EZB kämpft mit Schock-Inflation, aber keiner Lohn-Preis-Spirale

(Bloomberg) -- Auch wenn sämtliche Inflationpegel auf langjährigen Rekordwerten stehen, lässt ein Preistreiber bislang auf sich warten: Massive Lohnforderungen auf breiter Front sind derzeit kaum zu sehen. Obwohl der Ukrainekrieg jetzt für weiteren Schwung bei der Teuerung sorgt, könnte er Lohnforderungen erneut dämpfen.

Für die Europäische Zentralbank ist der Lohndruck ein Schlüsselelement für Zeitpunkt und Tempo des Ausstiegs aus ihrer lockeren Geldpolitik. Die meisten Ökonomen erwarten, dass die Ratsmitglieder auf ihrer Sitzung am Donnerstag eine Entscheidung über die Beendigung der Anleihekäufe verschieben werden.

“Auf der einen Seite haben wir eine höhere Inflation, aber auf der anderen Seite auch eine geringere Nachfrage”, sagt Marion Amiot von S&P Global Ratings in London. “Wir dürften immer noch einen Anstieg der Löhne sehen, aber der Konflikt könnte bewirken, dass die Belebung des Lohnwachstums etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen wird”, so die Volkswirtin.

Schon vor dem Einmarsch in die Ukraine Ende Februar hatte die Inflation den höchsten Stand in der Geschichte des Euro erreicht. Jetzt nähert sie sich 6% und liegt damit dreimal so hoch wie das offizielle Ziel der EZB. Dies ist größtenteils auf die steigenden Energiekosten zurückzuführen, ein Problem, das wahrscheinlich so lange anhalten wird, bis Europa seine Abhängigkeit von russischem Gas verringert.

Im internationalen Vergleich ist die Reaktion der Löhne in der Eurozone jedoch ziemlich verhalten. Eine Goldman-Analyse vom 19. Februar zeigte für die USA und Großbritannien Lohnzuwächse von fast 5%. In der Eurozone hingegen zeige sich ein Plus von nur rund 2%. Die Tariflöhne in Deutschland sind 2021 sogar um nur 1,3% gestiegen. Damit war der Anstieg der geringste, seit die Datenreihe 2010 begann.

Ein Grund für die verhaltenen Lohnforderungen könnte die in der Pandemie verbreitete Kurzarbeit sein. Zwar hat diese Arbeitslosigkeit verhindert, sorgt in der jetzigen Situation jedoch dafür, dass es nicht zu einer plötzlichen Nachfragespitze kommt. Amiot verweist auch auf die Energie-Subventionen in Euro-Ländern wie Spanien die Verbraucher vor den schlimmsten Inflationsauswirkungen schützen.

“Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Zweitrundeneffekte noch weit entfernt und noch nicht besorgniserregend sind”, sagte EZB-Ratsmitglied Mario Centeno, selbst ein Arbeitsökonom, letzte Woche im Bloomberg-Interview. “Die Ukraine-Krise wird dies mit Sicherheit noch weiter verzögern.”

Centeno nennt auch die wiedergewonnene Mobilität der Arbeitnehmer nach dem Ende der Pandemie-Beschränkungen als Faktor, der die Löhne in Schach hält. Dies gelte erst recht vor dem Hintergrund, dass Hunderttausende oder Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine demnächst ebenfalls auf Arbeitssuche sind.

Freilich sind nicht alle so optimistisch, und speziell in Deutschland macht man sich Sorgen. Werner Eichhorst vom IZA-Institut für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in Bonn weist auf die anhaltende Knappheit an Arbeitskräften hin, die durch die alternde Bevölkerung in Europa noch verschärft wird.

“Dies macht die Situation für die Arbeitnehmer tendenziell einfacher - das würde sich nur ändern, wenn wir eine langfristige Wirtschaftskrise hätten”, sagt er. “Ich sehe keinen Grund für die Gewerkschaften, sich bei den Lohnverhandlungen zurückzuhalten. Sie werden versuchen, zumindest mit der Inflation Schritt zu halten.” Ein wichtiger Test wird im Herbst die Lohnrunde der IG Metall für die deutsche Metall- und Elektroindustrie, die auch für andere Branchen als Leitwert gilt.

Während sich die EZB-Währungshüter nach wie vor einig sind, dass die Nullzinsen und der Anleihekäufe zu Ende gehen sollten, geht die Einschätzung in Sachen Inflation auseinander: Einige befürchten, dass die Löhne steigen könnten und sich die Inflation deshalb festfrisst, andere sind weniger überzeugt.

“Der Arbeitsmarkt entwickelt sich insgesamt gut”, so Amiot von S&P. “Auch wenn der Ukraine-Krieg das nicht ändern wird, könnte er einen schnelleren Lohnanstieg verzögern.”

Überschrift des Artikels im Original:

ECB Gauging Inflation Shock Is Still Waiting for Wage Reaction

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