach falten und fein säuberlich geordnet in Schubladen verstauen. Und das ist irgendwie auch ganz gut so.
Fazit: Don’t believe the Hype!
