Experten( )Wissen: Ernährung bei Kindern – sind säurehaltige Lebensmittel für Babys tabu?
Dr. med. Burkhard Rodeck, Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, Kindergastroenterologe und Neonatologe im Interview
Macht sauer wirklich lustig? Für die Erwachsenen ist es ein witziger Moment, wenn Babys oder kleine Kinder zum ersten Mal eine Zitrone probieren – aber ist das in diesem Alter unbedenklich? Ab wann Zitrusfrüchte auch für die Kleinen empfehlenswert sind und worauf grundsätzlich bei der Ernährung von Babys und Kindern geachtet werden sollte, haben wir im Interview mit unserem Experten Priv.-Doz. Dr. med. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), erfahren.
Stillen, Flasche, Beikost: Innerhalb der ersten zwölf Lebensmonate machen Kinder eine unglaubliche Entwicklung durch – nicht nur bei der Nahrungsaufnahme. Säuglinge benötigen eine spezielle Ernährung, denn Babys brauchen zum einen besonders viel Energie und Nährstoffe, zudem ist ihr Verdauungssystem noch nicht voll ausgereift.
Deshalb nehmen alle gesunden Babys in den ersten Monaten ausschließlich Milch zu sich – wenn möglich die ersten vier bis sechs Monate Muttermilch über das Stillen, so die Empfehlung. Wird das Kind mit der Flasche ernährt, sollte Pre-Milch gegeben werden – das Milchpulver kommt von der Zusammensetzung her der Muttermilch am nächsten, sie kann also im ganzen ersten Lebensjahr gegeben werden, später als Ergänzung zur Beikost.
Beikost: Wenn Babys Geschmäcker entdecken
Frühestens mit Beginn des fünften Monats und spätestens mit Beginn des siebten Monats werden die Milchmahlzeiten Schritt für Schritt verringert und durch Breimahlzeiten ersetzt. Meist zeigen die Kinder sehr deutlich, dass in ihnen das Interesse an anderen Lebensmitteln und dem Essen "der Großen" wächst.
Wie bei allem werden Eltern auch hier schnell merken: Jedes Kind ist anders – das eine probiert sich freudig durch Karotte, Pastinake und Co., das andere steht den neuen Geschmäckern und Konsistenzen eher skeptisch gegenüber. Hier ist Geduld gefragt, Eltern sollten sich selbst und den Kindern keinen Stress machen – Essen soll schließlich Spaß machen und ein Genuss sein!
Yahoo Life: Zugegeben, es sieht lustig aus, wenn ein Baby das erste Mal an einer Zitrone lutscht – und dann das Gesicht verzieht. Aber sind säurehaltige Lebensmittel wie Orange, Kiwi oder eben die Zitrone nicht zu aggressiv für kleine Kindermägen?
Priv.-Doz. Dr. med. Burkhard Rodeck: Zitrusfrüchte haben einen relativ hohen Anteil von Fruchtsäuren (organische Säuren, Hydroxy-, Di-, Tricarbonsäuren). Für den Kindermagen ist das kein Problem, jedoch führt ein hoher Gehalt zu einer schnelleren Darmpassage und flüssigeren Stühlen. Das kann für junge Kinder zu viel sein, unter anderem sind dann Hautreizungen um den Po möglich.
Ab wann dürfen Babys und Kinder Zitrusfrüchte und andere säurehaltige Lebensmittel bedenkenlos zu sich nehmen – gibt es hierbei ein Zuviel oder anderes, worauf man (bei der Zubereitung o.ä.) achten sollte?
Priv.-Doz. Dr. med. Burkhard Rodeck: Bis zum sechsten Lebensmonat sollten Kinder keine Zitrusfrüchte zu sich nehmen. Mit Einführung der Beikost können dann auch – zunächst in sehr geringen Mengen – Zitrusfrüchte angeboten werden, ab dem Alter von einem Jahr können die Kinder selbst entscheiden.
Viele Eltern kennen das: Die Kinder sind beim Essen sehr wählerisch. Nudeln, Reis oder Kartoffeln werden nur "blanco" verzehrt, Gemüse oder Obst wird verschmäht. Wie kann ich meinem Kind andere Lebensmittel schmackhaft machen – und: Muss ich mir Sorgen um Nährstoff- oder Vitaminmangel machen, wenn ich eine*n "picky eater" zu Hause habe?
Priv.-Doz. Dr. med. Burkhard Rodeck: Bis zu 20 Prozent der Kinder zeigen im Kleinkind-/frühem Schulkindalter ein ausgewähltes Essverhalten. Das kommt und geht innerhalb von relativ kurzen Zeitabständen, sodass ein Nährstoffmangel in der Regel nicht zu befürchten ist. Der kindliche Organismus verfügt über eine Art innere Steuerung, sodass Kinder sich das holen, was für sie notwendig ist. Im Umgang mit ausgewähltem Essverhalten gibt es wichtige Empfehlungen: Immer wieder unterschiedliche Nahrungsmittel anbieten, immer wieder probieren lassen. Ein einzelnes Nahrungsmittel muss immer wieder angeboten und probiert werden. Das Kind kommt meist mit der Zeit "schon auf den Geschmack" und das Ganze ohne Druck. Machen Sie Essen nicht zum alles beherrschenden Thema in der Familie – Essen an sich und die Esssituation sollte attraktiv gestaltet werden.
Auf der Webseite der DGKJ sind auch politische Forderungen für eine gesunde Ernährung für Kinder zusammengefasst – Zucker, vor allem auch versteckter Zucker, und andere ungünstige Lebensmittel stehen hierbei natürlich stark im Fokus. Auf welche Inhaltsstoffe oder Lebensmittel sollten Eltern am besten verzichten?
Priv.-Doz. Dr. med. Burkhard Rodeck: Ein absoluter Verzicht ist nicht das Ziel, sondern ein verantwortungsvoller und maßvoller Umgang mit allen Arten von Zucker (hier allerdings Verzicht gezuckerte Fertiggetränke als Durstlöscher), Salz und Fett.
Sie sprechen auch das Thema Ernährungskompetenz an und möchten die Maßnahmen ausbauen, die Kindern beibringen sollen, wie man sich ausgewogen ernährt. Sollte Ihrer Meinung nach Aufklärung nicht auch bei Erwachsenen und Eltern mehr Gewicht haben?
Priv.-Doz. Dr. med. Burkhard Rodeck: Aufklärungsangebote an Erwachsenen bzw. Eltern gibt es zuhauf. Sie werden von denen genutzt, die Interesse am Thema haben. Wichtiger ist es, diejenigen zu erreichen, die primär kein Interesse haben. Das ist dann ungleich schwieriger, da diese kaum niederschwellig erreicht werden können. Auf Kinder können wir in Gemeinschaftseinrichtungen (Kita, Schule) im Sinne von Verhaltensprävention einwirken. Insoweit wäre die Integration des Kompetenzerwerbs von Ernährungs- und Gesundheitsthemen in diesen Einrichtungen ein richtiger und wichtiger Schritt. Grundsätzlich ist es aber absolut richtig, dass die mangelnde Ernährungskompetenz und Gesundheitskompetenz in unserer Gesellschaft auch bei Erwachsenen aktiv angegangen werden sollte.
Unser Experte: Priv.-Doz. Dr. med. Burkhard Rodeck ist Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, Kindergastroenterologe und Neonatologe, seit 2018 Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ), stellvertretender Vorsitzender der BAG Gesundheit und Frühe Hilfen sowie im Vorstand des Beirates des Nationalen Zentrums für Frühe Hilfen (NZFH). "Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft, in der fast 20.000 Kinder- und Jugendärzte organisiert sind. Prävention spielt in unserem klinischen und ambulanten Alltag eine wichtige und unverzichtbare Rolle. Neben der individuellen Verhaltensprävention mit Förderung entsprechender Maßnahmen muss der Staat die politischen Rahmenbedingungen schaffen für optimale Aufwachs-/Umgebungsbedingungen im Sinne einer optimalen Verhältnisprävention."
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